Klaus-D. Heid

Wehe, wenn sie reingelassen!


Irgendwann musste es ja passieren...

Nachdem ich drei Tage lang versucht habe, ein bisschen Ordnung in das Chaos meiner Wohnung zu bringen, stand nun also der Augenblick der Wahrheit bevor. In weniger als zwei Stunden würden meine Eltern vor der Tür stehen, mir kritische Blicke zuwerfen – um dann sofort mit der militärisch akkurat strukturierten Kontrolle meiner Wohnung zu beginnen.
Insbesondere Mama verstand es wie keine andere Frau, Staubkörnchen selbst da aufzuspüren, wo kein Schwein jemals hinsehen, geschweige denn hinfassen würde. Ihren Finger vor mein Gesicht haltend, würde sie mich total schweigend ansehen, als wäre ich ein seit Jahren gesuchter Serienmörder.

Papa indessen beschränkte sich in seiner, selbst für einen Beamten stark ausgeprägten Kritik, auf die unkonventionelle Anordnung meines Mobiliars, sowie der nicht optimierten Ausnutzung des Wohnraumes.

„Ist mir ein Rätsel, Junge, wie Du das Regal hier aufstellen konntest. Wir zwei sollten mal die Ärmel hochkrempeln und etwas System in Deine Junggesellenbude bringen. Ich bin sicher, dass anschließend endlich mal Platz zur Verfügung steht...!“

Ich würde Stunden brauchen, um ihn davon zu überzeugen, dass alles so gut ist, wie’s ist. Mit Engelszungen würde ich auf ihn einreden müssen, bis er es aufgibt, sich in mein Leben einzumischen. Natürlich wird Papa nicht verstehen, wieso ich meine Wohnung nicht nach seinen Wünschen umgestaltete.
Und Mama? Mama wird sich – mit Tränen in den Augen – auf einen Sessel setzen, um mir mit ihrem Schweigen und stillem Jammern ihren Unmut auszudrücken.

„Mama? Warum sagst Du denn nichts?“

Keine Antwort.

„Möchtest Du einen Kaffee?“

Schweigen.

„Tee?“

Leises jämmerliches Wimmern.

Diese Farce wird etwa vier Stunden andauern. Papa ignoriert natürlich meine Totalverweigerung in Sachen Möbelumstellung. Wissend, dass ich nach dem Besuch meiner Eltern alles wieder so herrichten würde, wie ich’s mochte, schiebt er Regale, Tische und Sessel umher. Selbstverständlich tut er dies nicht schweigend. Er schnauft, stöhnt und ächzt, als ginge es darum, das alte Rom wieder aufzubauen.
Indessen hat Mama zehn Packungen Taschentücher mit Tränen und Rotz verschandelt. Sparsam wie sie nun mal ist, wird sie penibel darauf achten, dass es auch ja meine und nicht ihre Taschentücher sind...

Kurz bevor der Besuch sich seinem lange erwarteten Ende nähert, wird Mama mich fragen, wo meine Staubtücher aufbewahrt sind.

„Wenn wir schon einmal da sind, kann ich mich auch ein bisschen nützlich machen, Junge. Du scheinst ja im Dreck ersticken zu wollen, oder? Dass Du dich nicht schämst...!“

Genau das wird sie mir an den Kopf werfen. Ich hingegen werde ihr jedes Staubtuch verweigern, was natürlich eine erneute Weinattacke zur Folge hat. Papa nimmt nun Mama in Schutz und sagt dann:

„Deine Mutter ist noch immer Deine Mutter, Junge. Die Tatsache, dass Du nicht mehr bei uns wohnst, gibt Dir noch lange nicht das Recht...“

Und so weiter und so fort.

Nachdem ich die Klingel angestellt hatte; ließ ich mir herrlich heißes Badewasser einlaufen. Mama meinte früher immer zu mir, dass zu heißes Wasser impotent macht. Ich habe wirklich anfangs daran geglaubt, bis mir diverse Praxistests das Gegenteil bewiesen hatten.
Mit der stoischen Ruhe eines griechischen Philosophen öffnete ich ein Fläschchen Spätburgunder und stellte ein Weinglas auf den Badewannenrand.

Spät abends klingelte das Telefon. Es klingelte sehr lange, bis man am anderen Ende jeden Versuch aufgab, mich zu erreichen.

Das war Phase eins, meine lieben Eltern. Phase zwei wird darin bestehen, Euch meinen Nachbarn als meinen Lover vorzustellen. Ich bin sicher, dass Markus mitspielt, wenn ich ihm die Situation erkläre. Für Dich, Papa, wird’s echt schwer werden, damit klarzukommen. Auch Du, Mama, wirst lange an diesem herben Schicksalsschlag zu knabbern haben. Schließlich bist Du’s doch, die sich immer ein gebildetes und möglichst blondes Mädchen aus gutem Hause für mich gewünscht hat.

Zugegeben – es ist nicht ganz nett, was ich mit meinen Eltern mache. Ich werde sie von einem Moralschock in den nächsten schicken, bis sie sich resigniert damit abfinden, dass ich ein vollkommen verzogener Sohn bin, bei dem jedes gute Wort nur eine Perle ist, die man vor die Säue wirft.
Mit etwas Glück werden sich meine Eltern langsam aber sicher immer mehr von mir distanzieren. Mit noch mehr Glück habe ich dann endlich alle Chancen dieser Welt, mich zu einem normalen Menschen zu entwickeln.

Die Realität sah jedoch völlig anders aus!

Tatsächlich bin ich in die Wanne geklettert. Den Wein muss ich geträumt haben. Als es klingelte, schreckte ich jedenfalls stocknüchtern auf und hechtete, nur mit einem Handtuch bekleidet, an die Wohnungstür.

„Junge, wie siehst du denn aus? Es wird wohl zeit, dass wir etwas Ordnung in Dein Leben bringen, oder?“

„Zieh Dich erst einmal an, mein Sohn. Inzwischen muss ich unbedingt den Wohnzimmerschrank an die andere Wand rücken. Du wirst sehen, dass Du dann viel mehr Platz gewinnst...!“

Ja. Mama. Ja, Papa.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.10.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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