Rainer Loewe

Eine Beziehung

Sie verstanden sich sehr gut, seine ehemalige Schülerin und er, ihr ehemaliger Lehrer. Die Woche in Granada war schön gewesen; vielleicht sogar zu schön, denn sie hatten - wieder einmal? - festgestellt, dass sie doch gut zusammen passten. Abends hatten sie in ihrer WG gekocht. Andere Mitglieder ihrer Wohngemeinschaft waren kurz dagewesen; er hatte sich unwohl unter ihnen gefühlt: Diese jungen Leute waren einfach nicht mehr seine Welt: zu leicht zu durchschauen, langweilig mit ihrer Oberflächlichkeit und daher uninteressant. Was mochten sie wohl von ihm denken? „Was will der alte Bock nur mit einer so jungen Frau?“, so dachten zumindest sicherlich die männlichen WG-Mitglieder.

Im Grunde hatten sie ja auch Recht; er wurde tatsächlich langsam alt - mit seinen vielleicht falschen vorgefassten Meinungen, seinen lieb gewonnenen Gewohnheiten, dem Wunsch nach Ruhe und möglichst wenigen Menschen und dem allmählichen Verfall seines Körpers, gegen den er wohl ankämpfte, aber auf die Dauer nicht ankam. Der jungen Frau war es ja egal, zumindest jetzt noch. Aber was würde später sein, wenn sie tatsächlich „ein Paar“ wären? Wie lange könnte das überhaupt gut gehen? Er war ja schon 23 Jahre älter als sie - das musste irgendwann zum Problem werden. Auch deshalb schon hatte er darauf bestanden, eine „offene“ Beziehung mit ihr zu haben - und sie war anscheinend durchaus damit einverstanden. Und die Sache funktionierte, und zwar schon länger als ein Jahr!

Nach dem Essen waren sie noch kurz in eine Bodega gegangen, die sie in der Woche irgendwann einmal entdeckt hatten und in der es ihnen gefiel: hohe Räume, dunkel, wenige Besucher. Man konnte dort stundenlang sitzen, Wein probieren und Tapas essen. Eine Oase der Erholung in dieser sonst so hektischen Stadt. Aber schon bald gingen sie wieder; es war ihr letzter Abend, und sie wollten ihn auf andere Art genießen.

Er klingelte an der Pensionstür, der Inhaber öffnete, er ging hinein und fuhr mit dem Fahrstuhl in sein Einzelzimmer im vierten Stock. Offiziell war er allein; deshalb kostete das Zimmer auch sehr wenig. Es war sehr schlicht, das Bett knarrte entsetzlich, und er konnte seine junge Freundin nur heimlich zu sich nehmen. Aber irgendwie hatte das in den vergangenen Nächten sehr gut geklappt: Er fuhr einfach noch einmal nach unten, öffnete ihr die Tür, und dann waren sie allein. Auch die Geschichte mit dem knarrenden Bett hatten sie gelöst: Sie nahmen die Matratze einfach vom Bett und legten sie neben es. Sie zündete eine Kerze an, zogen sich aus und legten sich hin. Zu seiner Überraschung hatte sie noch eine Flasche Sekt besorgt. Sie tranken einen Schluck, und dann streichelte er sie. Es war erstaunlich, wie vertraut sie doch miteinander waren. Er tat eigentlich nicht viel; sie „gebrauchte“ ihn zu ihrer eigenen Befriedigung. Aber das war gut so: Er genoss es, sie zu beobachten, ihre Lust zu spüren. Seine eigene Befriedigung war ihm gar nicht mehr so wichtig, wie es früher gewesen war. Später legte sie ihren Kopf auf seine Brust - und sie schliefen ein.

Morgen würde er wieder fahren; erst nach Málaga und von dort zurückfliegen nach Heidel-berg, in den deutschen Frühling mit wahrscheinlich viel Regen, und sie würde noch zwei Monate im sonnigen Spanien bleiben. Wahrscheinlich würde sie mit anderen Männern schlafen, aber darüber machte er sich nicht viele Gedanken. So war ihre Geschichte eben. Vielleicht würde es nicht mehr lange so gehen, aber jetzt ging es eben - und das war gut so. Ja, es war eine sehr schöne Woche gewesen!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.09.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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