Jutta Koppmann

Brief an Dich



Lange habe ich mich geziert, es lange heraus gezögert, bis es mir doch zu bunt wurde mit dir. Ich kann es nicht mehr sehen, nicht mehr ertragen, dein Wimmern, dein stummer, voller Zweifel und Selbstmitleid angereicherter Blick, wenn du überhaupt noch siehst, wenn nicht deine eigene Schwärze schon längst deine Augen erreicht hat.
Es ist kein Rat, kein aufmunternder Vorschlag, ich will dich treten, dir Vernunft einprügeln, dich aus dieser verkrümmten, ach so einsamen Haltung heraus zerren, dich anschreien.
Lass es raus. Lass es raus, wenn du es nicht mehr ertragen kannst. Existieren deine Drohungen gegen die Konventionen des guten Geschmacks nur in deinen Worten, hast du deine Sprengkraft verloren oder nur herbei geredet ? Breche sie und schrei es heraus, laut, wild und einmal ehrlich. Lass dich fallen zu diesem Punkt in deinem Bauch, diesem zweitem Nervenzentrum, aktiviere es, lass es Besitz ergreifen von dir, deinem Körper.
Lass die Welle der Emotionen dich auf den Grund drücken und auf den Strand ausspeien und sei erlöst, wenn die Schwärze deiner kleinen Welt verblasst und dein Atem wieder frei strömen kann.
So einfach, so furchterregend.
Dein Kopf, ich weiß, ist stark. Und soviel Wille ist in dir, das es mich schier verzweifeln lässt. Soviel Wille, dass du deine Schwärze bündelst und tief verscharrst, irgendwohin, unspürbar. Deine Unnahbarkeit ist deine Stärke, lässt dich verschmelzen, lässt dich heraus ragen aus der Masse des Lebens. Deine Stille, deine Stummheit ist deine Attraktivität, doch ich sehe den Lärm in dir, den Aufruhr. Du selbst glaubst nicht daran, aber siehst du nicht, das die Wand nur aus Papier ist ? Die Undurchdringlichkeit ist nur deine Schwäche, deine kraftlosen Fäuste.
Wohin, frage ich dich, wohin steckst du, wo versteckst du diese Bündel voll Angst und Zorn ? Diese pulsierende und bedrohliche Schwärze deines Seins, wo kettest du sie an ? Welche Fesseln hast du erschaffen, welchen Fallen und Stolpersteinen hast du deine Unwirklichkeit zu verdanken ?
Was reizt dich an der Unfassbarkeit ? Du bist nicht wirklich, warst es nie. Ich weiß, da sind keine Lügen, kein Verschönern oder Hinzufügen. Doch trotzdem bist du ein Meister der Täuschung geworden, die Geheimnisvolle, die nicht Greifbare. Glaube mir, ich sehe, ich weiß, das du selbst deine Geheimnisse nicht kennst, du selbst nicht weißt, was in diesen Fesseln steckt. Du bist nicht unwahr, noch nicht mal unehrlich zu dir selbst, doch erscheinen dir die bunten Wandschirme, mit denen du die schwarzen Strudel in dir verbirgst, nicht lächerlich ? Wie kannst du sie ernst nehmen, wenn außer Schatten sich nichts dahinter verbirgt ?
Ich liebe dich, liebe deinen Stolz, deine Wut gegen die Formbarkeit, deine Gedanken. Ich liebe deinen Mut, manchmal einen Blick in die Schwärze zu wagen. Doch so selten, so selten.
Siehst du nicht, das deine Stärke, deine Hartnäckigkeit nicht selbstlos sind, sondern dir nur dazu dienen, die Fesseln noch strammer zu zerren ?
Du bist so wissbegierig, so lernwillig, du saugst alles auf, verlierst dich in Aufgaben und nimmst alles in dich. Nur wo soll es wachsen, wo kann es neu entstehen, wenn du dich selbst verdorren lässt. Du trägst dich mit so wenig und trittst voller Angst die Schwärze noch tiefer hinab.
Wovor hast du Angst ? Wie kannst du sie mit etwas begründen, was in Dir ist ?
Du hast mir einmal gesagt, du willst nie wieder den Kopf verlieren. Du weißt doch gar nicht wovon du redest. Wie kann es ein Wieder geben, wenn es nie ein Jetzt gab. Du hast dich noch nie verloren.
Dein unterirdischer, unsichtbarer Bunker ist noch nie aufgesprengt worden. Im Laufe deines Seins hast du dort alles unter Verschluss genommen, alles was deiner Rationalität nicht mehr entsprechen konnte. Ich weiß, das es nicht Perfektionismus ist, den du anstrebst, du willst nur real werden. Aber siehst du denn nicht, das deine Unendlichkeit, deine Unfassbarkeit dich nur noch durchscheinender macht ? Noch viel verletzlicher, noch viel mutloser ? Ich habe dich weinen sehen und ich habe gesehen, warum du glaubst, die Schwärze ist bedrohlich.
Aber verstehen kann ich dich nicht, kann nicht begreifen, warum du dir selbst verweigerst, mir und jedem anderem verweigerst, dich zu entzünden, die Schwärze zu verbrennen, dich frei zu lassen.
Warum ? Ist der Fall deine Sorge ? Glaubst du wirklich zu wissen, dass sich unter der Schwärze nur noch mehr Unendlichkeit befindet ?
Ich weiß, du wagst keinen Sprung sobald der Boden aus deinen Augen verschwunden ist. Du gibst nie auf, du vergehst nie, weil du nie beginnst.
Du weißt nicht wie schön du bist, wie schön du erst sein kannst. Ich habe es gesehen, wir haben es gesehen, nur du verschließt die Augen vor dir selbst. Wahre Schönheit kann es nur in der Endlichkeit geben.
Ich will dich wachrütteln, dich an den Abgrund zerren, doch warte nicht auf den Stoß, das kann ich nicht tun, mehr kann ich nicht tun.
Doch ich habe Angst.
Angst davor, das du selbst dann den Weg nicht mehr weißt.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Jutta Koppmann).
Der Beitrag wurde von Jutta Koppmann auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.08.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Jutta Koppmann als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Payla – Die Goldinsel I von Pierre Heinen



Auf Payla, der lukrativsten Provinz des Königreiches Lotanko, neigt sich der Sommer des Jahres 962 dem Ende entgegen. Die schier unerschöpflichen Goldvorräte der Insel lassen Machthungrige Pläne schmieden und ihre gierigen Klauen ausfahren. Wer den Winter überstehen will, muss um sein Leben kämpfen, wer über die Goldinsel herrschen will, muss in den Krieg ziehen.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Gedanken" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Jutta Koppmann

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Dilemma von Jutta Koppmann (Autobiografisches)
Liebe? von Petra Virbinskis (Gedanken)
Der Türsteher von Goren Albahari (Krimi)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen