Margret arbeitet als Schwester für die Steyler Mission, irgendwo in Papua Neuguinea,und irgendwo im südwestlichen Pazifik. Einmal im Jahr kommt Margret für ein paar Tage ins Spitalhaus nach Sankt Augustin.Vor kurzem lud ich die etwas rastlose, ungestüme, aber immer taffe Ordensfrau zu einem Abendessen in ein gemütliches Bonner Landgasthaus ein. Äußerlich Rheinlandfachwerk, innen mit antiken Möbeln aus dem Biedermeier liebevoll ausgestattet, urig, gemütlich und mit einem Schuss großfamiliärer Atmosphäre ausgestattet. Zustände, die ich aus meiner Kindheit kenne, wenn einmal im Jahr und zu Heiligabend meine Eltern und die pucklige Verwandtschaft bei meinen Großeltern zusammen kamen. Margret erzählt spannende und fantastische Geschichten aus Papua-Neuguinea, jener subtropischen und artenreichen Inselwelt, auf der die meisten aktiven Vulkane brodeln und schwarzrotes Feuer über die Krater spucken. Die Luft in den Subtropen ist feucht, drückend und äußerst schwül, als wäre der ganze Inselkomplex extrem überhitzt, gäbe es da nicht das herrlichste Wasser der Erde. Fast überall.
Hohe Gipfel, steile Felswände und tiefe Schluchten im Küstenbereich, bilden im Ostteil der großartigen Insel ein riesen- großes Szenarium der Evolutionsgeschichte. Hier leben Pflanzen auf anderen Pflanzen, sogenannte Epiphyten. Riesengroße Farne schaffen als Wirtspflanzen selbst für Ameisen eine einzigartige Lebensgemeinschaft. Nachts ist der Dschungel erfüllt von Vogel- und Amphibiengeräuschen. Hier - im Garten Eden, zwischen Palmen und Kakaobäumen, ist der Paradiesvogel nicht zufällig das Wappentier.
Vor dreißig Jahren wurde Margret von den Steyler Missionaren in ihre neue Heimat geschickt. Dort hilft sie als Missionarin und Schwester mit ihrem Wissen und Können. In der Nähe des Ordenshauses steht eine kleine Krankenstation, ihr eigentliches Arbeitsfeld. Margret liebt ihre Tropenheimat: "Olaf, weißt du, dass die Natur in Papua Neuguinea eine gewaltige Sache ist ? Die Flüsse reißen, der Urwald wuchert, die Vulkane speien Feuer, die Erde bebt und wilde Tiere siehst du überall. Die Natur ist eine Größe, in der man täglich leben und mit der man täglich rechnen muss. Immer wieder durchkreuzen die Launen der Natur menschliche Pläne. Der tropische Regenwald gleicht einem gierigen Verdauungstrakt. . Er trinkt einen Himmel voller Licht und schwitzt sie aus dampfenden Wolkentürmen wieder aus und verschlingt gleich wieder Massen modernder Tier- und Pflanzenteile, verdaut sie und speit alles aus als wuchernde, schlingende, fliegende, krabbelnde Lebewesen, in grotesken Farben und Ausmaßen. Die Insel ist fantastisch." Fast andächtig höre ich ihr zu, sauge ihre Worte auf und sehe, wie Margret zu einer Art "Alice im Wunderland" mutiert:
"Olaf ! hörst du mir überhaupt noch zu ? Dort, in meiner neuen Welt, gibt es Blätter von der Fläche eines Badezimmers und Bäume, deren Luftwurzelsysteme einer Großfamilie ausreichend Wohnräume bieten könnte. Hier taumeln tellergroße Schmetterlinge in Neonfarben um Blüten in unglaublichen Größen. Selbst der Grillengesang ist auf Silben gebaut und nachts laut zu hören. Die Subtropen und das Leben, das sie beherbergen, sind überwältigend in ihrer Intensität - blühendes, schwärmendes, jagendes, sterbendes Leben. Nichts bleibt wie es ist.Der Urwald entsteht und vergeht in einem fortwährenden Taumel. Olaf, hast du mal was vom Banyan-Baum gehört? Dieser subtropische Riese bildet mit seinen Luftwurzeln ein weites Labyrinth, in dem Kinder Fangen spielen und Hitzegeplagte ausruhen und picknicken. Genauso atemberaubend wie die Banyan-Bäume, sind die Regenbäume. Ihre weit ausladenden Äste schirmen eine beachtliche Fläche, oft mit zehn Metern Durchmesser. Jeder Ast ist so dick wie ein Baumstamm und beherbergt eine Anzahl Gäste: Riesenfarne, Ranken, Orchideen - ganz zu schweigen von den Ameisen, Käfern, Raupen, Vögeln - und alles, was da kreucht und fleucht."
Jeder Regenwald bildet sein eigenes Universum, angefüllt mit Leben. Papua Neuguinea ist ein Naturgebilde aus Vulkanen, Savannen, Mangrovensümpfen, Regenwäldern, breiten Tälern und zahlreichen Gletschern. Der Urwald scheint ein Spiegelbild des Paradieses zu sein.Wenn die Menschen dort zu Gott beten, dann lautet die Hymne:
Lieber Gott,
kein Künstler malt so wie DU.Herr, zweimal am Tag schaffst
DU einen Himmel voller Schönheit.
Die hellen Strahlen der Sonne am Morgen,
die goldenen Farben am Abend.
Solche Herrlichkeit kann kein Künstler malen,
solche Pracht kein Mensch erschaffen.
Vater im Himmel.
Herr, lass' mich von DEINER Schönheit
und DEINEM Überfluss berichten.
Lass' alle Menschen erkennen,
dass DU der Vater bist.
Lass' alle DICH lieben
und DIR danken.
In der jüdischen Mystik gibt es einen schönen Gedanken über die Schöpfung. Gott ist Fülle, ist alles in allem. Wie kann es da überhaupt etwas außer Gott geben ? Damit Gott die Welt erschaffen konnte,musste Gott sich sozusagen in sich selber einziehen und "einschrumpfen", um seiner Schöppfung Platz zu machen. Jüdische Mystiker nennen es "Zimzum", übersetzt mit Konzentration oder Kontraktion. Gottes freiwillige Selbstbeschränkung macht die Welt und unser Leben erst möglich.
Im Restaurant wird das Essen serviert. Auf meinem Teller prunkt eine in Butter schwimmende Forelle Müllerin. Dazu kommen ein paar petersiliengeschmückte Pellkartoffeln und ein hübsch arrangierter Blattsalat mit Kresse oben- drauf: "Omega-3-Fettsäure", kommentiert Margret und weist mit ihrer Gabel auf meinen Fisch. "Kartoffeln verfügen über reichlich viel Vitamin C. Man glaubt es gar nicht", sagt sie, während sie ihre Gabel - gleich einem Taktstock - lustig über ihren und meinen Teller schwingen lässt. Margret liegt richtig. Ich ziehe es aber vor, Forelle mit Petersilienkartoffeln zu essen, statt Omega 3 und Vitamin C. Ich will halbwegs normal leben und nicht von einem Fitness- und Gesundheitsplan drangsaliert werden. Gesundheit ist wichtig. Kann man sie aber bewahren ? Vielleicht. Kontrollieren ? Eher nicht. Margret fährt fort: "Manche meiner Bekannten verstehen nicht, dass ich freiwillig nach Papua Neuguinea gegangen bin, ständig umschwärmt von stechfreudigen Malaria-Mücken und vielen weiteren Krankheitserregern, die in den Tropen - wie alles andere auch - besonders gut gedeihen. Ja, es stirbt sich dort unter Umständen schneller als bei euch in Sankt Augustin. Aber soll ich deshalb alles missen, was ich hier - in meinem Regenwald leben und erleben darf ?" "Olaf, ich habe einen Tick, ich lebe für den Augenblick."
"Ich verstehe dich", sage ich. Margret ist eine liebenswerte Person und gehört zu jenen Menschen, denen man ihr Leben ansieht. Menschen mit weißen Haaren und Falten im Gesicht vom Lachen und Grübeln, von Sonne, Regen und Wind. Menschen, vielleicht auch mit Falten und Narben auf der edlen Seele. Menschen, die Risiken eingehen, sich den Wechselfällen des Lebens aussetzen, wahrscheinlich auch Fehler machen. Menschen wie Margret sind gerade für unseren Globus notwendige Wesen.Irgendwo im Urwald, um anderen Menschen bei Krankheit und in wirtschaftlicher Not Trost, Stütze, Hilfe und Kraft zu geben. Gott ist immer dort, wo er gebraucht wird.
(C) Olaf Lüken (2017)
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.04.2018.
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