Markus Zinnecker

Bomber

In der düsteren Werkstatt, schwach beleuchtet vom Feuerschein der Esse, steht der Schmied. Er greift in den Haufen verbogenen Schrottes, besieht ein Stück, legt es zurück und nimmt ein anderes. Dieses legt er in die Esse, wartet und holt es wieder heraus. Wendet das Metall, wartet in tiefer Ruhe auf die richtige Farbe der Glut. Wenn alles bereit ist wirft er die Ruhe ab, in rasender Folge donnert der Hammerkopf auf den Stahl. Schlägt und verdichtet die Moleküle des Materials, verformt und gestaltet feinste Formen. Der Name des Meisters ist Zeit, sein Hammer heißt Schicksal und der Ambos Geschichte.

Zwei Männer verlassen an einem dunklen, verregneten Tag die warme Helligkeit eines schützenden Gebäudes, mit eiligen Schritten nähern sie sich ihrem Ziel. Einem Flugzeug, das auf dem Rollfeld vor den Hallen abgestellt ist. In der Ferne verschwindet gerade der Tankwagen, der gerade noch die Tanks des mechanischen Riesenvogels gefüllt hat. Der Rumpf des Flugzeugs glänzt nass im Regen, der verblichene Tarnanstrich der Maschine, ein Relikt seiner kriegerischen Vergangenheit, wirkt frisch und freundlich, ein Farbtupfen vor dem Grau. Grauer Asphalt, grauer Himmel, graue Blechkisten, die von zwei Arbeitern in den Bauch der Maschine gestopft werden. Dort wo einst Bomben lagen türmen sich nun friedlich harmlose Behälter. Kisten mit den Dingen die das Leben erhalten, statt stählernen Grüßen des Todes.

Die Motoren erwachen brüllend zum Leben, in rasender Fahrt donnert die Maschine dem Himmel entgegen. Hinauf zur Sonne, das Wolkengrau unter sich lassend. Dem Morgen entgegen. Der Kompass zeigt Osten, irgendwo in der Ferne liegt das Ziel. Eine verschlossene Stadt, umzingelt von Feinden des Lebens. In langsamem Sinkflug durchschneiden die Propeller die Wolken, bald kommt in Sicht was die Wolken verbargen. Ein Gebirge aus Trümmern, grau wie der Himmel. Milliarden Steine, einst kunstvoll gefügt zu den Gebirgen der Architektur. Heimstätte des Lebens, der Arbeit, des Menschen. Zerschlagen, zerrissen, zerstückelt, ein Ozean des Todes, aber doch nicht völlig leer. Auf einem Trümmerhaufen stehen Kinder, sie lachen und winken den beiden Männern und ihrem Flugzeug zu. Einer der beiden öffnet das Fenster, wirft etwas hinaus. Ein kleines Päckchen schwebt, von einem winzigen Fallschirm getragen, langsam zur Erde. Die Kinder laufen, zerreißen das Papier und winken wieder, auf der Schokolade kauend.

Reifen quietschen, Motoren dröhnen und langsam rollt die Maschine aus. Auf dem Flugfeld in der zerstörten Stadt, eine winzige Oase der Ordnung in einer Wüste des Chaos, ruht der stählerne Adler aus. Die beiden Männer sehen zu wie die grauen Kisten den grünen Rumpf verlassen, fortgetragen werden und durch leere Exemplare ersetzt werden. Wieder bereit für den Rückflug, leichter an Last, doch noch immer schwer an Verantwortung. Wie viele solche Flüge werden wohl noch nötig sein? Wann wird die Grausamkeit endgültig vor dem Verstand kapitulieren?

 

Die beiden Männer sind noch oft gemeinsam zu ihrem Flugzeug gegangen, aufgestiegen und zu fernen Zielen geflogen. Auch in die zerstörte, irgendwann aber nicht mehr umzingelte, Stadt. Sie sahen sie auferstehen aus den Ruinen, neu erbaut und glänzend, in ihrem Herzen gespalten für lange Zeit, bis zur Stunde der erneuten Vereinigung. Doch jene Maschine, aus jenen dunklen Tagen, haben sie nie vergessen. Einer der beiden sprach es irgendwann aus, erzählte von jenen Tagen, von jener Maschine. Von einem Schwert des Himmels, das vom großen Meister Zeit ins Feuer der Esse der Geschichte geworfen, auf dem Ambos der Gerechtigkeit mit dem Hammer des Schicksaals zu einer besonderen Pflugschaar geschmiedet wurde. Das aus einem Instrument des Todes ein Werkzeug des Friedens geworden war, mag irrsinnig klingen, aber doch ist es geschehen. Dieses eine Mal ganz sicher und viele weitere Male, damals und heute, jeden Tag, zu jeder Stunde und an vielen Orten.

Jenes ganz besondere Schwert war ein amerikanischer Bomber, ein Flugzeug des Typs B-24 Liberator. Gebaut für und eingesetzt im Zweiten Weltkrieg. Eine der schrecklichen Waffen, die zu jener Zeit Tod und Leid an so viele Orte brachten. Doch diesem einen Exemplar war ein besonderes Los zugefallen. In den Tagen der Luftbrücke für Berlin trug es keine Bomben sondern Fracht. All jene Dinge, die in der verschlossenen Stadt zum Leben gebraucht wurden. Dreihundertzweiundzwanzig Tage lang, vom 24. Juni 1948 bis zum 12. Mai 1949, bildeten die Versorgungsflüge der westlichen Alliierten die Lebensader der Stadt. Bis heute sind sie als Rosinenbomber bekannt. Dass dies bei einigen von ihnen nur sehr wörtlich zu verstehen war, wissen dabei nur wenige. Jene B-24 trug nur kurze Zeit vorher Bomben aus Stahl und Dynamit, eine Fracht des Todes, möglicherweise auch nach Berlin. Niemand weiß es und eigentlich ist es auch irrelevant. Denn einer Bombe ist es völlig gleichgültig was sie zerstört, wen sie zerfetzt und wohin sie Schrecken und Verderben bringt. Das Flugzeug wurde in jenen Tagen zu mehr als einer fliegenden Maschine. Es war ein Symbol, eine Erinnerung daran, dass nichts niemals nur gut oder nur böse ist. Eine Maschine ohnehin nicht, denn sie ist nur willenloses Werkzeug.

Es heißt, die Zeit sei ein grausames Raubtier. Ein Untier das um das Lager des Lebens schleicht, es anzugreifen und zu verheeren sucht. Doch ist sie nicht vielmehr ein Meister der Schmiedekunst? Ein kunstfertiger Gestalter, der aus dem immer gleichen Rohstoff ein immer neues Werk zu formen versteht? Der bisweilen auch die Trümmer von Traum und Leben, die vom Kriegsdämon verdrehten und verstümmelten Skulpturen des Friedens, vom Schrotthaufen aufliest, in die Esse wirft und auf dem Ambos, unter dem Hammer, zu neuer Majestät aufrichtet? Doch auch die Werkzeuge des Dämons, die Schlachtmesser und Schwerter des Todes, sind irgendwann stumpf und unbrauchbar. Werden auf den Schrotthaufen geworfen und im Feuer der Esse neu geboren, aus dem Stahl der Friedensskulptur wird leider oft ein neues Schwert geschmiedet, doch noch viel häufiger entsteht eine neue Pflugschaar aus einem alten Schwert.

Oft liegt es am Meister Zeit, aus dem Schrott der Vergangenheit die Schätze der Zukunft zu schmieden.

Hintergrund: Zum Einsatz des ehemaligen Bombers B-24 während der Luftbrücke, durch die britische Royal Airforce, kam es aufgrund eines Mangels an verfügbaren Flugzeugen. Wenigstens ein ehemaliger, provisorisch zum Frachter umgebauter, Bomber wurde so zum buchstäblichen Rosinenbomber über Berlin. Ob eine der heute in Museen auf der ganzen Welt zu sehenden B-24 jenes Flugzeug ist weiß niemand, denn es gibt keine Unterlagen darüber. Diese fast vergessene Fußnote der Geschichte, dass eine verheerende Kriegsmaschine zum Hilfsmittel des Lebens wurde ist aber dennoch ein Symbol der Menschlichkeit, die auch in unmenschlichen Zeiten nie ganz stirbt.

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