Rainer Loewe

Männergedanken


Er saß vor seinem Computer und wusste eigentlich gar nicht genau, was er jetzt schreiben sollte. Er fing einfach einmal an.

Heute Nachmittag hatte er P. besucht, eine Frau, verheiratet, eine große Tochter, die er vor einigen Monaten kennen gelernt hatte. Sie war schon einige Male bei ihm gewesen, und irgendwann hatten sie angefangen, miteinander zu schlafen. Sie war so ganz das Gegenteil von den bisherigen Frauen, den kurzfristigen Beziehungen, die er in den vergangenen Jahren gehabt hatte: klein, sportlich, naturbewusst, sehr sinnlich - aber auch eine sehr gute Zuhörerin, an tibetanischer und keltischer Kultur interessiert, ruhig - und oft mit einem so lieben Lächeln, dass es ihm immer wieder die Sprache verschlug.

Am Samstagabend war er auf ein Rock-Festival gefahren, von dem sie ihm erzählt hatte und auf das sie gehen würde. Er war hingefahren, natürlich nicht der Musik wegen. Und da war sie dann, mit Familie, Freunden … Ihn interessierte diese Art von Musik eigentlich nicht sehr, aber es gefiel ihm, sie so zu sehen: tanzend, später mit einem Bier in der Hand neben ihm. Und er hatte sich gesonnt in dem Gefühl der Zuneigung, das sie offensichtlich für ihn empfand.

Und an diesem Nachmittag hatte er sie zu Hause besucht. Er musste auf sie warten und ihre Tochter hatte ihm Gesellschaft geleistet. Sie kam erst später, wirkte unruhig, ja geradezu aggressiv, wenigstens gegenüber ihrer Tochter, aber das hatte sich dann gelegt. Sie sei eben unruhig wegen dieser ganzen gewesenen und zukünftigen Prüfungen, auch wegen der Unschlüssigkeit, wie es jetzt beruflich bei ihr weitergehen werde, das Fernweh sei auch da …. Sie tranken Rotwein, rauchten - und verstanden sich einfach. Er war nach einigen Stunden gegangen; eine leichte Depression hatte ihn ganz plötzlich überfallen. Er sah immer wieder, in welchen Bahnen sich sein Leben vielleicht hätte auch bewegen können, wenn alles „geklappt“ hätte: ein Familienleben mit einer geliebten, begehrenswerten Frau, mit gemeinsamen Hobbys, Interessen, einem schönen Haus, viel Natur und viel Zeit … Na ja, so war wohl das Leben. Er hoffte, noch sehr lange Zeit mit ihr zusammen sein zu können. Wahrscheinlich würde es auf die Dauer recht schwer werden; als „Geliebter“ wurde ja geradezu von einem erwartet, sich immer nur von der Sonnenseite zu zeigen - und das war, bedingt durch den beruflichen Stress, die mangelnde Zeit, dieses nervige Absprechen von „Dates“ ohne viel Spontaneität, gar nicht so einfach. Er dachte aber jetzt nicht an diese Schwierigkeiten, sondern daran, dass es da jemanden gab, der sehr gut zu ihm passte und den er sehr, sehr gerne hatte. Was zählte, war das Jetzt. Warum sich das Leben schwer machen durch das Nachdenken über eine ungewisse Zukunft?

Tja, da hatte er ja doch einiges zusammengeschrieben, seine erst ziellosen Gedanken zu Papier gebracht. Er würde jetzt den PC ausschalten, sich hinter ein Buch zurückziehen (Science Fiction gefiel ihm wieder ganz gut) und dann irgendwann ins Bett gehen. Viel Rotwein trinken wollte er nicht, auch nicht rauchen (was tat er nicht alles für seinen Blutdruck!), aber ein Gläschen würde er sich schon noch gönnen! Er vermisste „seine“ P., aber er war auf der anderen Seite auch daran gewöhnt, allein einzuschlafen und allein aufzuwachen; das Gefühl des Alleinseins würde bald vorübergehen; er kannte es ja. Der Nachmittag heute war ein kleiner Höhepunkt gewesen; er war gespannt, was die Zukunft noch für sie beide bereit hielt.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.09.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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