Manfred Gries

Hasenbraten aus eigener Zucht,

Sie stand vor mir in jener ihr ureigenen Position, die keinen Widerspruch duldete und doch bittend schien. “Ich habe zwei Häschen geschenkt bekommen“, sagte sie, “zwei Männchen. Wir müssen sie nur noch abholen. Die Kinder würden sich sicher freuen. Was meinst du?“ Ich schaute sie an - zwischen uns wurden manchmal Blicke zu Aussagen ohne dass Worte gefallen wären - und holte den Wagenschlüssel aus dem Haus. Natürlich fand das Gespräch auf dem Hof hinter unserem Haus statt. Damals musste sich der Mercedes Benz 200D noch zwischen Haus und Kiefern durchmogeln, bevor er die Strasse betrat, die geradewegs - ein paar Abzweigungen lasse ich aus - zum Haus des Hasenbesitzers führte. Der empfing uns schon freundlich, zwei ausgewachsene Hasen auf dem Arm. “Ich habe noch einen ganzen Stall davon, deshalb lasse ich sie Ihnen für 5, DM pro Stück“. Aha, das war wirklich “fast“ geschenkt. Mein aufsteigender Sarkasmus spürte “ihre ureigene Position“, die meinen Widerspruch im Keim erstickte. Geduldig schaute ich mir die Schwestern und Brüder an, ließ mir ein paar gute Ratschläge zur Aufzucht und Pflege geben - verdammt, die Viecher waren ausgewachsen - und kehrte mit Frau und Hasen, 10,- DM ärmer in unseren Mercedes Benz zurück.


Und dieser erreichte kurze Zeit später das Haus mit den Kiefern, wo er zur Landung ansetzte. Etwas hilflos überlegte ich, was nun zu tun sei. Eine Unterkunft musste her, unser Hof ist kein Freiwildgehege. Diesmal schaute ich sie an. Ihr Blick ruhte mächtig und stark in meinen Augen. “Geh hin, und nimm die Schubkarre“, sagte sie. “Unser Nachbar hat noch einen alten Hasenstall. Du willst die Kleinen doch nicht etwa schutzlos der Dunkelheit überlassen?“ Erweckte ich wirklich den Eindruck eines herzlosen “Hasen-schutzlos-der-Gefahr-überlassend“ aussehenden Mitdreißiger? Der Nachbar lächelte mich an: “ Der ist aus Eisenbahnbohlen gebaut. Die habe ich einmal von einem Streckenwärter abgestaubt. Echte Eiche“, und so fühlte er sich auch an - nicht der Nachbar, der Hasenstall. In die Schubkarre hinein hievten wir ihn zu zweit.

Auf dem Hof angekommen war jedoch vom Nachbarn keine Spur und “ihre ureigene Position“ war eine Frau, also - also plazierte ich das Möbelstück an der Garagenwand - allein. Woher das Stroh kam, das sie unaufgefordert in der Hand hielt, kann ich beim besten Willen nicht erklären. Aber den beiden “Häschen“ schien es zu gefallen. Das war der Tag, an dem eine Lawine ins Rollen kam, die mich unweigerlich in den Mittelpunkt des Geschehens rückte. Aber, lassen wir den Dingen ihren Lauf. Zunächst waren die Veränderungen auf unserem Hof kaum wahrzunehmen. Halt das Eichenmöbel bereicherte die Garagenwand und die Kinder freuten sich. “Papa, da sind so kleine Dinger im Stall, die bewegen sich.“ Der ältere Sohn aus unserer Ehe platzte in die Küche, freudestrahlend. Dinger? Bei genauer Betrachtung entpuppten sich die Dinger als junge Hasen - ich legte das Brötchen zur Seite, das mir eben noch den Samstag Morgen versüßte. “Hattest du nicht gesagt, dass das Männchen sind?“ “Ihre ureigene Position“ schaute mich entrüstet an, als wolle sie sagen: “Warum bist du auf diesen Hasenschwindler hereingefallen.“ Natürlich war es wieder meine Aufgabe, die beim Nachbarn bereit stehenden restlichen Ställe mit der Schubkarre heranzuschaffen, um sie dann zu einer Art Regal an unserer Garagenwand zu stapeln. Die Frage nach der Zukunft stellte ich mir in diesem Moment nicht. Manchmal muss man einfach die Augen verschließen vor dem, was kommt.


Die Kinder waren die ersten, die den Stress des “Stall Ausmistens“ nicht mehr ertragen konnten. “Sie sind doch noch so klein“ schauten mich die Augen meiner Frau entschuldigend an. Immerhin konnte ich durchsetzen, dass keine weiteren Eichenbohlen die Garagenwand verdeckten. Der Komposthaufen begann zu streiken und “ihre ureigene Position“ wurde einsichtig. “Du musst die Alten schlachten“. Auf einmal waren die Häschen “alt“, kaum, dass 1 Jahr vergangen war. Meiner Meinung nach hatten sie das Pensionsalter schon beim Kauf erreicht. Aber wie das bei Hasen üblich ist, der Fortpflanzungstrieb macht auch vor der Rente nicht halt.

Da ich eh schon als der Hühnermörder aus dem Vogelsbergkreis bekannt war (dies ist eine andere Geschichte), funktionierte ich unsere Waschküche in eine Art Schlachterei um. Die Kinder betraten den Keller zu dieser Zeit nicht mehr, sie waren ja noch so klein. Das Beil arbeitete gegen die ihrem Trieb folgenden Nachkommen der “Alten“ an und unser Magen begann langsam das Wort “Hase“ mit dem Bauchnabel zu sprechen.

Meine Frau war die erste, die erkannte, dass es so nicht weiter geht. “Nächsten Sonntag gibt es Gemüse. Und du sorgst dafür, dass die Hasen den Hof verlassen. Verschenk sie meinetwegen.“ Eine Ahnung stieg in mir auf. Wahrscheinlich war jener Nachbar damals auch verheiratet gewesen, der uns die ersten “Häschen“ schenkte. Ich verschenkte wirklich, was zu verschenken war. Und es waren immerhin 8 Hasen auf dem Hof. 6 konnte ich in einem lieben Heim - junges Ehepaar mit Kindern - unterbringen, die letzten beiden hoppeln in einem nahegelegenen Tierpark friedlich durchs Gras. Es sind zwei Männchen. Wenn nicht, hätte ich es sicher erfahren.

So wurde es wieder etwas stiller auf unserem Hof, dem Hof hinter unserem Haus. Nur die Eichenbohlen zeugten noch eine Weile vom dem Geschehen, das sich dort ereignete.

Von allen Erinnerungen sind die am schönsten,
die zur Zeit des "sich Ereignens" keine Chance
bekamen, betrachtet zu werden.

Manfred Gries, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.07.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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