Manfred Gries

Internet Geflüster

Selbst manchmal etwas genervt von den ungebetenen Gästen im Internet - den Popup Fenstern - beschloss er, den Ursachen auf den Grund zu gehen. Die rasende Entwicklung im Bereich der Technik hatte die moralische Entwicklung der im Umbruch befindlichen Gesellschaft überholt. Informationsgesellschaft ist ein Begriff, mit dem man zwar umgeht, dessen Inhalt aber nicht jeder gleich versteht. James Orwell hätte seine Freude an der heutigen Zeit, dachte er. Die Geldbörse begrenzt auf 100 Euro im Monat, suchte er teilzuhaben an den gespeicherten Informationen, die den sogenannten “Betreibern“ im Internet zur Verfügung stehen. Nachvollziehen, wie es zu ungewollten Eingriffen in sein Kaufverhalten kommt, stand ihm im Sinn. Und so begann er seine kleine, private Internetseite ein wenig zu erweitern. Nach außen nicht erkennbar, kaufte er das nächste Paket “Internetpräsens“ für 19,90 Euro. Waren bislang schon statistische Auswertungen für 9,90 Euro möglich, so erweiterte sich der Informationsgehalt nun auf Details der Besucher, die bei manch einem Anbieter sogar kostenlos verfügbar sind.

Er begann mit einem der uralten Dienste, die eine Seite nutzen kann, um den Besucher persönlich anzusprechen. Eigentlich eine gute Sache, denn es erfolgt kein wirklicher Zugriff auf den Rechner des Gastes. Die “Cookies“ werden zwar dort gespeichert und sind bei einem erneuten Besuch abrufbar - trotzdem richten sie zunächst keinen Schaden an. In den Händen eines freundlichen Betreibers dienen sie lediglich der freundlichen Nutzung einer Seite. Wer möchte nicht gern persönlich begrüßt werden? Immerhin hat jeder die Möglichkeit, diese “Cookies“ zu löschen. Zwar entgeht er damit nicht der Seitenstatistik - aber seine Anonymität wird wenigstens “scheinbar“ gewahrt. Viel interessanter jedoch blieb die Auswertung der Seitenbesuche. Hier war erkennbar, aus welchem Netz die Besucher kamen und was sie auf der Seite hauptsächlich betrachteten. Er lehnte sich zurück und dachte nach.

In der Theorie entstand die Idee, aufgrund eines “Cookies“ und den vorhandenen Auswertungen der Statistik die Besucher “persönlich“ mit Informationen zu versorgen, von denen der Seitenbetreiber vermutete, dass sie den Besucher erfreuen. Eigentlich auch immer noch harmlos, dachte er. Die ungewünschten “Fenster“ kamen ihm wieder in den Sinn. Was, wenn ein Besucher bestimmte Seitenteile häufig aufsucht - konnte man ihm dann nicht hin und wieder ein Fenster anbieten, in dem er seinen Interessen nachgehen konnte? Er lehnte sich erneut zurück und dachte nach. Besucher aus einem bestimmten Netz interessierten sich für romantische Geschichten. Seine Mutter kam ihm in den Sinn, die diese Arztromane verschlungen hatte. Er liebte seine Mutter und so begann er, die “Cookies“ sinnvoll zu nutzen. Er bot in einem kleinen “Fenster“ jedem Romantiker ganz dezent den Link zu einer kommerziellen “Arztromane“ Seite an. Sein Verständnis für die “Fenster“ wuchs, tat er doch den Menschen etwas “Gutes“. Und mit seinem Verständnis wuchsen die Zugriffe auf seine Seite. Es gibt viele Mütter wie die Seine.

Und dann geschah etwas Merkwürdiges. Der Betreiber der “Arztromane“ Seite fand in seiner Statistik immer wieder neue Besucher, die vom Sohn seiner Mutter dorthin gelangt waren. Dieser Betreiber war Geschäftsmann durch und durch. Und so nimmt es nicht wunder, dass er den Kontakt mit dem Sohn aufnahm. Neben Arztromanen bot der Geschäftsmann auch Kaffeemaschinen online an. Ein lukratives Geschäft, das wegen dem hohen Kalkgehalt des Wassers blühte. 2 % Umsatzbeteiligung pro Seitenzugriff nach Verkaufsabschluss ließen den Sohn seiner Mutter die Fenster in einem anderen Licht erscheinen. Was war gegen Kaffeemaschinen einzuwenden? Hatte nicht auch seine Mutter ein solches Gerät?

Er redete sich selbst Mut zu, fragte noch seine Mutter, wie es ihrer Kaffeemaschine gehe, und lenkte fortan seine Besucher zufallsgesteuert in die Sparte “Kaffeemaschinen online“. Erst als Freunde ihn als “cleveren Geschäftsmann“ bezeichneten, lehnte er sich zurück und dachte erneut nach. Das Ergebnis dieser Gedanken ist noch nicht spruchreif, da inzwischen ein Segelboot und ein kleiner Düsenjet versorgt werden müssen, mit denen der Sohn seiner Mutter täglich zwischen den Bahamas und Korsika hin und her fliegt, um den Unterschied zwischen den Stränden und der Lebenskultur zu erkunden.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.08.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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