Jana Niedzwetzki

Ihre Freundin war ein Baum

Der angenehme Sommerwind ließ die dünnen Äste der Birke sanft ihre nackten Arme streicheln. Mit ihren raschelnden Blättern flüsterte sie dem Mädchen freundschaftliche Worte zu, wie sie es jeden Tag tat, wenn Diana auf ihrem Liegestuhl unter ihr saß. Sie erzählte der Birke was am Tag passiert war, was sie geärgert hatte und was schön gewesen war. Ihre Freundin hörte allezeit zu. Manchmal waren sie auch beisammen, schwiegen und Diana genoss einfach nur die Anwesenheit der Birke, während sie eines ihrer vielen Bücher las.
Ja, tatsächlich. Ihre Freundin war ein Baum. Es mochte für einige seltsam erscheinen, doch für sie war es das schönste und normalste was es gab. Denn nicht ihre Eltern oder Schulkameraden waren es, denen sie ihr Herz ausschütten konnte. Dianas Eltern waren viel beschäftigte Leute.  Ab und an hatte sie sie am Abend nach der Arbeit erwischt und hatte ihnen von ihrem Kummer in der Schule erzählen wollen, doch entweder hatten sie nur mit einem Ohr zugehört oder waren mit gutgemeinten, aber unbrauchbaren Ratschlägen gekommen. Wurden diese Ratschläge von ihr abgelehnt, so hatten sie nur geantwortet: „Na, dann können wir dir auch nicht helfen.“ Dass Diana genug geholfen war, indem die Eltern ein offenes Ohr für sie hatten, begriffen sie allerdings nicht. Genau so wenig, wie sie verstanden, was ihre Tochter so an dieser Birke fand. Es sei doch nur ein Baum. Aber nein, es war nicht einfach ein Baum. Diana hatte ihn selbst gepflanzt. Sie liebte Pflanzen und sie wünschte sich nichts sehnlicher als einen Garten voller Blumen und Büsche zu haben. Ihre Mutter jedoch hatte nicht viel übrig dafür, wenngleich sie sowieso keine Zeit gehabt hätte.
Als Dianas Lehrer vor ein paar Jahren im Bio Unterricht Möglichkeiten, selber im Alltag etwas für die Umwelt zu tun, durchgenommen hatte, hatte es ihr die Idee, einen Baum zu pflanzen, sofort angetan, woraufhin sie sie unbedingt in die Tat hatte umsetzen wollen. Ganz leicht war es nicht gewesen ihre Eltern davon zu überzeugen, trotzdem war es ihr mit den richtigen Argumenten schließlich gelungen.
Damals war dem Mädchen noch nicht bewusst gewesen, dass sie nicht nur für die Umwelt, sondern auch etwas für sich selbst tun würde.
Besonders groß war ihre Birke bis jetzt noch nicht, wobei sie recht schnell wuchs. Dennoch bot sie bereits ein wenig Schutz vor der glühenden Sonne und irgendwann würde auch sie eine Krone, wie eine Königin, tragen.
Diana saß nun also unter dem Baum mit einem Buch in der Hand, entspannte nach einem langen, heißen Sommertag und hörte auf das leise, stetige Wispern der Birke. Sie schloss die Augen, versuchte zu verstehen was sie sagte. Zwar säuselte sie etwas in einer anderen Sprache, aber mit ein bisschen Phantasie konnte man die Bedeutung erahnen. Das Mädchen strich mit ihren Händen über die weiß, grau gestreifte Rinde. Ihre Finger nahmen jedes Detail war. Die Narben jene ihrer Birke durch einen heftigen Sturm zugefügt waren und die, welche wohl ein Marder ihr verpasst haben musste. An einigen Stellen war die Rinde einfach nur rau, an anderen fühlte sie sich ganz glatt an. Diana fühlte sich wohl in diesem Moment und machte sich bewusst: Ihre Freundin war ein Baum.

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