Dagmar Reichel

Wochenende in Oberwesel

Mein Mann und ich sind dieses Jahr zum ersten Mal nach Oberwesel zum U-40-Parkinson-Seminar gefahren. Wir haben viele nette Leute kennengelernt und ich konnte mir ein “Bild“ von einigen Chattern machen. Völlig motiviert und fröhlich kam ich Sonntag zu Hause an. Also, Tür auf, rein ins Internet !!! Schnell in die Parkinson-Selbsthilfegruppe im Internet.

Mein Gatte kommt morgens von der Nachtschicht und bittet mich, ihn doch wenigstens bis 10 Uhr schlafen zu lassen. Ich gebe mir Mühe laut durch`s Haus zu wirbeln. Mit Erfolg. 9 Uhr. Mein Gatte ist wach. Los. Auf geht`s. (Es hätte mir ja auch mal einer sagen können, dass wir nicht länger wie 2 Stunden fahren !!!)
Also sind wir viel zu früh in Oberwesel. Macht nichts, macht nur die Hälfte. Wir laufen durch das schöne Städtchen und lesen auf einen Schild: “Gaststätte Waldschlößchen 1800 m“. Mein Gatte fragt mich: “Schaffse dat?“ Ich im L-Dopa-Rausch: “Aba logger!“
Nach ca 500 m (vielleicht auch 50 m), frag ich nach: “Wann sind wir da?“ Er: “Och, iss nimma weit!“ Ich verlass mich auf diese Aussage. Was für ein Fehler !!! Es geht stets bergauf !!! Vorbei an einem hübschen Friedhof. Vorbei an einem herrenlosen, im Gras liegendem Klo-Deckel. Stille um uns rum. Man hört nur meine gleichmäßigen, schluffenden Füße. ICH KANN NICHT MEHR! Vom feuchten Wetter bilden sich auf meiner Stirn vorwitzige Löckchen (oh, wie ich das hasse!!!). Ich frage mich, wann die Alm auftaucht. ICH WILL NICHT MEHR! Nun setze ich mich auf einen Baumstamm und streike. Ich mache meinem Gatten den Vorschlag: “Geh du weiter, ess watt, und bring mir watt mit!“ Er will nicht. Wir entschließen uns nach, ich weiß nicht wie vielen km, zur Umkehr. Oh, bergab komm` ich gut voran. Nun beginnt mein Gatte zu schwächeln.
Da!!! Von hinten kommt ein Taxi. Mein Gatte rennt, wild mit dem Regenschirm fuchtelnd, dem Taxi hinterher. Ich denke, der Taxifahrer fühlt sich bedroht, denn dieser gibt Vollgas. Mein feinfühliger Ehemann, nun etwas knatschig: “Pass auf, datt du nich wieda aufe Fresse fliechs“. (Liebevoller Ruhrpottplatt!)
Eine Abkürzung durch die Weinberge lehne ich ab. Schließlich muss ich seine helle Hose wieder sauber kriegen. Wir erreichen endlich das Auto und fahren zum Waldschlößchen. Ein uriger Wirt bringt meinem Gatten ein Gläschen Weisswein (halbtrocken), mir 4 l Cola (vollnass). Ich hätte gerne Zander gegessen, doch Zander ist aus, hat seinen freien Tag. Nun geht mir die Geschichte mit dem Taxifahrer nochmal durch den Kopf und ich krieg einen Lachanfall. Der Wirt kommt an den Tisch, fragt meinen Gatten: “Warum weint ihre Frau?“ Mein Mann: “Die heult nich, sie iss nur ein bischen krank!“ Mein Lachanfall wird zum Lachkrampf.
Dann haben wir gegessen. Was? ich weiss es nicht mehr. Habe ich überhaupt etwas gegessen? Hab`s vergessen. Bin nur noch müde.

Vorweg zu dieser Geschichte gehört, dass ich kurz vor diesem Wochendtripp auf die www.parkinson-selbsthilfegruppe.de gestossen bin, wo jeden Abend ab 21 Uhr gechattet wird.
Das Parkinson-Seminar war für mich der erste "leibhaftige" Kontakt mit den Chattern. U-40 bedeutet: Die Patienten erkrankten bereits vor ihrem 40sten Lebenjahr an Parkinson. Meine Diagnose erhielt ich 1995, im Alter von 36 Jahren.
Dagmar Reichel, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.08.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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