Joana Mertens

Misanthrop


Was würde ich dafür geben, mich jetzt verkriechen zu können. Die Türen hinter mir abzuschließen und einfach die Welt zu vergessen. Die Welt, in die ich nicht reingehöre. Einfach eine Decke über den Kopf ziehen zu können und die Augen schließen. Diese Menschenmasse macht mir Angst. So viele auf einen Haufen. Egal wo ich hinsehe, überall Menschen. Welche, die ich kenne, Fremde. Ich will weg hier. Am liebsten würde ich sogar anfangen zu weinen. Einfach so, ohne Grund. Es ist nicht so, dass ich dieses Gefühl dauernd habe, doch an Tagen wie diesem überkommt es mich, ohne, dass ich etwas dagegen tun kann. Vielleicht wirkt es auf Euch arrogant und eingebildet, wenn ich ohne Gesichtsausdruck neben euch stehe und nicht über die Witze lachen kann, die euch die Tränen in die Augen schießen lassen. Das muss die berühmte unerträgliche Leichtigkeit des Seins sein. Ohne Sorgen oder Ängste ein Leben zu leben. Ich bin sicher, sogar ihr habt Angst. Wie schafft ihr es, sie so gut zu verstecken, nicht zu zeigen und zu verdrängen. Wie? Ich halte es nicht mehr aus, es macht mich krank. Eure Nähe macht mir Angst, Eure eiskalte Nähe. Überall Gemurmel und Stimmen, niemals Ruhe, ständiges Gelächter. Es tut mir leid, ich würde Euch so gerne verstehen, doch es ist mir nicht möglich. Nehmt´s mir nicht übel, ich gehe.

Endlich, weg von dem allem. Ich kann es nicht mehr ertragen. Jedesmal das gleiche. Was mache ich eigentlich hier? Könnt ihr mich nicht in Ruhe lassen? Warum versteht ihr nicht, dass ich mich in Eurer Nähe nicht wohl fühle, dass ich lieber laut schreien möchte, als Euch zuzuhören? Ich bin nichts Besseres als ihr! Wir sind gleich und doch unendlich verschieden. Wir werden nie lernen können uns zu verstehen. Ihr könntet mich nicht verstehen. Ich verlange auch gar nicht, dass ihr es versucht.
Lebt, lebt weiter wie bisher, doch lasst mich in Ruhe. Zwingt mich nicht, ich lasse das nicht zu. Je größer die Menge ist, in der ich stehe, desto einsamer fühle ich mich, doch das würdet ihr nie nachfühlen können.
Wie konnte es dazu kommen? Wieso bin ich so geworden? Oder war ich von Anfang an so? Vielleicht ist es Schüchternheit. Nein, das kann es eigentlich nicht sein. Nennt man das introvertiert? Ist es das?
Wenn ich Euch ansehe, wie glücklich ihr mit Euch selbst seid, wie viel Spaß Euch euer Leben macht, ich könnte neidisch werden. Manchmal wünschte ich, ich könnte mit Euch lachen, könnte einfach so mit Euch losziehen und so sein wie alle anderen.

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