Olaf Lüken

Butterbrot ade - die Stulle schmiert ab

Unsere Nachkriegsgeschichte beginnt mit zwei Dingen. Die deutsche Butter und das deutsche Brot machten die Nachkriegsdeutschen wieder so richtig stark. Ohne seine Butterbrotdose mit den in Backpapier vor sich hintriefenden Schnitten, hätte wohl jeder Kohle- und Stahlkumpel, jeder Fließbandarbeiter, jeder Handwerker, kurz jeder wiederaufbauende Malocher bereits lange vor den sattsamen Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts schlapp gemacht. Das Butterbrot zur Mittagspause gehörte ebenso zum Warenbestand des Wirtschaftswunders, wie Blaumann, Stempelkarte und Thermoskanne. Als billiger selbst gemachter Imbiss, war die gute alte Schnitte eine der wichtigsten Pausenmahlzeiten des Industriezeitalters. Ein Brot backen, eine Knifte schmieren, also etwas Einfaches machen, das wenig kostet, Kraft gibt und sich leicht transportieren lässt. Es ist ein passendes Sinnbild für deutsches Effizienzstreben, ein Symbol für die karge Nachkriegsbürgerlichkeit, wie jede Familie sie kannte und auch ein wenig hasste, die traurige Scheibe Graubrot mit einer dünnen Schicht Schmalz und etwas Salz dazu, um dann mit den Zähnen so richtig ins Brot graben zu können. Ein Beißerlebnis sozusagen.

 

Doch wie Zechen, Übertagebau und Arbeiterschaft kämpft das gute alte Butterbrot um seine Daseinsberechtigung.Auf den globalisierten Frühstückstischen hat es mit Müsli, Joghurt, amerikanischen Pancakes, französischen Crèpes, englischen Baked Beans mächtige Konkurrenz bekommen, gegen das es sich (noch) mehr schlecht als recht behaupten kann. Aus dem öffentlichen Raum dagegen verschwindet es als Zwischenmahlzeit immer mehr. Der amerikanische Imbiss-Imperialismus mit seinen krakenartigen Fastfoodketten, hält auch abseits der heimischen Tafeln nahezu komplett die Kontrolle über Europas Mägen inne. Butterbrot ade?

 

Von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft ging auch ein Mentalitätswechsel einher. Plötzlich war der Mensch nicht mehr vorrangig Produzent, sondern Konsument. Und die Werbung suggerierte ihm, dass der gute, überlegene und trendige Imbiss in den Supermarkt- und Fastfood-Imperien nur im Komplettpaket gekauft werden kann. Und in Zeiten des "Was nichts kostet ist auch nichts"-Denkens, entstand ein wirksames Gegenargument zum billig und langweilig erscheinenden Butterbrot. Mit der Entdeckung des Kindes als weiteren Konsumenten, kamen die Milchschnitte, Fruchtzwerge, Knoppers und die Schokoriegel auf den Frühstücksplan. Ist das Butterbrot nun tot,weil es Frühstückchen gibt ? Vielleicht sollten wir die Pausenbrote alternativ nach Afrika verschiffen, um sie nicht gleich im heimischen Mülleimer verschimmeln und endlagern zu lassen. Gut für das Gewissen der brotlos Nachgeborenen wäre es allemal. Wäre aber dem Welthunger wirksam abgeholfen ? Wir können beruhigt sein. Die Stulle ist als Hochleistungsschnitte wieder auf dem Vormarsch. Der Trend heißt Retro.

 

Die Schnitten sind heutzutage raffiniert belegt und noch raffinierter als Edelimbiss ausgestellt, weil nicht mehr selbst geschmiert sondern dem Kunden eine geschmiert wird. Man kann wie bei Subway dem Bediener hinterm Tresen beim Schmieren zusehen, was dort zum Geschäftsprinzip und zum "Erlebnis Butterbrot oder Sandwich" gehört. Einst kam das Sandwich für britische Aristokraten und Besseresser daher, als Bratenstückchen zwischen zwei Weißbrotscheiben, mit Salatblättern, Tomatenstückchen und von einer Mayopaste eingeklemmt. Ihr Erfinder, so will es die Mär wissen, war 1762 der vierte Earl of Sandwich. Zwischen den Pausen beim Tennispiel wollte er sich ein leicht verdauliches Schnellmenü gönnen. Mehr im Preis als in seiner Qualität unterscheidet sich der Bratenhappen vom Ham- oder Cheeseburger. Ob Burger oder Chicken-Nugget, gegessen wir heute nahezu alles und gerne. Beinahe hätte diese Kost als Unterschichtenfutter vor Jahren einen brutalen Abgang hingelegt, weil dick, ja fett oder zu arm, selbst von den  Vielessern geoutet wurde.

 

Paradoxerweise kommen jetzt die backfreudigen Köche wieder auf den Plan, die das selbstgemachte Butterbrot zum "Convenienceprodukt" aufhübschen. Eine Hommage an das Butterbrot mit Erdnussbutter und Geflügelwurst oder eine Gurkenstulle mit Tarama sollen das ehemalige Frühstücksbrot zum schnittigen Trendbrot machen. Das einstige Butterbrot, die Knifte, hat ihre Schuldigkeit noch lange nicht getan. Sommeliers gibt es für Wein, Wasser und Kaffee. Sommeliers soll es zukünftig auch für "Brot" in all seinen Variationen geben, verkündet zumindest das schweizerische Ernährungsgewerbe.


(c) Olaf Lüken (2018)

Veröffentlicht im Online-Magazin "Lebensart" am 18.12.2009


 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.01.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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