Manfred Gries

Ein sonderbare Telefonat

Bis gestern, wann immer das auch war, war ich der Überzeugung, dass meine Telefonnummer nicht mit 0190 beginnt. Wie gesagt bis gestern. Mein Sohn betrat Achsel zuckend das Arbeitszimmer und reichte mir das Telefon. In seinen Augen las ich den Satz: “Was weiß ich, wer das ist“. Ich meldete mich wie immer. “Hallo? Was kann ich für Sie tun?“ “Hier ist das Institut ´Sowieso´. Wir führen im Moment eine Aufklärungskampagne über den Kalkgehalt in ihrem Leitungswasser durch. Ist Ihnen bewusst, dass Kalk ihre elektronischen Geräte zerstören kann?“ Etwas überrascht suchte ich Halt in meiner Stimme, mit der ich schon manchen Anrufer für einen Moment überrascht hatte. “Ja“, hauchte ich in die Muschel, mich gleichzeitig an jenen Kaffeemaschinen Konsum erinnernd, den ich so hasste. “Wir sind ein ökologisches Institut aus Düsseldorf und haben eine Lösung für Sie.“ Aha, dachte ich, die Frauenstimme als wohltuend empfindend. “Und nun meinen Sie, das wäre etwas für mich, der ich doch eine Pumpe besitze, die das Grundwasser aus der Tiefe holt und filtert?“ Einen Moment schien meine Gegenüberin nachzudenken. “Dann ist das nichts für Sie“, bemerkte sie kurz.

Das Telefonat mit diesem Satz als beendet betrachtend, schmunzelte ich ihr zu: “Stimmt“. “Darf ich Sie fragen, was Sie von Beruf sind?“ Wie? Nicht beendet? Was wollte die Dame jetzt noch? “Ich bin Physiker“, antwortete ich mit jener Stimme, die schon “Ich-find-deine-Stimme-schön“ so fasziniert und den Tod meiner Waschmaschine herbeigeführt hatte. Alles das hatte auch mit Wasser zu tun gehabt. “Dann kennen Sie sich ja bestens aus mit der Materie.“ Ihre Stimme klang gar nicht nach einem schnellen Ende dieses Telefonates. Mein Sohn war längst wieder an seinem PC und ich saß hilflos vor der Stimme am Telefon, die scheinbar Gefallen an mir gefunden hatte. “Sagen Sie mal“, fragte ich Sie, “halte ich Sie nicht auf?“ “Manchmal kann man interessante Gespräche führen bei so einer Umfrage“, antwortete sie. Ich spürte deutlich, dass nun die Person in den Vordergrund trat und das Geschäft nicht mehr so wichtig war. Ganz neue Perspektiven eröffneten sich. Immerhin hatte ich ein wenig Zeit zu plaudern und die Dame am anderen Ende der Leitung schien verkrampft den Hörer mit meiner Stimme festzuhalten.

“Haben Sie eigentlich auch eine eigene Telefonnummer?“ Der Leser mag diese Frage, die ich nun ins Gefecht führte, als etwas gewagt auffassen, aber die Dame war auf dem besten Wege endlich einmal ein privates Gespräch mit einem “vernünftigen Menschen“ zu führen. “Sie sind mir einer, wahrscheinlich verheiratet, 5 Kinder, und dann mit mir flirten.“ Jetzt war klar, dass ich sie hatte, wo sie hingehört - in den Bann meiner Stimme. “Kinder habe ich, zwei.“ “Ich habe Ihren Sohn wohl wahrgenommen, der Ihnen den Telefonhörer reichte.“ Aha, also war sie über meine Familienverhältnisse schon informiert. So beschloss ich, diese Umfrage in meine Hand zu nehmen. “Und Sie, sind Sie verheiratet?“ “Sie Schlawiner, Sie“, lautete ihre Antwort, die ihr Gelegenheit gab, über den nächsten Schachzug nachzudenken. “Ich habe 3 Kinder und einen Mann.“ Jetzt war es Zeit, nach dem Namen des holden Geschöpfes zu fragen, dessen Telefonnummer ich nicht kannte, die aber meine kannte. “Renate“ lautete das Umfrageergebnis. Ich spürte deutlich die Wasserader unter meinem Stuhl innehalten. Ja, bereitwillig nannte sie sogar ihren Nachnamen, aber der war für meine Umfrage vollkommen unrelevant. Mich interessieren nur die Vornamen der Frauen. Die Nachnamen kann man ändern, wenn einem die Richtige über den Weg läuft.

Die Zeit - sie war längst zu einem Faktor in diesem Gespräch geworden - schritt fort. Was um alles in dieser Welt hält eine Frau solange in einem Telefonat, dass selbst der Verlust eines potentiellen Kunden für die Firma noch ein Gewinn für die eigene Person sein konnte? Zugegeben, solcherlei Gespräche waren für mich nichts Ungewöhnliches. Und doch frage ich mich immer wieder - was geht in den Personen vor, die mir nicht widerstehen können? “Ich habe ja Ihre Telefonnummer und so kann ich Sie jederzeit anrufen.“ Da hatte sie Recht - Und doch, das Telefonat wollte nicht enden. Renate hatte wahrscheinlich das Feminine in mir entdeckt, was Frauen einfach zu langen Telefonaten reizt. “Bevor sie nun Ärger mit Ihrem Chef bekommen, sollten wir einen anderen Weg suchen.“ ich bot ihr den Ausweg an, den sie längst hätte nehmen können. “Da haben Sie Recht.“ “Ich meine, ich kenne Ihren Chef nicht, aber eigentlich ist ein Physiker kein potentieller Kunde für eine Firma, die sich mit Umwelt Technologie beschäftigt. Da haben sie doch genug Physiker im eigenen Hause.“ Ich sah, wie Renates Ehe mit den 3 Kindern und dem Ehemann an ihrem geistigen Auge vorbeizog und hoffte, sie würde nun endlich einen Weg finden, sich von meiner Stimme zu lösen.

“Ich habe ja Ihre Telefonnummer. Und da kann ich Sie anrufen“. “Ja“, antwortete ich. Renate sagte noch einmal höflich “Auf Wiederhören“ und ich kniete nieder und erbat mir eine neue Stimme von der Telekom. So einen Verzerrer wie ihn Jimmy Hendrix zwischen den Zähnen eingebaut bekam, das wäre etwas. Renate hat damals Jimmy noch gehört und in meiner Stimme wahrscheinlich ein Stück Jugend erlebt. In Wirklichkeit bin ich längst in dem Alter, Jimmy zu folgen, aber das ist Renate auch, wie ich neben vielem Anderen in diesem Telefonat erfuhr. Sonderbar ist nur, dass ich meine Telefonrechnung bezahlt hatte - sonst hätte das Telefonat nie statt gefunden. Meine Telefonnummer beginnt mit 0525......., aber bitte erst nach der Arbeit anrufen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.08.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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