Silke Bruland

Rain

Es regnet. Die Tropfen hämmern gegen das Fenster, als bäten sie um Einlass. Mir fällt auf, dass sie vergessen hat, das Küchenfenster zu schließen. Durch den Spalt dringt Wasser ein, aber ich werde das Fenster nicht schließen. Nicht dass ich es nicht wollte. Ich kann es einfach nicht. Bin ich es ihr schuldig? Bestimmt. Aber nichtsdestotrotz, ich kann es nicht.

Der Regen wird heftiger. Der Geruch von Nässe, von Feuchtigkeit zieht ein. Ich mag Regen. Ich habe sie an einem regnerischen Tag zum ersten Mal getroffen. Ich saß alleine im Park an einem See. Auch damals lag dieser Geruch in der Luft, den ich so liebe. Ich war durchnässt, bis auf die Haut. Es war mir egal.
Die Menschen zogen wie dunkle Schatten an mir vorbei, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen. So, als ob ich überhaupt nicht existierte. Zu dieser Zeit habe ich mich oft gefragt, ,Was bedeutet es überhaupt zu existieren? Bin ich? War ich? Was tue ich hier?'. Für jemanden wie mich ist es seltsam sich solche Fragen zu stellen. Ich bin sicherlich nicht der Klügste, aber die Ungewissheit war damals fast unerträglich für mich.

Ich weiß nicht, wie lange ich dort einfach nur saß. Vielleicht Minuten, vielleicht Stunden. Aber das ist unwichtig. Mir kam es wie eine Ewigkeit vor. Dann kam sie. Sie setzte sich einfach zu mir, obwohl ihr Rock dadurch völlig durchnässt wurde. Es schien ihr egal zu sein. Genau wie mir. Wir saßen einige Minuten einfach nur schweigend nebeneinander. Der Regen war schwächer geworden und das Wasser fing an auf dem warmen Boden zu verdampfen. Ja, im Sommer war dieses Wetter sogar noch schöner. Sie lächelte mich an, fragte mich nach meinem Namen, wo ich herkäme und ob ich alleine hier sei. Ich antwortete nicht. Es war lange her, dass jemand mit mir gesprochen hatte. Ich erinnerte mich schon gar nicht mehr daran, wie es war, nicht alleine zu sein. Mein Schweigen schien sie nicht zu stören. Sie erhob sich und versuchte sich möglichst gründlich von Gras und Erde zu säubern. Ich blickte währenddessen weiter auf den See hinaus.

Jetzt, wo der Regen völlig gestoppt hatte, kamen die Menschen wieder zum Vorschein. Kleine Kinder sprangen in die Pfützen und quiekten vor Vergnügen, während ihre Eltern, zumeist erfolglos, versuchten den Matschspritzern auszuweichen. Sie blickte an sich herab. Sie schien zufrieden zu sein. Ich senkte den Kopf. Sie würde mich nun sicher verlassen. So wie jeder andere. Ich war nicht enttäuscht oder traurig. Nein, diese Emotionen hatte ich schon lange abgelegt. Genau wie Freude und Liebe. Letztendlich wurde ich immer nur betrogen. Mein ganzes Leben lang. Aber nein, sie... sie war anders. Sie drehte sich zu mir um und sah mich freundlich an. ,Willst du nicht mit mir kommen?', dass hatte sie zu mir gesagt. Ich antwortete wieder nicht, sondern erhob mich stumm. Sie schenkte mir wieder ihr Lächeln. Ich wusste, dass es ein Fehler war. Ein Fehler, den ich schon viel zu oft begangen hatte. Sie war so nett... Es konnte eigentlich nur Fassade sein.
Sie nahm mich mit zu ihr nach Hause. Das ist nun sieben Monate her. Ich habe wieder angefangen die Tage zu zählen. Ich weiß, es ist nicht für die Ewigkeit. Irgendwann wird sie meiner überdrüssig sein. Zweifellos. Vielleicht heute, vielleicht morgen. Die Zeit wird kommen. Ich werde ihr nicht nachtrauen und sie wird mich nicht vermissen. So war es immer. Das ist das Gesetz des Lebens. Meines Lebens.

Es regnet noch immer. Sie wird bald nach Hause kommen, das Küchenfenster schließen und seufzend in den Sessel fallen. Sie wird mich anlächeln, mir sagen wie sehr ich ihr ans Herz gewachsen bin. Und ich werde ihr nicht antworten. Als sie mir sagte, dass sie heiraten würde habe ich auch nichts erwidert. Das war vor zwei Wochen. Seitdem ist sie so glücklich. Und seitdem weiß ich, dass sie mich verlassen, mich im Stich lassen wird.

Ich werde wieder draußen im Regen sitzen und auf den See hinaus sehen.
Ich höre etwas. Schlüssel, die aneinander klimpern. Sie scheint wieder da zu sein. Ich höre, wie die Tür geöffnet wird, wie sie ihre nasse Jacke aufhängt und ihre Schuhe auszieht. Sie geht in die Küche und schließt das Fenster. Ich kenne sie, jede ihrer Bewegungen. Ich kenne sie besser als mich selbst. Und dennoch... Als sie ins Wohnzimmer kommt und sich in den Sessel fallen lässt, seufzt sie nicht. Und sie lächelt mich nicht an. Nein, stattdessen... weint sie.

So habe ich sie noch nie gesehen. Tränen laufen ihre Wangen herab, ihre Augen sind gerötet. Sie nimmt ein Kissen und zieht ihre Beine an sich. Sie legt ihren Kopf auf das Polster und sieht mich unendlich traurig an. Dieser Blick... er zerreißt mein Herz. Ich ertrage es nicht, sie so zu sehen. Sie schluchzt. ,Er hat mich verlassen', sagt sie. Ich möchte sie trösten, meinen Arm um ihre Schultern legen und ihr sagen ,Alles wird gut, er hat dich nicht überhaupt nicht verdient. Er ist ein Idiot, jemanden wie dich alleine zu lassen'. Ich verfluche mich selbst. Ich kann es einfach nicht tun. Es ist nicht das erste mal, dass ich mir wünsche, nicht ich selbst zu sein.

Ein klammes Gefühl schleicht sich in mein Herz. Ich hasse mich. Ich hasse mich dafür, dass ich mich freue. Ich bin glücklich. Er steht nicht mehr zwischen uns. Es wird alles wieder so, wie es einmal war. Das denke ich jedenfalls. Aber wenn ich sie ansehe... weiß ich, dass ich mir etwas vormache. Sie wird ihr Leben weiterleben. Auch ohne mich. Ich bin ersetzbar.

Der Wind hat sich gedreht und der Regen trommelt nun auch gegen das Wohnzimmerfenster. Ich liebe Regen. Ich liebe sie. Das klamme Gefühl weicht einer unglaublichen Wärme, die sich in meinem ganzen Körper ausbreitet. Ich möchte sie noch immer trösten, auch wenn nicht ich es bin, dem ihr Herz gehört. Aber selbst wenn ich es könnte, was sollte ich ihr schon sagen...?

..ich bin schließlich nur ein Hund.

Diese Story hab ich eines schönen Tages in einem Anflug von Größenwahn verfasst... Ich hoffe, das merkt man nicht ;)Silke Bruland, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.08.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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