Christina Hartken

Ein kurzer Moment

Das verflixte Radio lässt sich weder ausschalten noch lässt sich der Sender verstellen. Somit muss sie wohl oder übel weiterhin diesem nervigen ihr unbekannten Song zuhören.

Denn weder lauter – geschweige denn leiser – stellen ist aktuell eine Option.

Sie atmet tief durch und umfasst das Lenkrad noch fester. Der Tag kann ja nur noch beschissener werden. Gefühlt eine Ewigkeit versucht sie nun schon durch den Regen, der unaufhörlich vom Himmel und auf die Scheibe ihres Auto prasselt, den richtigen Weg zu finden. Der Wetterbericht hatte von einem leichten Regen gesprochen. Aber mit leicht hat diese Sturmflut, die vom Himmel kommt, ja mal gar nichts gemeinsam.

Im diesem Schneckentempo, das sie auf Grund des Regens notgedrungen bei behalten muss, wird sie noch Stunden brauchen bis sie ihr Ziel erreicht.

Während sie angestrengt durch die leicht beschlagene Scheibe auf die Straße schaut und das Wetter verflucht, läuft im Radio das Lied 'Best day of my life' von der Band American Authors.

Der beste Tag ihres Lebens - ja sicher doch. Wohl eher der schlimmste Tag ever.

Selbst der blöde Scheibenwischer passt sich anscheinend dem Rhythmus des Songs an, als wenn dieser sich riesig über die gute Musik und den Regen freuen würde.

Immerhin geht noch die doofe Heizung in diesem schrottreifen Auto. Es ist ja nicht so, als wenn man draußen erfrieren würde, aber der Herbst ist nun einmal kühler als der Sommer.

Eigentlich müsste bald das Schild kommen, das …

„So ein Mist aber auch!“ Und schon ist sie daran vorbei gefahren. Musste sie nun links ab oder war die Stadt erst über die nächste Abfahrt zu erreichen.

Sie seufzt und beginnt zu bremsen. Ihr bleibt wohl nichts anderes übrig, als zu wenden und nochmals auf das Schild zu schauen. Vorsichtig fährt sie weit genug nach rechts, um wenden zu können. Da der Straßenrand nur aus Matsch und Gestrüpp besteht – zumindest meint sie so etwas durch die nassen Scheiben gesehen zu haben – ist sie noch einmal vorsichtiger. Nicht, dass sie noch im Graben landet. Das wäre der Obergau.

Ohne im Seitengraben zu landen, fährt sie nun wieder das kurze Stück zurück. Beim Schild angekommen, wird ihr bewusst, dass der Ort gar nicht darauf zu sehen ist.

„Verdammt!“ Ja, ihr ist bewusst, dass sie zu viel flucht.

Im Radio wird gerade der Song 'Wrong way' gespielt. Danke, sie weiß auch, dass es der falsche Weg ist.

Warum kann nicht mal einmal etwas so laufen, wie sie es sich wünscht.

Auf dem Beifahrersitz liegt eine Straßenkarte, die sie sich nun zu Hilfe nimmt. Sie schaut sich die eigentliche markierte Route auf der Karte an und vergleicht es mit den Namen der Städte, die auf dem Schild zu sehen sind.

„Na gut, das ist ja nicht so weit weg vom eigentlichen Weg.“ Sie versucht sich selbst damit zu beruhigen und nicht in Panik zu verfallen. Nur ein paar Meilen liegen zwischen dem Weg zu ihrem Ziel und ihrem aktuellen Standort. Das bekommt sie hin. Nur die Straße etwas zurück fahren und dann rechts abbiegen. Kein Problem, das schafft sie.

Mittlerweile ist es draußen am dämmern und der Abend rückt immer näher. Eigentlich sollte sie vor der Dämmerung ankommen. Das hat ja wunderbar funktioniert.

Immerhin können andere Fahrzeuge - insbesondere Cops – bei diesen Wetterverhältnissen nicht ihr gefälschtes Kennzeichen am Auto erkennen. Nicht, dass ihr überhaupt ein Auto in den letzten zwei Stunden begegnet wäre.

Damit sie nicht wieder an der Abfahrt vorbei fährt, konzentriert sie sich noch stärker auf die Straße vor ihr.

Aus dem Blickwinkel nimmt sie auf der rechten Seite die Schemen eines Hauses wahr. Jedoch ist dort weder ein Licht noch ein Auto zu sehen. Wird dann wohl leer stehen und unbewohnt sein. Nicht verwunderlich in dieser abgelegenen Gegend.

Kurz nach dem Haus ist die Straße zu sehen, die sie nehmen muss. Beim Abbiegen fängt plötzlich ihr Handy schrill an zu klingeln. Mit wild klopfenden Herzen fasst sie nach dem Wegwerfhandy, das neben ihr auf dem Beifahrersitz liegt.

Sie weiß sowieso wer dran sein wird, da ihre Nummer nur einer Person bekannt ist. Und genau diese Person scheint nun wissen zu wollen, wo sie bleibt. Sie atmet einmal tief ein und wieder aus, bevor sie ans Telefon geht.

„Bin auf dem Weg. Mach dir keine Sorgen Tony. Du wirst das Auto pünktlich...“

„Pünktlich!? Willst du mich verarschen? Du bist jetzt schon zu spät du blöde Schlampe!“ Sie hält sich das Handy weiter vom Ohr weg, da er so brüllt.

„Das Wetter ist so schlecht. Ich brauche nicht mehr ...“

„Nur damit wir uns verstehen. Du hast noch genau 2 Stunden Zeit bis wir deinen …“ Plötzlich ist die Verbindung weg und die Leitung tot. Sie nimmt es vom Ohr und schaut auf das Display. Sie kann nur noch das Symbol für eine leere Batterie sehen, ehe es komplett schwarz wird. Ja super, das wird ja immer besser. Diese Wegwerfhandys taugen ja mal gar nichts.

Sie pustet sich eine Haarsträhne, die sich aus ihrem Zopf gelöst hat, aus dem Gesicht und atmet erneut tief durch. Wenn sie nur daran denkt, was sie ihm antun könnten, fangen ihre Hände schon wieder an zu zittern. Sie muss es irgendwie schaffen innerhalb von zwei Stunden anzu...

Plötzlich steht mitten auf der Straße ein Reh, dass ihr mit großen Augen entgegenblickt. Sie reißt das Steuer herum, um eine Kollision zu verhindern.

Ihr Herz schlägt ihr gegen die Brust und ihr Atem geht viel zu schnell. In dem einen Augenblick ist sie noch froh, dem Tier ausweichen zu können und im nächsten Moment ist eine Menge Wasser um sie herum.

Zuerst versteht sie nicht was passiert ist. So stark kann es gar nicht regnen. Erst dann realisiert und spürt sie körperlich den Aufprall, der sich anfühlt, als wäre sie auf Beton aufgeschlagen.

Sie muss in einen See gefahren sein. Und nun sinkt ihr Auto unaufhörlich weiter in die Tiefe des Sees.

Draußen ist es nun fast komplett dunkel. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass sie sich immer weiter vom Tageslicht entfernt. Das Scheinwerferlicht des Autos ist bereits am flackern, wodurch sie noch weniger sieht.

Mittlerweile dringt von allen Seiten das eiskalte Wasser des Sees in das Auto. Sie fängt an zu bibbern, ob nun vor Kälte oder Schock. Oder beides. Immer noch umfasst sie mit eisernem Griff das Lenkrad.

Das Radio ist anscheinend unzerstörbar, da es immer noch funktioniert. Enrique singt ihr in dem Moment den Song 'Hero' entgegen. Ob sie für die die sie liebt sterben würde? An einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit hätte sie ja gesagt. Aber diese Situation hier ist doch was vollkommen anderes. Sie will nicht sterben. Nicht so! An ihrer Wange fließen heiße Tränen herab und verschleiern ihr die Sicht. Sie wird hier nicht sterben. Er wartet doch auf sie. Sie muss kämpfen, verdammt.

Sie versucht sich aus dem Gurt zu befreien, der ihr gegen die Brust drückt. Angestrengt atmet sie gegen ihre Panik an. Sie reißt und zieht, aber nichts geschieht. Der Gurt bleibt wo er ist. Sie schaut sich hektisch um, als wenn plötzlich aus dem Nichts ein Messer auftauchen würde, damit sie sich befreien kann.

„Das Messer!“ Natürlich! Sie hat doch in ihrer Handtasche ein Taschenmesser. Wie dumm von ihr.

Sie versucht ihre Handtasche zu finden. Doch das Wasser ist mittlerweile bis zu ihrem Bauch angestiegen und steigt nun immer schneller. Viel Zeit bleibt ihr nicht und sie findet die verdammt Tasche einfach nicht. Sie beginnt zu schluchzen.

„Nein! Nein! Warum nur?“ Warum endet es so? Sie hätten doch bald ein neues Leben anfangen können. Es war doch nur noch diese eine Sache zu erledigen, bevor sie frei gewesen wären.

Sie sieht sein Lächeln vor sich. Seine Grübchen. Er wartet doch auf sie. Sie hat es ihm versprochen.

Das Wasser steht ihr jetzt bereits bis zum Hals. Sie streckt ihr Gesicht in Richtung Dach und schließt ihre Augen.

Dann wird es wohl doch so für sie enden. Hier und jetzt. In diesem alten gestohlenen Wagen.

Sie hat kaum noch Luft zum atmen. Ein letzter Atemzug und sie ist komplett unter Wasser. Komischerweise hat sie den Songtext im Kopf von dem Lied, dass das Radio als letztes von sich gegeben hat.

Wer könnte ihr Held sein? Kommt ihr vielleicht Superman zur Hilfe? Wohl kaum.

Ja einen Held könnte sie nun gut gebrauchen oder noch besser einen Engel. Sie wird nicht mehr lange Luft haben. Sie sieht bereits ein helles Licht, das sie blendet. Ist es wirklich so hell, wenn dich die Engel zu sich holen? Sie hätte es sich anders vorgestellt. Aber wenn es dann endlich vorbei ist, nimmt sie auch das in Kauf. Sie möchte jetzt einfach Frieden finden.

Kurz bevor ihr komplett schwarz wird vor Augen, spürt sie einen festen Griff um ihren Arm und sie öffnet die Augen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.06.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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