Iris Feller

Arman

Da stand dieses kleine Wesen plötzlich vor mir und ich dachte mir, fein, endlich habe ich jemanden zum spielen. Nicht, dass ich total einsam war, aber da wir gerade hierher aufs Land gezogen waren, lebte ich nun von meinen Schulfreunden doch etliche Kilometer weit entfernt und in unmittelbarer Nachbarschaft waren kaum Kinder in meinem Alter. Ich war acht, als unser „Krümelchen“ zu uns kam. O.k., der Altersunterschied war schon groß, ich schätzte ihn so auf drei. Aber egal, er war „verfügbar“ und das reichte mir. Es waren gerade Sommerferien und ich hatte viel Zeit. Wir spielten den ganzen Vormittag zusammen, auf Bäume klettern, Fußball spielen, ich konnte kaum glauben, dass dieser Kleine mithalten konnte. Ich hatte sogar das Gefühl, dass er sich mir anpasste.

Gegen Mittag ließen wir uns nur noch total erschöpft auf mein Sofa plumpsen. Ich freute mich schon, wenn Mama vom Einkaufen nach Hause kommen würde, nicht nur, weil es dann Essen gab, sondern auch, weil ich ihr Krümelchen zeigen wollte. Außerdem konnte ich es gar nicht abwarten, sie zu fragen, ob wir ihn behalten können. Wenn Mama ja sagt, sagt Papa selten nein. Also erst einmal Mama herumbekommen, dachte ich mir, ohne natürlich an so etwas wie Behörden und Formalitäten zu denken.

Kaum hörten wir das Klappern des Schlüssels an der Eingangstür, standen wir auch schon Spalier. Endlich, Mama war da. Als Mama uns – vor allem IHN – erblickte, wurde sie kreideweiß – und das ist bei Mamas immer rosa Teint eigentlich unmöglich, egal wie schlecht es ihr auch ging. Sie bemühte sich – die Einkaufstüten fest umklammert – nicht in Ohnmacht zu fallen. Mit so einer Reaktion hatte ich eigentlich nicht gerechnet. Na ja, Arman – das war Krümelchens Name – sah schon etwas ungewöhnlich aus, mit seinen langen, spitzen Zähnen und seinen Krallen. Auch war seine Haut dunkellila – oder wie sagt man so schön, aubergine - und samtig, wie ganz kurzes Fell. Tja, und seine Augen waren groß und von glühendem Schwarz. Irgendwie sah er wie ein Panther aus, allerdings ging er aufrecht. Und ich wollte Mama fragen, ob wir ihn behalten können. Das konnte ich jetzt wohl erst einmal vergessen. Nun war es zunächst meine Aufgabe, Mama zu beruhigen. Als ich ihr sagte, dass Arman und ich so schön miteinander gespielt hätten, den ganzen Vormittag lang, war das aber keine gute Argumentation und Mama wurde noch blasser. Ihre panikartigen Gedanken schrieen mich förmlich an: „Oh Gott, mein armes Kind, ganz alleine mit diesem, diesem ... was auch immer!“

Arman schien diese Gedanken ebenfalls gehört zu haben und lächelte meine Mama aufmunternd an. Das war allerdings auch keine gute Idee, denn so konnte Mama seine Zähne besonders gut sehen. Wir wussten nicht, wie wir aus dieser misslichen Situation herauskommen sollten. Arman war doch nun wirklich ein niedliches, kleines Geschöpf. Außerdem haben Katzen auch spitze Zähne und Krallen. Und sie sind doch auch niedlich, oder? Also, wo ist das Problem? Mit Arman konnte man sich wenigstens unterhalten und Fußball spielen.

Ich habe Mama ins Wohnzimmer gebracht und sie auf die Couch gebettet. Arman schleifte in der Zeit die Einkaufstüten in die Küche und machte sogar einen Tee für Mama. Mama liebt Rooibos-Tee, am liebsten Sahne-Karamell-Geschmack. Das schien Arman zu wissen, denn als er an mir vorbei zu meiner Mama ging, schwebte dieses Aroma hinter ihm her. Mama nahm ein paar Schlückchen und der heiße Tee tat Wirkung, denn ihr Teint färbte sich wieder ein wenig rosa und ich dachte schon, die Welt sei wieder in Ordnung. Weit gefehlt. Jetzt setzte Mama ihren „bösen“ Blick auf und fragte mich, ob ich ihr denn – mal wieder – nicht zugehört habe, als sie zum hundersten mal sagte, dass ich Fremden nicht trauen sollte. „Aber Arman ist doch lieb“, warf ich ein. Doch als das Wort „Skepsis“ erfunden wurde, hat man wohl an meine Mama gedacht. Denn ohne tausend Beweise glaubt sie nämlich nichts. Als Mama merkte, dass ich den Tränen nah war – Mamas Blick kann wirklich sehr böse sein – nahm sie sich „mein“ Krümelchen vor. Er war mir schon total ans Herz gewachsen und ich hoffte, dass Mama nicht mit ihm schimpfen würde, wo er doch noch so klein war.

„Wer bist du und was willst du hier?“ fragte meine Mama in einem Ton, der MICH schon erschaudern ließ und ich war ja schon „groß“. Wie musste es meinem Krümelchen dabei gegangen sein? Aber Arman blieb ganz ruhig und sagte, dass er nicht hier sein, um uns etwas anzutun, sondern hier – in unserer Welt – irgendwie überleben muss, und zwar egal wie, um – wenn er erwachsen ist und seine Macht sich voll entfalten hat – zurückkehren kann, um seine Heimatwelt zu befreien. Nun, Mama ist jetzt nicht so der Typ, der auf fliegende Untertassen oder ähnliches abfährt. Aber allein die Tatsache, dass Arman nicht wie ein Mensch, aber auch nicht wie ein Tier aussah – und wie eine Pflanze schon mal gar nicht – war sie irgendwie schon geneigt, ihm diese Kurzfassung seiner Existenz abzukaufen. Trotzdem sagte sie zu ihm „Du denkst doch wohl nicht, dass du mich mit den paar Bröckchen an Informationen zufrieden stellen kannst! Außerdem, wie stellst du dir dein Leben hier denn vor? Du siehst nicht gerade unauffällig aus und wirst dich vermutlich auch nicht unauffällig benehmen! Also, Arman, wie geht es weiter?“ „Wenn es um mein Aussehen geht, kann ich Abhilfe schaffen“. „Ach ja?“ fragte meine Mama ungläubig „Und wie willst du das anstellen? Eine Ganzkörpermaske aufsetzen, oder wie?“ „Nein, ich kann jede Gestalt annehmen, die ich möchte.“ „So? Und warum hast du das nicht sofort getan? Dann hättest du dich klammheimlich in unsere Welt schleichen können und keinem wäre aufgefallen, wer oder was du bist. Wenn dich – außer uns – noch jemand gesehen hat, bist du doch schon in Gefahr. Oder glaubst du, dass man dich in einen Kindergarten steckt. Du kannst dir ja wohl denken, wo man dich hinbringen wird, nicht wahr?“ Oh ja, Arman konnte sich durchaus denken, dass das Militär oder die Regierung oder wer auch immer, nicht besonders zimperlich mit ihm umgehen würden. Aber ich wusste ja, dass Arman gerade erst angekommen war, als wir uns im Mamas Blumenbeeten (wo ich eigentlich nicht spielen durfte) begegneten. Ich war also der erste Mensch, der einen wirklichen Außerirdischen zu Gesicht bekommen hat. „Dein Sohn ist der erste Mensch, mit dem ich in Kontakt getreten bin.“ „Bist du sicher, dass dich außer Corvin kein anderer Mensch gesehen hat?“ Da war es wieder. Skepsis pur. Aber so ist Mama halt. Arman war sicher. Innerhalb von Sekunden veränderte er sein Äußeres. Mama und ich konnten es beide nicht fassen. Er war – jedenfalls optisch – zu einem Menschen geworden. Fein, dachte ich, vielleicht kann ich Mama jetzt fragen, ob wir ihn behalten können. Ich nahm also allen Mut zusammen und fragte sie tatsächlich. Sie sah mich erstaunlicherweise gar nicht erschrocken oder böse an, sondern schmunzelte und sagte einfach nur, dass Arman uns jetzt erst einmal ganz genau berichten müsse, wer er sei, wo er herkomme, warum er sich ausgerechnet die Erde ausgesucht habe usw. Und Mama kann wirklich bohrende Fragen stellen und ihr Blick dabei... Puh! Ich war so froh, dass ich nicht derjenige war, der ausgefragt wurde. Aber Arman stand Rede und Antwort.

Als er geboren wurde, haben seine Eltern – König und Königin – ihn und ihr Volk einfach verlassen. Sie waren keine guten Herrscher, denn sie waren unfähig und depressiv. Also haben sie solange durchgehalten, bis sie einen Nachfolger hatten: Arman. Dann sind sie gegangen. Und „gegangen“ heißt nicht, dass sie es sich auf irgend einem anderen Planeten gemütlich gemacht hätten. Nein, sie sind gestorben, nicht an einer Krankheit, sondern durch die eigene Hand. Arman war also gerade geboren und schon König. Klasse. Ein Babykönig ohne Macht. Denn die Macht, Welten beschützen zu können, wird dem zukünftigen König erst dann gegeben, wenn das Höchste Wesen (Arman meinte wohl Gott?) ihn für würdig hält, um ihn an seiner Macht teilhaben zu lassen. Und ein Baby war mit Sicherheit noch nicht würdig.

Es hatte sich in „ihrem“ Teil des Universums schnell herumgesprochen, dass die Marells – so wurde Armans Volk genannt – keinen „richtigen“ Herrscher mehr hatten, sondern nur ein Baby. Es dauerte nicht lange, bis die Hoolans sich mit ihren Kriegsschiffen näherten. Die Hoolans sind gnadenlose Eroberer, die über einen Planeten herfallen, ihn bis zum letzten Tropfen aussaugen, eine öde Wüste hinterlassen und weiterziehen – zum nächsten Paradies, das sie zerstören können. Sie wussten, dass die Welt der Marells nicht genug Widerstand leisten konnte trotz enormer Streitmacht. Aber ohne Anführer waren alle wie gelähmt. Nicht einmal ein Schutzschild konnte Arman errichten. Dafür war er noch zu klein. Die Marells waren den Hoolans ausgeliefert. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu fliehen. Denn sie wussten, die Hoolans machten keine Gefangenen. Millionen von Raumschiffen setzten sich also in Bewegung, und zwar in unterschiedliche Richtungen, damit die Chance größer war, dass wenigstens einige überleben würden. Für den König mussten die Hohepriester besondere Maßnahmen ergreifen. Er durfte auf keinen Fall den Hoolans in die Hände fallen. Arman musste überleben, egal wie, egal wo, um heranzuwachsen, seine angeborenen physischen wie auch mentalen Stärken zu entfalten und vor allen Dingen, um an der Macht des Höchsten Wesens eines Tages teilhaben zu können. Denn ohne diese Macht würden die Marells für immer verloren sein. Also schickten sie ihren König in den Teil des Universums, an den weder die Marells noch die Hoolans noch sonst irgendein Volk in ihrem Teil des Universums je zuvor einen Gedanken verschwendet hatten. Um unauffällig in einer fremden Welt aufwachsen zu können, darf man nicht die Meinung vertreten, he, ich bin ein König, also dient mir. Deshalb wurde Arman eingeschärft, auf keinen Fall Kontakt mit den Einwohnern der fremden Welt aufzunehmen, sondern abgeschieden von jeder anderen Seele heranzuwachsen und sobald wie möglich zurückzukehren, um die Überlebenden wiederzufinden und zu vereinen.

Tja, welches Baby macht schon das, was man ihm sagt. Arman war da keine Ausnahme. Von wegen irgendwo im Untergrund darauf warten, endlich erwachsen zu werden. Arman war ein Baby, egal ob König oder nicht, und brauchte Nestwärme. Er konnte nicht alleine sein und wollte es auch nicht. Arman konnte froh sein, dass er auf unsere Familie gestoßen ist. Auch wenn Mama zunächst in Panik ausgebrochen ist, war doch klar, dass sie ihn niemals ausliefern würde. Sie ist eben Mama. Und Mamas verraten ihre Kinder nicht.

Nachdem Mama das alles gehört hatte, sah ich schon an ihrem Gesichtsausdruck, dass ihr Mutterinstinkt und Helferleinsyndrom sie voll erwischt hatten. Sie glaubte ihm. Das war unfassbar. Meine Mama glaubte so eine Geschichte. Meine Mama, die für alles tausend Beweise brauchte, sie glaubte ihm. Eine Hürde geschafft. Jetzt war es an der Zeit, die zweite Hürde zu nehmen: Papa. Meistens sind Mama und Papa sich ja einig. Aber in diesem Fall, nun, die Chancen standen schlecht. Schließlich haben wir, um Mama zu überzeugen, den ganzen Nachmittag gebraucht. Wie lange würden wir Papa, der jeden Moment aus dem Büro kommen sollte, bearbeiten müssen? Mama schickte uns in mein Zimmer und bereitete sich seelisch und argumentatorisch auf die Diskussion mit Papa vor. Und es war unausweichlich, dass es eine heiße Diskussion werden würde. Deshalb wollte sie uns Kinder wohl aus den Füßen haben.

Wir hörten Mama im Schlafzimmer rumoren, wir spionierten durch das Schlüsselloch und sahen, wie Mama sich in ein Hauch von Nichts warf. Jetzt war klar, warum wir in mein Zimmer gehen sollten. Wir hörten sie noch in der Küche klappern, wie sagt man, Liebe geht durch den Magen ... Dann kam Papa.

Wir warteten und warteten, aber Papa kam nicht ins Zimmer gestürzt. Es passierte gar nichts. Es war schon spät in der Nacht und uns fielen langsam die Augen zu. Irgendwann müssen wir wohl eingeschlafen sein. Am nächsten Morgen kam Mama in mein Zimmer und ich befürchtete das Schlimmste ... dass mein Krümelchen ausgeliefert wird, weil ach so gefährlich. Mama strich uns beiden! durch das Haar „Kommt frühstücken, es gibt viel zu besprechen“ sagte sie und verschwand wieder. Da schnappte ich mir mein Krümelchen und knuddelte ihn, so dass er wohl befürchten musste, erdrückt zu werden. „Du weißt ja noch gar nicht, wie deine Eltern entschieden haben.“ Arman sah jetzt aus wie ein kleines Häufchen Elend. Aber klar wusste ich es. Meine Eltern liefern doch kein Kind aus, egal welcher Spezies es auch angehören mag. Dafür haben beide einen zu stark ausgeprägten Beschützerinstinkt. Ich weiß noch, als ich mit meinen Eltern mal mit dem Bus unterwegs war und mich ein Mann beinahe zur Seite geschubst hätte, weil ich im Hinterkopf ja schließlich keine Augen habe und nicht wusste, dass er vorbei wollte. Da habe ich meine Eltern zum ersten mal handgreiflich erlebt. Beide haben sich regelrecht auf ihn gestürzt und Papa hat ihn am Kragen genommen und ihm richtig gedroht „Wenn Sie es noch einmal wagen sollten, meinem Sohn zu nahe zu kommen, vernichte ich Sie!“ Ja, tatsächlich, er sagte „vernichten“. Oh Mann, da war Papa aber gut in Fahrt. Er sollte nicht so viele Action-Filme gucken...

Der Frühstückstisch sah mal wieder einladend aus. Er war vollgestellt mit den köstlichsten Leckereien, Papa war wohl – wie immer am Samstag – zum Bäcker gegangen und hat den Laden diesmal vermutlich leergekauft. Mamas Aufgabe ist es dann, das Erworbene kunstvoll auf dem Esstisch zu platzieren, was ihr auch diesmal wieder gelungen war.

Wir platzten fast vor Neugierde und wollten nun endlich wissen, was meine Eltern entschieden hatten. Aber sie ließen uns noch etwas zappeln und das Frühstück begann erst einmal. Nach einigen Minuten, die mir wie Stunden vorkamen, ging der Redeschwall los. Es wurde über alle möglichen organisatorischen Dinge gesprochen, wie Arman in unsere Familie integriert werden sollte, ohne dass es auffiel. Eigentlich unmöglich. Vorsichtig fragte Mama, ob Arman sich denn auch jünger machen könnte. Ich sah in Papas versteinertes Gesicht und wusste, worauf Mama hinaus wollte. Sie hatte es noch nicht einmal Omi gesagt, geschweige denn sonst jemandem, außer Papa und mir. Sie hätte es auch nicht vor uns verheimlichen können, denn schließlich haben wir es mitbekommen, als sie vor Schmerzen zusammenbrach. Wir wussten noch nicht, ob es ein Junge oder ein Mädchen geworden wäre. Insgeheim hoffte ich, ein Brüderchen zu bekommen. Aber es hatte nicht sollen sein.

Da wir ja neu im Dorf waren, hatte Mama noch keinen Gynäkologen aufgesucht. Das hatte sie auf später vertagt, sobald wir mit dem Umzug vollständig fertig gewesen wären. Als Mama ihr Baby verlor, war sie unsagbar traurig und wollte es einfach nicht wahrhaben. Und da es keine Komplikationen gab, konnte Mama sich davor drücken, zum Arzt zu gehen. Außerdem mussten wir Mama versprechen, es niemandem zu sagen und als Omi anrief und fragte, wie es uns denn so ginge, war es ein hartes Stück Arbeit, nicht die Wahrheit herauszusprudeln. Aber Omi hatte sich ja so sehr auf das zweite Enkelkind gefreut. Also haben wir ihr die traurige Nachricht verschwiegen. Da Omi in einem anderen Bundesland wohnt, besuchen wir uns gegenseitig nicht allzu häufig. Daher hatten wir noch etwas Zeit, um einen Weg zu finden, es Omi schonend beizubringen.

„Ja, ich kann mich jünger machen, wie alt hättest du mich denn gerne?“ Armans Antwort riss Papa und mich aus unserer Lethargie und für Mama war klar, ihr Baby, das sie schon verloren glaubte, hieß Arman.

Es war ein Wink des Schicksals, dass Mama hier auf dem Dorf noch keinen Gynäkologen aufgesucht hatte. So konnte sie versuchen, Dr. Hauser – der einzige Frauenarzt im Dorf – nun weiszumachen, dass sie ihr Baby zu Hause auf die Welt gebracht hatte. Die Unterlagen über ihre Schwangerschaft lagen schließlich bei ihrem langjährigen Arzt Dr. Wagner vor. Natürlich wollte Dr. Hauser Mama und Arman untersuchen. Mama konnte sich aber nicht untersuchen lassen, denn ein Gynäkologe hätte mit Sicherheit gesehen, ob eine Frau gerade ein Kind geboren hat oder eben nicht. Also flunkerte sie ihm vor, dass sie sich momentan „unförmig“ fühle und sich daher schämen würde, sich zu zeigen. Aber es ginge ihr gut und sobald sie Probleme hätte, würde sie selbstverständlich zu ihm kommen. Dr. Hauser war mit dieser Aussage fürs erste zufrieden aber wollte auf jeden Fall das Krümelchen sehen. Schließlich musste alles seinen geregelten Gang gehen. Bald hatte Arman eine Geburtsurkunde und war somit deutscher Erdenbürger. Wir hatten also der Bürokratie ein Schnippchen geschlagen und ich bekam mein heißersehntes Brüderchen. Meine Eltern kamen mit der Situation hervorragend zurecht und Omi war ganz vernarrt in ihren neuen Enkel.

Die Jahre vergingen und keiner von uns dachte mehr daran, dass Arman nicht hier geboren wurde. Er war wie ein „normaler“ Mensch, das Äußere sowieso, aber auch wie er sich verhielt. Niemand, der ihn kannte, wäre jemals auf die Idee gekommen, dass er kein Mensch war. Auch wenn er zwischenzeitlich eine Kirche – ich zog ihn immer auf, indem ich Sekte sagte – gegründet hatte und die Anhängerschar fast täglich anwuchs. Die Glaubensrichtung war, hm wie soll ich sagen, altägyptisch. Er war der Pharao, die Anhänger seine Untertanen. Es war schon erstaunlich, wie sein Machtpotential von Tag zu Tag umfassender wurde. Ich muss eingestehen, dass mir langsam doch ein wenig mulmig zumute wurde, denn seine Wesenszüge veränderten sich. Er war ja schon lange nicht mehr unser Krümelchen, schließlich war er mittlerweile ein Mann von 35 Jahren. Aber da war etwas anderes, ich merkte, dass der „König“ in ihm erwachte.

In den Nachrichten wurde von einem anwachsenden Energiefeld unbekannter Herkunft, das unsere Erde umgab, gesprochen. Natürlich hatte ich Arman im Verdacht, aber ich traute mich nicht, ihn darauf anzusprechen. Das Energiefeld wurde mit der Zeit so stark, dass man ständig und überall eine „gewischt“ bekam. Aber das war nicht das Schlimmste, sondern diese Energie schien uns allen förmlich die Luft abzuschnüren. Das war zuviel! Also ging ich wutschnaubend, soweit möglich mit abgedrückter Luftzufuhr, zu Arman und schrie ihn an, er solle seine Macht gefälligst anderswo testen und uns in Ruhe lassen. „Du denkst, dass das bisschen Unannehmlichkeit schlimm sei?“ erwiderte er traurig. „Sie kommen und ich weiß nicht, ob mein Schutzschild, das euch ach so große Probleme bereitet, stark genug ist, euch vor ihnen zu schützen. Ich bin noch nicht so weit.“ Oh Gott, ich wusste, was er meinte. Die Hoolans waren auf dem Weg zu uns und das Höchste Wesen hatte Arman noch nicht an seiner Macht teilhaben lassen. „Du kannst schon ohne die Hilfe des Höchsten Wesens eine solche Energie aufbringen? Und das reicht nicht?“ Mir wurden die Knie weich und ich musste mich auf einen Stuhl setzen. „Wieso erachtet dich das Höchste Wesen denn nicht als würdig? Schließlich übst du doch schon so lange, König zu sein mit deiner ... Kirche. Du musst doch würdig sein, du musst einfach!“ Ich war am Ende meiner Kraft und konnte keinen Ton mehr herausbringen. Ein dreiundvierzigjähriger Anwalt war auf einmal sprachlos. Wir entschlossen uns, unseren Eltern – Omi hatte uns vor zwei Jahren verlassen, warum sagt man immer verlassen und nicht wie es ist, gestorben ? – zunächst nichts von dem bevorstehenden Angriff zu erzählen. Wir warteten ab, denn es gab einfach nichts, was wir hätten tun können. Dann, zwei Tage nach Armans 36. Geburtstag waren sie für unsere irdischen Teleskope zu erkennen. Eine Armada von Raumschiffen.

Jeder, der uns Menschen für einzigartig und außerirdisches Leben für unmöglich gehalten hatte, wurde jetzt eines Besseren belehrt. Sie kamen näher und unsere Regierungen versuchten, Kontakt aufzunehmen. Keine Reaktion. Warum sollten die Hoolans auch mit uns sprechen wollen? Sie wollten unseren Planeten, wir Menschen waren nur die Vorspeise.

Dann feuerten sie auf uns. Armans Schutzschild musste bei dieser Feuerkraft ein Schweizer Käse geworden sein, aber es hielt. Natürlich war die Verwunderung bei unseren Regierungen groß, dass es keine Schäden gab. Sie wussten zwar, dass die Erde von einer Energie umgeben war, aber dass es ein Schutzschild war, konnten sie natürlich nicht wissen. Jetzt war es an der Zeit, dass Arman seiner „Gastgeberwelt“ reinen Wein einschenkte, was er auch tat. Das nun weltweite fassungslose Schweigen gepaart mit Milliarden von aufschreienden Gedanken war so laut, dass einem das Trommelfell zu zerplatzen schien. Dann wieder eine Salve der Hoolans. Diesmal mit einer Feuerkraft, der kein noch so starkes Schutzschild hätte standhalten können. Diesmal kamen wir also nicht mehr so glimpflich daran vorbei. Es gab viele Tote und zerstörte Städte. Das Schutzschild hing förmlich in Fetzen. Unsere Panik war nicht mehr in Worte zu fassen. Vielmehr wuchs sie noch weiter an, als man merkte, dass unsere eigene Feuerkraft absolut nichts bewirkte. GAR NICHTS! Wahrscheinlich hatten die Hoolans nur ein müdes Lächeln dafür übrig.

Es konnte nur Bruchteile von Sekunden vor dem dritten Angriff der Hoolans, vor der Vernichtung unserer Welt, gewesen sein, als das ganze Universum – so kam es mir vor – von einem grellen Licht erfüllt wurde. Dieses allumfassende Licht bündelte sich und erfasste mit voller Kraft ... ARMAN.

ER WURDE ZUM LICHT. Seine Strahlung zerstörte die komplette Armada der Hoolans innerhalb eines Wimpernschlags. Die MACHT, er hatte sie bekommen. Das Höchste Wesen erachtete ihn als würdig.

Arman ist jetzt unser König. Mit uns meine ich nicht, uns Menschen allein, sondern wir UND die Marells. Er hatte sich sofort, nachdem die Hoolans vernichtet waren, auf den Weg gemacht, um die Überlebenden seiner Heimatwelt zu finden. Er brachte sie mit. Wir staunten nicht schlecht, als wir die unbeschreibliche Anzahl von Raumschiffen ankommen sahen. Das waren die Überlebenden? Wie groß musste dann das ganze Volk gewesen sein? Sie ließen sich auf allen Planeten in unserem Sonnensystem nieder. Arman hatte dafür gesorgt, dass die Planeten Leben beherbergen konnten, will sagen, er hat Paradiese geschaffen.

Einige Marells leben auch hier auf der Erde, was nicht ganz so einfach ist, denn sie sind Jäger. Nicht solche mit Hütchen und Gewehr, sondern eher wie Raubtiere ... so wie sie halt auch aussehen ... wie Panther eben, nur aufrecht gehend ... Wer also nicht als Mahlzeit enden möchte, muss lernen, sich zu wehren. Es ist – von Gesetz her, Armans Gesetz – weder für Menschen erlaubt, schwer bewaffnet durch die Gegend zu streifen und Marells einfach abzuknallen, noch ist es den Marells erlaubt, Menschen, die sich nicht wehren können, zu jagen, geschweige denn zu verspeisen. Da frage ich mich, wer kann sich denn – außer Kampfsportexperten – überhaupt gegen die über zwei Meter großen und muskulösen Marells wehren? Etwas Positives gibt es jedoch. Sobald man mit einem Marell Freundschaft geschlossen hat, wird er einen niemals mehr als Jagdobjekt betrachten. Eigentlich ist es auch gar nicht so schwer, sie zum Freund zu bekommen, da sie sehr anhänglich und gesellig sind. Hm, aber was essen sie dann? Müsli? Wie gut, dass ich der „Bruder“ ihres Königs bin, mich rühren sie auf jeden Fall nicht an, und „unsere“ Eltern natürlich auch nicht. Ich weiß, das ist egoistisch gedacht. Aber wer will schon als Pantherfutter enden?

Na ja, es gibt sicherlich noch Einiges zu klären, bis das Zusammenleben mit dieser Spezies funktioniert. Aber wer hat denn auch gesagt, dass es einfach sein würde?

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Iris Feller).
Der Beitrag wurde von Iris Feller auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.09.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Iris Feller als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Streifzug durch den Lebensgarten von Gerhild Decker



Stimmungsvolle Gedichte und Geschichten mit viel Geist, immer gepaart mit einem Herz-und Augenzwinkern!

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Science-Fiction" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Iris Feller

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Bobby, der kleine Spatz von Iris Feller (Gute Nacht Geschichten)
Der Tod ist der engste Verbündete des Lebens von Daniel Polster (Science-Fiction)
Blutlust von Norman Buschmann (Horror)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen