Viola Huber

Der kleine Stern

Es war einmal ein kleiner Stern, der hatte seinem Weg verloren und wußte nicht, wohin er gehörte. Also machte er sich auf die lange Reise, sein verlorenes Ziel wiederzufinden. Eines Nachts, nachdem der kleine Stern ein paar Tage gewandert war, saß er auf dem Ast eine großen Eiche und ruhte sich aus. Der Mond ging auf, er leuchtete auf den Stern hinunter und sagte: “Kleiner Stern, hör mir gut zu. Morgen wirst du an eine Wegkreuzung kommen. 7 Wege werden es sein, alle haben ein Ziel, doch nur einer ist der richtige. Überlege gut, welchen Pfad du wählst. Sie klug und folge deinem Herzen, dann wirst du deinen wahren Weg finden.“
Am nächsten Tag zog der kleine Stern weiter, und bald darauf erreichte er die Wegkreuzung, von der der Mond gesprochen hatte. Nach außen hin sahen alle Wege gleich aus, doch ihr Geist unterschied sich:
Der erste Pfad glänzte, als wäre er von reinem Gold. Der zweite schimmerte silbern, einem Mondstrahl gleich. Der dritte Weg bestand aus weißen Federn, weich wie Daunen, während der vierte Pfad aus schwarzen, schroffen Steinen war. Der fünfte Pfad war von feinem gelb-braunem Sand. Der Geist des sechsten Weges war geschaffen aus brauner Erde, umsäumt von grünen Eichenblättern. Und der siebte Pfad schließlich war aus kristallklarem, tiefblauem Meerwasser.
Der kleine Stern war verwirrt. Welchen Weg sollte er wählen? Im Geist schienen sie auf den ersten Blick alle positiv. Der Stern betrachtete nachdenklich den goldenen Pfad. Zwar glänzte er wunderschön, aber ihm fiel ein, daß in vielen alten Geschichten gerade dieser Glanz zu falschen Entscheidungen verleitete. Dieser Weg fiel also schon einmal weg. Der kleine Stern sah sich den silbernen Pfad an. Silber war reiner als Gold, doch auch sein Glanz konnte trügerisch sein. Ganz anders verhielt es sich mit dem Weg aus weißen Federn. Sie erinnerten an weiße Tauben, an Frieden und Unschuld. Der kleine Stern zögerte. Unschuld wie die eines Kindes - sollte dies der richtige Weg sein? Oder würde es eher bedeuten, daß er ´seine Hände in Unschuld wusch´? Niemand ist unfehlbar, dachte der kleine Stern, man muß sich seine Fehler eingestehen und mit ihnen leben! Er betrachtete den Pfad mit den harten schwarzen Steinen, bekam jedoch Angst, daß sie ihn verletzen könnten und schob den Gedanken beiseite. Der Weg aus gelb-braunem Sand schien ihm ungefährlicher, aber dann fiel ihm ein, daß Sand leicht bröckelte und verwischen konnte, so daß er sich vielleicht verirrte. Der Stern sah zum sechsten Weg hinüber: Eichenblätter, grün wie die Hoffnung, säumten braune Erde. Der Geist von Mutter Erde, Mon-o-lah. Doch konnten Blätter nicht vom Wind verweht, im Sturm zerstört werden? War ihre grüne Farbe nicht vergänglich? Doch selbst wenn - die grünen Blätter würden vergehen und wieder zu Erde werden, ein nie endender Kreis. Noch war der kleine Stern sich nicht sicher, denn immerhin bestand der Geist des letzten, des siebten Weges aus tiefblauem Wasser, blau wie die Treue. Wasser konnte sanft und beruhigend sein, aber auch wild und tobend. Wasser spendete Leben - den Pflanzen, den Tieren und anderen Lebewesen. Doch es konnte auch todbringend sein; seine Stärke und Ausdauer vermochte Felsen zu zerstören. Leben und Tod, eins konnte ohne das andere nicht sein, alles gehörte zusammen...
Nun war der kleine Stern wirklich durcheinander. Er konnte sich nicht entscheiden - sollte er den sechsten Pfad wählen, oder den siebten? Beide symbolisierten im Geiste Leben und Tod, die Kraft der Natur. Der Stern überlegte gründlich. Die grünen Blätter, die zur Erde werden. Die Hoffnung, die im Schoß von Mutter Erde ruht. Die Hoffnung, die niemals starb, selbst wenn sie verborgen lag. Solange es Hoffnung gab, war auch ein Ziel in Sicht! Der kleine Stern lächelte, er faßte neuen Mut. Wenn er den sechsten Pfad wählte, würde er das Ziel erreichen, welches das Schicksal für ihn vorgesehen hatte. Er durfte nur die Hoffnung nicht aufgeben! Dieser Gedanke war es, den er tief in sein Herz aufnahm, als er dem Weg aus Erde und grünen Eichenblättern folgte.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.09.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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