Thomas Neumeier

... und wir liebten uns bis ans Ende der Zeit...

Ich erinnere mich an jene Nacht; ich saß in der Dunkelheit. Die letzte Schlacht ward verloren, unser Heer vernichtend geschlagen, mein Schwert zerbrochen. Doch nicht das war es, was meine Seele vor Schmerz bersten ließ, es war, weil auch meine Lieb-ste auf dem Feld gefallen war.

Der letzte Widerstand guter Mächte war gebrochen, und dunkle Seelen durchstreiften das Land. In meiner Furcht und schier endlosen Verzweiflung floh ich in die Kälte der Nacht, in die Dunkelheit der tiefen Wälder, wo ich mich in den alten Ruinen verstek-ken wollte. Aus der Ferne hörte ich die Glocken unserer Stadt, wie sie vielleicht zum letzten Mal in nächtlichem Schlachtenwehmut verklangen. Das Böse war nun allge-genwärtig, und ich fürchtete mich.

Die Nächte vergingen. Ich wollte vergessen. So beobachtete ich die Wesen der Nacht wie sie, immer dürstend nach Blut und Weisung, durch den finsteren Wald schlichen. Ich hörte das Wispern und Flüstern der Dämonen, die mich zu umzingeln schienen, und einen Raben, der stets lauthals von einem Baum krächzte. Manchmal konnte ich ihn sehen, und ich glaubte, ihn schon auf dem Schlachtfeld gesehen zu haben. Er um-kreiste die Gefallenen, deren Blut den heiligen Boden rot färbte. Bald ängstigten mich all die Schatten, die in den Ruinen umhergeisterten, und erneut floh ich voll Selbst-zweifel in die Nacht, verfolgt von Untoten und Teufelsgesindel. Nur der Gedanke an meine Liebste und ihr Bild vor meinen tränenden Augen ließen mich weiterlaufen. Doch sie war tot - meine Liebste, ein Krieger wie ich. Ich liebte sie mehr als Gott, und sie liebte mich. Wir schworen, immer für einander da zu sein, uns bis ans Ende der Zeit zu lieben, doch sie ist gegangen. Wie sehr wünschte ich mir, es wäre mir möglich gewesen, an ihrer Stelle zu sterben oder doch mit ihr zusammen in den Tod zu gehen; aber sie war tot, und ich noch immer hier.

Ich floh in die Finsternis, während die Heerscharen des Bösen das Land überrannten. Dunkelheit war über die Welt gekommen, und umgeben vom Tod verdunkelte sich auch meine Seele. Ich wurde eins mit den finsteren Wäldern, den untoten Wesen, die dort hausten und dem überall gegenwärtigen Bösen. Ich würde nie wieder lieben kön-nen, also begann ich zu hassen. Ich folgte dem Ruf der Verdammnis und dem verfüh-rerischen Glanz der Finsternis. Wie den Wesen der Nacht, die mich lange plagten, dürstete mich nach Blut! Mit meiner Streitaxt ging ich auf die Jagd! Ich tötete die Menschen, die ich einst beschützt hatte und labte mich am Blut, das aus ihren Hälsen quoll. Hasserfüllt und gestärkt vom Blut Unschuldiger kehrte ich zu den Ruinen zu-rück! Ich verjagte die Teufel, die mich einst von dort vertrieben. Es war mir ein leich-ter Sieg! Fortan war ich der Herr dieses Waldes! Ich beherrschte die Ruinen, und wer mir zu nahe kam, egal ob Mann, Frau oder Schattenbrut, ich schlug ihnen die Köpfe ab, und es befriedigte mich, zu sehen, wie ihr Blut den trockenen Boden befeuchtete.

Ich wurde zu einem derer, die ich früher mit aller Verbissenheit bekämpft hatte: Ein Teufel!
Ich beherrschte voller Stolz und Zorn die alten Ruinen. Alles und jeden konnte ich von dort verjagen, jedoch nicht den Raben. Dieser kam immer wieder, und das erzürnte mich! Ich begann, ihn zu jagen, tagelang, nächtelang. O er war gerissen, aber ich gab nicht auf! Niemals würde ich aufgeben, wenn ein Feind mein neues Reich betreten würde! So unendlich lange jagte ich ihn, bis wir in die lichterne Seite wechselten.

Das Licht dort blendete mich, es schmerzte an meinem Körper, denn längst war ich eine Kreatur der Nacht geworden, von dem stolzen Krieger von einst war nichts mehr übrig geblieben.Doch dieses Licht reinigte mich. Anfangs spürte ich es nicht, aber das Dunkel in mir wich zurück. Ich sah mich umzingelt von den Geistern derer, die ich im Blutrausch abschlachtete, und der Rabe saß plötzlich auf meiner Schulter. Ich sackte müde zu-sammen und schlief ein.

Als ich erwachte, waren die Geister fort. Mit dem Raben auf meiner Schulter wanderte ich durch das Land, das einst meine Heimat gewesen war. Wir kamen an einen Fluss und ich labte mich am kalten Gebirgswasser. Im Wasser sah ich das Schlachtfeld, und ich hörte die Schreie derer, die damals ihr Leben ließen. Noch einmal sah ich, wie all meine Kameraden, wie auch meine Liebste den Tod fanden. Dann blickte ich traurig auf und sah eine Frau. Ihr Gewand strahlte helles Licht aus, und ihre Schönheit ließ in mir all die wunderbaren Erinnerungen an meine Liebste wieder aufkommen. Doch dort, wo einst mein Herzen saß, da war Leere. Ich würde nie wieder lieben können, nicht in diesem Leben, das wusste ich. Aber in diesem Moment wusste ich noch nicht, dass ich an jenem Tag sterben würde.

Der Gedanke, nie mehr die Wärme eines Menschen, der mich liebt, fühlen zu können, war unerträglich. In meinem Schmerz brach ich zusammen und weinte. Die schöne Frau nahm meine Streitaxt. Ich kniete vor ihr. Sie lächelte mich traurig an und sah mir in meine tränengefüllten Augen. Dann holte sie aus und spaltete meinen Schädel.

Von weit oben sah ich, wie der Rabe meinen Leichnam umkreiste. Ich war nun umge-ben von Licht und fand mich wieder in den Auen eines wunderschönen Landes. Ein wildes Pferd unter mir, reitete ich über prächtige Brücken, um weite Seen und über große Berge. Und dann, vor den Toren eines urgewaltigen weißen Schlosses, traf ich auf meine alten Kampfgefährten, die in der großen Schlacht gefallen waren. Unter ihnen... war auch meine Liebste;
und der Schwur, den wir uns einst gaben, sollte sich erfüllen:Wir liebten uns bis ans Ende der Zeit...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.09.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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