Rasmus Fuhse

Die dunkle Seite des Milchreis

Hmm, lecker. Es stellte sich für Howard so dar, dass ein ganzes Leben an ihm vorbegegangen sei. Was da alles für Potential drin steckt!
Es waren Ferien, seine Freunde hatten mit Ihren Eltern das Land verlassen, um sich in der Sonne zu brutzeln. Und Howards Eltern hatten das Land verlassen, brutzeln jetzt aber ohne ihren Sohn in der Sonne. Howard war das alles lieber. Er nutzte die Zeit, um viel neues kennenzulernen. So hatte er sich einfach mal Milchreis gemacht. Unglaublich! Man braucht tatsächlich nur ein paar Liter Milch für 55 Cent pro Liter und eine Packung Reis eben. Man kocht es und am Ende kommt die größte Portion Leckerei heraus, die Howard jemals für sich alleine beanspruchen sollte. Er hatte echt alles gegeben, mit seinem ganzen Eifer gegessen und gegessen, bis nicht ein Reiskorn mehr hineinpasste.
Nun reibt er sich genüsslich den dicken Bauch, seicht jedoch nur, damit er vor lauter Inhalt nicht platzt. Nach einer halben Stunde des Streichelns entschließt sich Howard, den Rest vom Milchreis in den Kühlschrank zu stellen und heute Abend zu essen. Er setzt sich vor dem Fernseher und genießt seine unendliche Trägheit.
Nach einer Stunde jedoch verspührt er ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend. Und noch eine halbe Stunde später merkt er, was da merkwürdiges vor sich geht. Der Milchreis liegt ihm schwer im Magen. Howard muss sein Übelkeitsgefühl stark unterdrücken.
Er fängt an zu schwitzen, wird unruhig. Beim Fernseher ist gerade Werbung und Howard dreht am Rad. Manche Werbungen sind ganz in Ordung, andere lassen seine Anfälle immer heftiger werden. Dann spührt er, wie sein Mund trocken wird und sich die Muskeln in der Halsgegend anspannen. Er weiß jetzt, dass die Sache kein gutes Ende nehmen wird. Er hechtet auf die Toilette, und versucht es herauszuwürgen. Doch er schafft es nicht. der Würgemechanismus setzt ein, aber es kommt nichts, außer Schwindelanfällen und Atemnot.
Freeze! Was ist hier passiert? Die Situation scheint sich merklich zu Howards Nachteil zu entwickeln. Aber das alles hat einen Grund. Unser kleine Howard allein zuhaus hat eine der wichtigsten Regeln des selbtgekochten Milchreisessens nicht beachtet zu haben. Milchreis trocknet immer weiter aus, die Reiskörner nehmen die Flüssigkeit aus der Milch auf, bis keine mehr da ist. Dann verfestigt sich das ganze zu einem harten, nicht lösbaren Klumpen. Da macht der Reis auch keine Ausnahme, wenn er erst einmal gegessen wurde. Alles zieht sich zusammen und verklumpft. Es gibt nur eine Möglichkeit, dies zu verhindern und das ist der massive Konsum von Wasser. Der Milchreis muss eine stete Feuchtigkeitszuvor bekommen, damit er sich nicht immer weiter verfestigt. Und Howard hat dummerweise so viel gegessen, dass kein Wasser mehr in ihn hineinpasste. Mächtig falscher Fehler, Howard.
Normalerweise endet das ganze in einem Brechreiz, dem der ganze Brocken von Milchreis zu Opfer fällt. Nicht jedoch bei Howard. Bei ihm hat der Milchreis die kritische Masse von 1,7 Kilogramm überschritten. Er hätte gut daran getan, den Brocken auszuspeihen, noch bevor er sich weiter verfestigen kann. Denn nun ist die Masse so groß und hart geworden, dass sie nicht mehr durch die Speiseröhre zurück passt. Und Howard zuzusehen, wie sein Körper es dennoch versucht, ist wirklich kein guter Anblick.
Nachdem der Magen alle Kräfte versucht hat, kommt es zu einem in der Biologie eines Menschen extrem selten Wunder der Natur. Ein besonderer Mechanismus greift. Alle Muskeln im Körper erschlaffen, nur der Magen drückt sich so dicht wie irgend möglich an den Stein im Magen ran. Dann wird das Wasser aus dem Mageninhalt gepresst, bis nur noch der Stein drin ist. Als nächstes fließt alles Blut aus den Magenmuskeln heraus, Speiseröhre wird gekappt, sodass der alte Magen, nun zu einem blutleeren schwarzen Haufen wird.
In dieser Zeit liegt Howard nur bewegungslos auf dem Boden des Badezimmers, kann keinen klaren Gedanken mehr fassen, sich nicht mehr regen. In ihm schwebt nur ein ewiger Geist aus Angst und Kälte, der ihn wach hält. Drei ganze Tage liegt er da, die Körperleistungen sind auf ein comatöses Minimum zurückgeschraubt. Howard ist in dieser Zeit dem Tode sehr nahe, doch der Körper hat gut kalkuliert.
Genau am dritten Tag gegen 11:43 Ortszeit öffnet sich das Hinterteil des immer noch am Boden liegenden Howard. Plötzlich setzen wieder alle Lebensfunktionen ein, er schreit und schwitzt und windet sich in unendlichen Schmerzen. der Schließmuskel schiebt sich zur Seite und Howard kann schräg von der Seite mit großen Augen beobachten, wie sich eine tiefschwarze, glänzende Kugel aus seinem jugendlichen Popo schiebt. Es dauert genau 11 Minuten, bis es vollbracht ist. Die Kugel liegt da auf dem Boden, nur an einer Seite noch mit dem leblosen Zehnfingerdarm verbunden.
Howard vergisst seine Schmerzen unter der Verwunderung. Er hebt sachte die Kugel auf, hält sie in den Händen und reibt mit der Hand vorsitichtig über die Oberfläche. Sie ist ganz plan und im Licht der Neonröhre des Badezimmers kann er sein Gesicht darin spiegeln sehen. Mit einem Male durchfährt ihn ein Fiepen, ein sehr hoher Ton, der durch sein Rückrad zu schreien scheint. Dann hört er in den tiefsten Tiefen seines Geistes eine Stimme zu ihm sprechen:
“So treffen wir uns also wieder, Howard.“ - “Wer ist da? Wer bist Du? Was?“ - “Du kennst mich, Howard. Und ich kenne Dich. Seit unserer letzten Begegnung haben wir uns beide verändert, aber wir sind immer noch wir.“ - “Bist Du mein Milchreis?“ - “Hahaha. Ich WAR Dein Milchreis. Nun bin ich Dein Danach. Ich bin die Synthese aus einer leckeren Süßspeise und Deinem Magen. Wusstest Du, dass der Magen ein eigenes Nervensystem besitzt? Ja, Dein Magen kann denken, nicht so gut wie Dein Hirn, aber dafür ist Dein Hirn nicht den ganzen Tag mit den schmackhaftesten Köstlichkeiten gefüllt. Und Dein Hirn war auch noch nie verliebt. Ehrlich gesagt, habe ich nie verstanden, warum der Körper immer dem Hirn alle wichtigen Aufgaben gegeben hat. Biologisch gesehen ist der Magen stark im Vorteil. Er liegt viel näher am Herzen, braucht also nie über mangelnde Durchblutung nachzudenken. Zudem ist seine Position nicht so exponiert, also besser schützbar. Und ich habe Dinge gesehen, die Du Dir nicht in den wildesten Träumen vorstellen kannst. Ich kann lieben, ich bin der Träger der Energie. Ich habe Sternenflimmern in Sirius gesehen und Raumschiffe, die durch die Nebel von Triton zogen.“ - “Ich werde Dich töten. Dein Schicksal werde ich einfach in den Biomüll werfen.“ - “Mach doch. Nur zu. Wenn Du mich jetzt tötest, werde ich mächtiger, als Du in zehntausend Jahren nicht mächtig werden könntest. Ich habe Connections in Kolumbien, ich esse mit Fidel Castro zu Mittag und mit dem Präsident der USA zu Abend. Dir wird das Lachen noch vergehen. Wenn Du mich jetzt wegwirfst ....“
- Zack! Mit einem Ruck reißt Howard den Zehnfingerdarm von der schwarzen Kugel ab, nimmt das Objekt, geht in die Garage und wirft es in die Biotonne. Er schnauft, kreidebleich, zieht er seine Beine in die Küche, öffnet den Kühlschrank. Den Kühlschrank. Ein Grinsen durchzieht sein Gesicht. Er streckt langsam die Hände hinein und holt eine einsame Schüssel heraus. Dadrin liegt ein schon längst gammeliger Milchreis, der zu einem Brocken zusammengehärtet ist. Er geht zum Klo. Schweiß rinnt ihm wieder über das krankhaft lächelnde Gesicht.
“Hier wird also die Geschichte enden. Dann wird es ein für allemal Frieden geben. Hihihihiiiiihiii. DU WIRST NICHT LÄNGER MEHR MEIN MILCHREIS SEIN!“ Mit diesen Worten dreht er die Schüssel um und wie in Slow Motion fällt der zimtfarbene Klumpen in die Kloschüssel.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Rasmus Fuhse).
Der Beitrag wurde von Rasmus Fuhse auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.07.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Rasmus Fuhse als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Spuren am Horizont: Kleine Geschichten vom Meer von Hermann Schuh



Aus einem verlängerten Segelurlaub wurden 13 Jahre eines intensiven Lebens auf See und den unausbleiblichen Abenteuern auf den Weiten der Meere. Die „Kleinen Geschichten vom Meer“ sind keine Reiseberichte im üblichen Sinn, sie sind mit dem Wunsch geschrieben, ein paar Spuren am Horizont zu hinterlassen und so des Lesers Fernweh ein wenig zu lindern.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Absurd" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Rasmus Fuhse

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Lauf um Dein Leben von Rasmus Fuhse (Surrealismus)
Das Gespräch zweier ehemaliger Sportreporter ... von Klaus-D. Heid (Absurd)
Das Paradies vor der Haustür von Christa Astl (Impressionen)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen