Felix M. Hummel

Erinnerungen eines Attentäters

Als meine Frau in den Platinminen starb, wusste ich bereits, dass dies eines Tages geschehen musste, doch ich arbeitet einfach weiter. Das Geld war knapp, mein Verdienst in den Schwefelfeldern des Olympus Mons reichte kaum aus um meine beiden Kinder zu ernähren. Schließlich begann sich die marsianische Pest in den Arbeitertürmen aus zu breiten. Bald schon hatte man ein Serum erdacht und warf es sofort auf den freien Markt um eine Ausweitung der Seuche auf die Administrationsbezirke zu verhindern, wohl wissend, dass der Preis die Gehälter aller Ränge unterhalb des Abteiladministrators bei weitem überschritt. Alle die sich die Medikamente nicht leisten konnten lebten in ständiger Angst um sich und ihre Familie. So ging es auch mir und wie es das Schicksal wollte dauerte es nicht lange, bis meine beiden Töchter die ersten Symptome zeigten. Ich versuchte Geld von Verwandten auszuleihen und zu sparen, wo ich sparen konnte und nahm sogar einen Zweitberuf als Wartungsingenieur in der Zentralheitzungsanlage an. Eine Aufgabe, die nur wenige übernehmen wollten, denn die Systeme dieser Abteilung waren sensibel und befanden sich in Mitten der Administrationsbezirke. Diese Verantwortung brachte drakonische Strafen, von welchen sofortige Erschießung zwar die höchste, jedoch die schmerzloseste war, mit sich, jedoch auch vergleichsweise hohe Bezahlung. Doch das Geld reichte immer noch nicht. Also versuchte ich einige meiner Organe zu verkaufen, doch meine Töchter starben, gerade als ich einen Käufer gefunden hatte.
Ich hatte alles verloren, nichts gab mehr einen Sinn. Ich spielte mit dem Gedanken den Freitod zu wählen, doch es erschien mir feige. Auch wenn sie alle Tod waren, so hatte ich doch noch eine gewisse Verantwortung meinen Liebsten gegenüber. Ich konnte ihnen zwar nicht mehr helfen, doch ich konnte ihren Seelen die Genugtuung verschaffen, die sie Verdient hatten. Sicher konnte ich auch somit mein Leben, mein Leiden, beenden, doch war mein Tod mehr wert, es war mir möglich etwas gegen unser aller Unglück zu unternehmen. Und sie, die Administratoren, sollten das Geld für ihren eigenen Untergang aufbringen.
Organhandel war natürlich illegal. Doch in der Praxis musste jeder Arbeiter sich früher oder später das ein oder andere Gewebe entnehmen lassen um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Die so erkauften ,Ersatzteile´ kamen, über einen umfangreichen und sehr gut ausgestatteten Schwarzmarkt, mit enormen Preisaufschlag direkt den Administratoren, Ministern, Senatoren und allen anderen Ratten der Führungsschicht und ihren zahlreichen Familien zugute. Man munkelte, dass der Generalgouvaneur des Mars bis auf seine Schnauze kein einziges eigenes Körperteil mehr besaß und bereits seit der Gründung der ersten Paltinmine vor dreihundert Jahren unumstritten herrschte. Natürlich waren dies nur Legenden, die sich alte wie junge Ratten ausdenken mussten um sich mit ihren eigenen Lügen über den eigentlichen Informationsmangel in der Arbeiterschicht hinweg zu täuschen.
Ich benötigte das Geld nicht mehr, um mir, oder meiner Familie zu helfen, ich brauchte es um allen, die Tag und Nacht durch die engen Versorgungsschächte krochen, angetrieben von den brutalen Vorarbeitern, um irgendeine für sie selbst sinnlose Sache zu verrichten, die den Führenden das Geld in die Taschen fließen ließ, zu helfen. Sicher würden auch sie dabei nicht von einigen tausend Opfern verschont werden, jedoch musste das Fundament für derartige Veränderungen, Revolutionen, immer etwas Blut im Mörtel haben. Es würden alles Opfer für eine neue Gesellschaft sein, eine, die mehr auf den einzelnen acht geben würde, vielleicht sogar für eine klassenloses Zusammenleben.
In Gedanken verloren schob ich mich weiter durch den stickigen Schacht. Das monotone Summen der Ventilatoren, welches nur unregelmäßig von dem Schaben meiner Klauen über dem runden Metallfußboden unterbrochen wurde, wirkte zusammen mit den allgegenwärtigen Benzol und Schwefeldioxid gerade zu Einschläfernd. Man hatte die Gänge hier absichtlich so konstruiert, damit Unbefugte ihren Weg nicht fortsetzten und die Standorte der ,schwarzen Chirurgien´ unentdeckt bleiben. Eigentlich war dies aber schon seit Jahren unnötig, denn jeder wusste von ihnen. Man hatte die Schutzvorrichtungen, so sagte man, nicht aufgegeben, damit jeder der diesen Pfad einschlagen musste, noch einmal darüber nachdenken konnte, ob er sich seiner Sache sicher war. Leider, hatten die meisten Ratten gar keine andere Wahl. Ich hatte sie, doch ich war mir sicher und ich kannte den Weg. Ich hatte schon eine Niere und einen guten Teil meiner Leber zu Geld machen müssen. Dieses mal konnte ich jedoch weiter gehen, denn ich lebte voraussichtlich nur noch einige Stunden, nach der Operation an gerechnet. Ich hatte bei den Organen an meine restliche Leber, meine verbliebene Niere, meine Bauchspeicheldrüse, Gallenblase, und die Hälfte meiner Lunge gedacht. Für das Geld bekam man einen einigermaßen ausreichenden Plastiksprengsatz und vielleicht sogar einige Utensilien, die mir die Aufgabe, sollte ich entdeckt werden erleichtern würden.
Nun war ich an der Schleuse angekommen. Sie öffnete sich ohne Probleme und ich in die schmutzige Kammer hinunter. Vor einer rostigen Tür, die wie die Wände mit einer abblätternden Schicht Graffiti bedeckt war, stand eine breitschultrige männliche Ratte, ihre muskelbepackten Arme vor der gepanzerten Brust verschränkt. Dieser Wächter war ein weiteres Stuck ;Einrichtung´, welches man nur aus Tradition und auch ein wenig zur Abschreckung von den Unsicheren behielt.
“Ich hätte einige Dinge zu tauschen.“, sagte ich zu dem Koloss.
Er brummte nur tief und trat dann bei Seite.
Als ich durch die Tür trat veränderte sich die Szenerie, als ob ich in eine andere Welt über getreten wäre. Die lehmige verschmierten Rohrböden wichen bleich grauem Linoleum, die schmuddeligen Wände und tropfende Decke machten einer sauberen weißen Plastikverkleidung Platz. Antike Neonröhren erfüllten den Gang mit einem grellen Licht. Niemand war zu sehen. Niemand auf den schmalen Metallbänken die den Flur säumten, niemand auf dem Boden oder irgendwo anlehnend wie sonst. Heute war ein Arbeitstag. Für die Meisten jedenfalls, ich hatte heute meinen Tag ,Verkraftungsurlaub´, meine ältere Tochter war erst gestern gestorben. Es war gut zu solch einer Zeit hierher zu kommen, denn sonst wurden keine direkten Tauschhandel vollzogen und man musste bis zu zwölf Stunden auf dem Operationstisch auf die Schlachter, wie sie genannt wurden, warten.
Ich ging direkt zum Schalter vor. Ein recht hübsches Mädchen mit gepflegtem braunen Fell sah von ihrem Computerpad auf und blickte mich mit ihren dunklen Augen an, wie sie es bei allen armen Schweinen tat, die täglich in Massen ihren Tisch passierten, doch auch sie war nicht wesentlich besser dran, als wir anderen.
“Bitte?“, fragte sie freundlich.
“Ich wollte einen Direkttausch vornehmen.“, antwortete ich heiser.
“Guter Zeitpunkt dafür.“, meinte sie. “Welche Organe wollen sie gegen was Tauschen?“
“Niere, Leber, Bauchspeicheldrüse, Gallenblase und.“ Ich holte tief Luft, als ob es das letzte Mal wäre. “Und die Hälfte der Lunge. Dafür will ich Sprengstoff.“
“Was?“, platzte sie heraus. “Das alles? Sie scheinen sehr verzweifelt zu sein.“
“Hmm.“
“Ich rufe gleich den Chirurgen, er wird alles weitere mit ihnen besprechen.“
Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich wieder ihrem Pad zu und machte einige Einträge. Ich nickte, obwohl sie nicht mehr auf mich achtet und lehnte mich gegen die Wand.
Meine Gedanken versuchte ich unter Kontrolle zu halten, denn es würde nicht angenehm werden. Wie konnte es auch? Bei der Menge an entnommenen Organen konnte ich wenigstens eine örtliche Betäubung verlangen, wenn sie mich danach nicht all zu sehr aufhalten sollte und ich auf eine Desinfektion verzichtete.
Mit weiten energischen Schritten, dass weißer Kittel und Schwanz hinterher wallten, ging, nein, wandelte der Schlächter heran. Er hätte wie eine ergraute Lichtgestalt gewirkt, doch er hob seine extrem Spitz zulaufende Schnauze etwas zu weit dazu in die Luft.
“So, ich grüße sie!“, donnerte er und streckte mir die Pfote entgegen.
Ich zögerte und schnüffelte misstrauisch, ergriff sie aber dann.
Sein Geruch hatte mir auch das letzte Mal nicht gefallen. Es hieß zwar, es sei unmöglich den Charakter einer Person an seinem olfaktorischen Mantel zu erkennen, doch bei diesem ,Doktor´ zweifelte ich sehr daran. Er roch scharf und stechend, wenn auch leicht süßlich. Sicher konnte man sagen, dass dies am Desinfektionsmittel und dem ständigen Umgang mit Leichen liegen mochte, doch ich konnte mehr daraus lesen. Er dachte kalt und messerscharf, wie die Instrumente, mit welchen er tagtäglich arbeitete und bewahrte trotzdem immer seinen freundlichen Schein um den Unglücklichen glauben zu machen, sie seien hier in guten Händen, die nur das Beste für sie wollten.
“Kommen sie mit in den Operationssaal.“, meinte er und ging erneut los. Ich folgte ihm um die einzige, und vollkommen sinnlose Biegung im Flur und begleitete ihn durch eine weiß lackierte Tür. Der Raum dahinter war nicht besonders groß und angefüllt mit medizinischen Gerätschaften von welchen Kabelstränge in alle Richtungen und Winkel des Zimmers liefen. Auch wenn ich die genaue Funktion der Apparaturen nicht kannte, wusste ich genau wozu sie gut waren. Sie sollte aufschneiden, entnehmen und frisch halten, dafür hatte man keine Kosten und Mühen gescheut. Die Lebesnerhaltung hingegen hing meistens von der Widerstandsfähigkeit der jeweiligen Ratte und der Laune des Arztes ab.
“Gehen wir es noch mal durch. Sie wollen ihre Leber, eine Niere... Moment mal, sie waren doch schon einmal hier. Ich kann mich an jede einzelnen Ratte, die ich aufgeschnitten habe erinnern. Sie haben nur noch eine Niere!“
Gelassen setzte ich mich auf den Operationstisch. “Das ist mir klar.“
“Und wissen sie auch, wie lang sie ohne Nieren, Leber, Bauchspeichel- und Schilddrüse leben können?“ Der Doktor begann sich sichtlich unwohl zu fühlen. Wahrscheinlich hatte er noch nie jemanden getroffen, der sich freiwillig lebenswichtige Organe entnehmen ließ.
“Nein. Aber ich hoffe auf etwas über fünf Stunden.“ meinte ich.
Er strich sich über das linke Ohr. “Sie wollten als Tauschobjekt Sprengstoff... Warum habe ich das nicht früher bemerkt... Ja, natürlich.“
Ich stand wieder auf, trat vor den etwas größeren Schlachter und blickte ihm fest in die Augen. “Werden sie mir helfen?“
Er entriss sich meinem Blick und wendete mir den Rücken zu. Ich konnte dennoch sehen, wie er seine Pfote zur Stirn hob und sie nervös massierte. “Hmm, tja. Wir... wir stellen hier keine Fragen, darauf muss man sich verlassen können.“, sagte er langsam. “Andererseits arbeiten wir auch eng mit den Administrationen zusammen.“
“So?“ Ich spuckte auf den mit Kabeln bedeckten Boden. “Das habe ich wirklich nicht erwartet. Sie müssen jeden Funken Anstand verloren haben, jedes Körnchen an Mitgefühle, wenn sie nicht einmal einem verzweifelten Mann helfen. Wohlgemerkt einem gut zahlenden verzweifelten Mann.“
Ich hoffte, dass die letzten Worte ihre Wirkung nicht verfehlten, doch noch war nichts davon zu sehen. Der Chirurg schritt unruhig zwischen den Geräten hindurch und rang die Pfoten. Dabei murmelte er etwas vor sich hin. Ich wollte schon ein weiteres Mal das Wort ergreifen, als er sich umdrehte und mich sein erhobener Zeigefinger zum Schweigen brachte.
“Ich werde ihnen den Sprengstoff direkt implantieren. Sie kommen so durch jede Kontrolle hindurch kommen. Funkzünder habe ich allerdings nicht, doch ich glaube kaum, dass sie das von ihrer ,Sache´ abbringen wird, oder?“
“Bestimmt nicht.“ erwiderte ich und legte mich auf den Tisch. “Machen sie nur. Nehmen sie alles raus, was ich nicht mehr brauche.“
Ein kurzes Grinsen, welches seine nikotingelben Nagezähne entblößte huschte über seine Schnauze. “Örtliche Betäubung?“
“Ja.“
Ein kurzer Schmerz zuckte wie ein Stromschlag durch meinen gesamten Körper, als die Nadeln aus der stählernen Tischplatte durch mein Fell in das Rückrad eindrangen.
Nachdem mein Bauch rasiert war legte ich den Kopf so weit wie möglich in den Nacken um nicht stehen zu müssen wie der Laserstrahl in mein Fleisch schnitt. Ich presste die Augen so fest zu, dass Ströme von Tränen daraus hervor quollen und versuchte das taube Ziehen und Reißen in der für mich nicht sichtbaren Wunde zu ignorieren.
Nach einiger Zeit wurde mir eine Atemmaske aufs Gesicht gepresst, die Luft daraus fühlte sie wie ein Fausthieb an. Ich konnte es nicht mehr aushalten, konnte nicht mehr atmen, nicht mehr bewegen, nicht schreien, nicht... denken. Meine Gedanken entglitten mir und alles verschwamm, auch die Dunkelheit hinter meinen geschlossenen Augendeckeln.

Ich erwachte umringt von Ratten in weißen Kitteln, wie viele konnte ich nicht sagen. Ich konnte nur genau bestimmen, wie mich der Schmerz die Luftröhre hinab bis in die Bronchen quälte. Jeder Atemzug kam rasselnd und der Sauerstoff schien nur spärlich in mein Blut zu gelangen.
“Gut. Ich dachte sie würden nicht mehr aufwachen.“, meinte die Stimme des Doktors. “Sehen sie hier.“ Eine der Gestalten, die wohl der Chirurg sein musste deutete auf meinen Bauch. Mühsam hob ich meinen Kopf und versuchte die Luft anzuhalten, als ich dabei meine Kehle bog. Eine Naht ein Form eines umgedrehten T erstreckte sich über meinen unteren Bauchbereich und hinauf bis zum Brustbein. Unterhalb des Brustkorbes ragte eine metallene Schaltvorrichtung hervor. “Dies ist der Zünder. Der Sprengstoff, den wir ihnen eingesetzt haben entspricht in etwa 10 Tonnen TNT, nach der alten Rechnung. Was immer sie auch damit hoch jagen tun sie es weit genug von hier entfernt“ Er lachte theatrisch. “Nun aber ab mit ihnen.“
Es waren drei andere Schlachter außer ihm im Saal, stellte ich fest. Wie die Geier hatten sie wohl mein baldiges Ableben gewittert. Die Vorstellung, dass ich ihren gierigen Klauen zum Teil entkommen war baute mich gleich wieder etwas auf. Noch war ich am Leben und wenn ich das nicht mehr sein würde, dann wäre ich höchstens noch für die DNS Laboratorien von Relevanz. Sich in die Luft zu sprengen, war wohl der einzige Weg, auch als Toter Ruhe zu haben.
Ich stemmte mich von der kalten Tischplatte hoch und glitt vorsichtig hinab. Ohne einen weiteren Blick auf die Metzger verließ ich den Raum und stolperte benebelt durch den Flur zurück. Die Sekretärin schaute gar nicht erst zu mir auf.
Als ich wieder in den dampfigen Tunnel kroch merkte ich erst, wie schwierig dies werden würde. Meine Kehle und Bauchdecke schmerzten. Ich atmete schwer, es schien mir unmöglich genug Luft ein saugen zu können, schließlich hatte sich mein Lungenvolumen halbiert. Die Gase im Tunnel setzten mir mehr zu als je zuvor. Ich wusste dass ich hier sterben würde, sollte ich nicht schleunigst vorwärts kommen. Allerdings kroch ich weiter langsam vor mich hin und genoss die Leichtigkeit, die sich in meinem Kopf ausbreitete. Es gab keine Probleme, nicht hier, nicht in diesem Augenblick. Sicher war es nicht nötig zu Atmen, es würde reichen meine Augen zu schließen und mir eine Auszeit zu gönnen. Schlaf. Ich hatte schon seit zwei Tagen keinen Schlaf mehr gehabt, denn ich hatte an ihren Betten gewacht. Ich hatte mir die Ruhe verdient.
Meine Schnauze stieß gegen etwas hartes. Ich war an der Schleuse zum Hauptversorgungssystem angekommen. Mit letzter Kraft drehte ich den Heben, kroch hindurch und zog die Luke hinter mir zu. Dann, dann, wurde es abermals schwarz um mich herum.

Ich wusste nicht, wie lang ich so da gelegen hatte, aber ich war mir sicher, dass meine Schicht bereits begonnen hatte, also schleppte ich mich weiter. Ich brauchte keine Angst davor zu haben, dass man mich deshalb zur rede stellen würde, denn man verschwendete Arbeitszeit nicht mit solchen Dingen. Kam man zu spät merkte man es oft nur daran, dass man nach Arbeitsschluss nicht aus seiner Abteilung heraus gelassen wurde um die verloren gegangenen Stunden, Minuten und sogar Sekunden noch abzuarbeiten. Manchmal erschien dies völlig absurd, doch für die Überwachungscomputer war dies eine bestechende Logik.
Der Weg durch die Schächte von hier aus war lang, jedoch waren die Hauptröhren trocken und stanken nicht all zu sehr. Ich genoss die angenehme Kühle des Metalles unter meinen Pfoten und presste von Zeit zu Zeit auch meinen Bauch dagegen, denn die schlecht vernähten Wunden brannten wie Feuer. Vermutlich hatten sie auch schon begonnen sich zu entzünden. Ein sicheres Todesurteil, doch es gab sowieso kein Zurück mehr, es zählte nur noch, wie viel Schaden ich anrichten konnte, wie viel Sinn ich in meine Auslöschung noch brachte.
Als der Versorgungstunnel die Hallen der Administrationsbereiche überquerte konnte ich die Stimmen hunderter von Ratten vernehmen. Alle sie waren meine Feinde, die Leiter, die zwanzig Meter unter mir, in ihrer Freizeit über die hellen, mit echten Pflanzen geschmückten, Plätze flanierten, zusammen mit ihren Familien. Immer waren sie glücklich, immer wieder vernahm ich Kinderlachen. Sie hatten es nicht verdient in ihrer sorgenfreien Welt zu leben, die wir, die wir nichts hatten mit unserem Blut in Gang hielten. Ich würde dem Ganzen ein Ende bereiten, ein für alle Mal. Nie wieder würde so etwas geschehen! Schade, dass ich sie von dieser stockfinseteren Röhre aus nicht sehen konnte.
Nur noch wenige hundert Meter lagen vor mir.
Ich stieg durch die recht Breite Luke im Boden und ließ mich in den Heizungsraum fallen. Schmerz schoss in meinen Kopf, als ich fühlte, wie heißes Blut über meine Brust rann. Die Anderen warfen mir mitfühlende Blicke zu, wandten sich aber nicht von ihrer Arbeit ab.
Mühsam kroch ich auf allen Vieren zum Hauptmodul, welches aus einem großen, ständig kochenden Wasserbecken bestand. Niemand wusste von den Arbeitern, wie es genau funktioniert, doch alle waren sich darüber im Klaren, dass es eine sehr gefährliche Einrichtung war.
Ich lächelte und legte meine Klaue auf das für mich unlesbare Warnschild. Es war gelb mit einem schwarzen Punkt, von dem aus drei fächerförmige Strahlen ausgingen, darauf. Ich schritt zum Rand des Beckens, mit der Hand nach dem Zünder tastend. Dann sprang ich.
Ich spürte das siedende Wasser nur einen Augenblick lang, dann war es ruhig. Ein grelles Licht blitzte auf, als sich die Wolke erhob und die gesamte Kolonie mit sich riss.
Nie mehr konnten wir ausgebeutet werden und nie mehr konnten sie jemanden ausbeuten. Die Revolte hatte begonnen und war eins Komma fünf Sekunden später zu ende. Kein Tropfen Blut wurde vergossen, denn es gab keines mehr.
Friedlich lag der Rote Planet zwei Monate später da, so wie es es bis vor sechshundert Jahren getan hatte, bevor wir gekommen waren.
Ruinen, standen strahlend im sanften Abendblau.

Ich versuche in dieser Geschichte keineswegs eine Zukunft darzustellen, die mir wahrscheinlich erscheint. Um dem Text Realismus zu entziehen sind alle Akteure antopomorphisierte, d.h. vermenschlichte, Ratten.Felix M. Hummel, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.08.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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