Olaf Lüken

Der Blick

"Du bist verantwortlich für das,
was du dir vertraut gemacht hast."


(Der kleine Prinz - von Antoine de
Saint Exupery)

Vor ein paar Tagen besuchte ich in Köln eines der etwas mondäneren Bekleidungshäuser,um mir einen taubenblauen Einreiher zu gönnen. In der viel zu engen Bekleidungskabine probierte ich das gute Stück mehr schlecht als recht an und verließ die viel zu kleine Zelle. Vor einem größeren Spiegel wollte ich den Edelzwirn besser auf mich wirken lassen. Tagträumend stand ich vor dem barocken Eitelmachglas, als mir plötzlich auffiel, wie im Spiegelhintergrund eine junge Dame, vielleicht vierzehn, vielleicht auch sechzehn Jahre alt, zwei Pullis in ihrem Parker verschwinden ließ, wohl darauf aus, die Objekte ihrer Begierde mitgehen zu lassen.

 

Als ich mich umdrehte, trafen sich unsere Blicke. Ich war völlig überrascht, zugegeben auch ein wenig irrritiert und blieb im Anzug wie angewurzelt stehen, bar jeglicher Reaktion, als die junge Frau  samt Diebesgut,  zielsicher der nächsten Rolltreppe zusteuerte. Jetzt hadere ich mit mir, denn ich hätte den Diebstahl rechtzeitig melden können, ja melden müssen. Was hinderte mich daran ? War es die verstörende Situation des Augenblicks ?  Zuerst schaute ich in den Spiegel und sah mich im neuem Anzug. Schuhe hatte ich keine an. Den Diebstahl bemerkte ich nahezu nebenbei, als ich mich umdrehte und ihr für den Bruchteil von Sekunden ins Gesicht schaute. Sie lächelte vieldeutig und bewegte zwischen ihren Zähnen ein weißes Kaugummi.

 

Sie sah wohl, dass  ihr cooler  Auftritt mich verblüffte, aber auch ein wenig faszinierte. Tausend Gedanken schossen durch meinen Kopf. Was dachte sie, was wollte sie mir sagen als sie mich ein wenig provozierend ansah ? Oder verriet mir ihr Blick eine bei ihr spontan aufgetretene Unsicherheitheit ?  "Ey, bitte verrate mich nicht ?"  Oder - trug ihr Blick mehr herausfordernde Züge ?  Ich weiß es nicht.  Vielleicht war sie auch  spöttisch herablassend veranlagt  und dachte: "Wehe dir, wenn du das Maul aufmachst." Was immer sie auch gedacht haben mag, ich fühlte mich unwohl und kam mir vor, wie der kleine und unsichere Junge auf dem viel zu lauten Schulhof, der mit unsicheren Blicken seinen Weg zu bahnen sucht.  Oder, war es doch ein eher komplizenhafter Blick, mit dem sie mich für ihr illegales Tun charmant vereinnahmen wollte ? Könnte sie vielleicht mir signalisiert gewollt haben, dass der Diebstahl keinen von uns fweh tun würde ? Wenigstens finanziell ? Weder dem börsennotierten Großkonzern mit seiner Filiale in der Kölner Innenstadt noch irgendeinem anderen ? Ich weiß es nicht.

 

Wie auch immer, ich empfand eine Mitschuld an der Tat. Zwar ist der Diebstahl moralisch nicht dadurch gerechtfertigt, wenn er von jemandem begangen wird, für den ein anderer, ein  Beobachter vielleicht, eine emotionale Nähe verspürt. Durch meinem Kopf schoss ein gan -zer Fragenkatalog: Was passiert mit der Kassiererin ? Wird sie für den Diebstahl ihren Kopf hinhalten müssen und für die entstandenen Kosten haftbar gemacht und finanziell herangezogen werden ? Wird sie vielleicht eine Abmahnung bekommen ? Oder, werden die Preise für gestohlene Waren der  Käufergemeinschaft angerechnet ? und und und. Heute, denke ich:


Ich musste nach der Tat nicht gleich den Hausdetektiv, die Leitung oder die Polizei herbeirufen. Dennoch: Beim nächsten Mal traue ich mich, mit der zwingenden Kraft meines Blickes und meiner Worte zu sagen: "Legen Sie das Kleidungsstück sofort zurück."

(c) Olaf Lüken (2017)

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.01.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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