Paul Theobald

Der Computer ging seinen eigenen Weg

Jahrelang hatte der Computer in der Steuerabteilung des Finanzamtes Steuerbescheide geschrieben. Eines Tages sagte er sich: „Das ist doch langweilig. Immer denselben Text: Deshalb ergeht folgender Steuerbescheid….Sie haben bis zum 15. des folgenden Monats zu zahlen.“ Und was passiert danach, wenn der/die Adressat/in den Brief bekommt, dass Steuern zu zahlen sind? Er/Sie zahlt oder legt Einspruch ein oder kommt auf das Finanzamt und regt sich mächtig auf. Das bekomme ich dann alles mit. Und der Computer sagte zu sich: „Ich werde in einem Steuerbescheid den Text, der eingegeben wird, ein wenig abändern, damit Leben in die Bude kommt. Ich werde mir aussuchen, wer diesen bekommt. Der/die Sachbearbeiter/in bemerkt nicht, dass ich den Text ein wenig abgeändert habe. Die unterschreiben immer alles, was ich ausgebe. Sie werfen nur einen flüchtigen Blick darauf.“
Ein Rentner, der 80 Jahre alt war, musste Einkommensteuer zahlen, weil er Miet- und Zinseinnahmen hatte. Das Finanzamt musste nun den Steuerbescheid erlassen. Der Computer sagte sich: „Der Mann hat ein hohes Alter und denkt über das Sterben nach. Bei dem ist es nicht so schlimm, wenn ich anstatt Steuerbescheid Sterbebescheid schreibe. Der denkt vielleicht: Das Finanzamt hat ja Recht. Bald ist es bei mir soweit.“ So schrieb der Computer: Deshalb wird der folgende Sterbebescheid erlassen…..Sie haben bis zum 15. des folgenden Monats zu sterben.
Wie der Computer angenommen hatte, sah der Sachbearbeiter nur flüchtig auf diesen Bescheid und unterschrieb ihn und reichte ihn an die Poststelle weiter. Diese prüfte genau die Anschrift, dass diese richtig ist, denn der Brief musste seinen Empfänger erreichen. Aber dem weiteren Inhalt des Briefes wurde kein Augenmerk geschenkt. Der Brief wurde ordnungsgemäß frankiert und noch im Postausgangsbuch mit „Steuerbescheid an Herrn …“ mit dem Versendedatum eingetragen. Dann ging er mit der Post auf den Weg zum Empfänger.
Dieser erkannte sofort, dass es ein Brief vom Finanzamt war, da bei der Frankierung noch der Absender angegeben wurde. Der Empfänger sagte sich: „Vom Finanzamt kommt nichts Gutes sondern nur Unangenehmes.“ Deshalb legte er den Brief zunächst zur Seite.
Auch die Zahlstelle bemerkte nicht, dass es sich nicht um einen Steuerbescheid, sondern um einen Sterbebescheid handelt. Vielmehr überwachte sie den Zahlungseingang und als keiner festzustellen war, wurde die Mahnabteilung unterrichtet, die sofort einen Mahnbescheid erließ und zur Post gab.
Als der Mahnbescheid beim Steuerpflichtigen eintraf, fiel ihm ein, dass er vor einem Monat einen Brief vom Finanzamt bekommen hatte und öffnete nun diesen. Überrascht stellte er fest, dass es sich um einen Sterbebescheid handelte und er aufgefordert wurde, zu sterben. Aber da ein paar Wochen vergangen waren, war natürlich das Sterbedatum überschritten.
Er machte sich auf den Weg zum Finanzamt, denn er wollte wissen, warum das Finanzamt ihm einen Sterbebescheid gesendet hatte. An der Eingangspforte wurde er, nachdem er dem Portier den Namen des Sachbearbeiters gesagt hatte, an die Steuerabteilung verwiesen. Als er das Zimmer des Sachbearbeiters betreten und dieser ihn gefragt hatte, was sein Anliegen ist, sagte der Besucher: „Wie kommen Sie dazu, mir einen Sterbebescheid zu senden? Sie wollen wohl schon zu meinen Lebzeiten die Erbschaftssteuer kassieren. Das ist eine Unverschämtheit! Ich werde mich jetzt beim Vorsteher beschweren.“ Und so erfuhr dieser, was geschehen war.

Der Vorsteher suchte nun die Finanzabteilung auf und fragte: „Wer hat diesen Blödsinn verzapft und einen Sterbebescheid erlassen?“
Niemand wollte es gewesen sein und die Verantwortung wurde weitergegeben. Der Sachbearbeiter erklärte, „den Bescheid nur flüchtig überflogen zu haben, aber die Poststelle hätte doch merken müssen, dass ein Sterbescheid verschickt wurde.“ Auch die Zahlstelle reichte den „Schwarzen Peter“ an die Mahnabteilung weiter, die auch nicht bemerkt habe, dass es sich um einen Sterbebescheid handelte.
Der Computer freute sich, dass ihm geglückt war, was er sich vorgenommen hatte. Aber er schüttelte über die Menschen den Kopf und dachte: Das sind die Menschen, deren Befehle ich täglich ausführen muss. Dann sagte der Computer zu sich: „Ich muss zu dem stehen, was ich getan habe.“ So sprach er zur Überraschung des Amtsvorstehers: „Ich bin es gewesen. Ich habe mich selbstständig gemacht und bin meinen eigenen Weg gegangen.“

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