Manfred Gries

Weisses Pulver

Es war eines Morgens in jenem Forsthaus, in dem wir die ersten 5 Jahre unserer Ehe verbrachten. Die Geschichte mit den Ameisen lag schon hinter uns und die beiden Kinder waren inzwischen des Laufens fähig, eine der unsinnigsten Erfindungen, die für Kinder gemacht wurde. Die Sonne schien in das elterliche Schlafzimmer und weckte mich sanft auf. Ein schöner Tag, dachte ich, und schlüpfte vorsichtig aus dem Bett, um meine Frau nicht zu wecken. Leise die Zimmertür öffnend, fiel mein erster Blick auf den Teppichboden, auf den ich meinen rechten Fuß zu setzen bereit war. Mitten im Schritt hielt ich inne.

Was war das? Eine Spur weißen Pulvers begann direkt vor meinen Augen ihren Weg, einen Weg, dessen Ende ich nicht erkennen konnte. Immerhin war unsere Wohnung etwas verwinkelt, wenn auch großräumig. Gespannt folgte ich der Fährte wie früher als Junge den Zeichen bei den Schnitzeljagden. Um die Ecke zum Wohnbereich biegend, überfiel mich blankes Entsetzen. Es handelte sich nicht um eine Spur, wie ich zuerst vermutet hatte, sondern eher um die geichmäßige Verteilung jener Substanz über Boden, Stühle und andere Sitzmöbel. Unklar war mir bis hierher, um was es sich handelte und woher dieser Schnee stammte.

Auf dem Weg ins Bad verengte sich die Verteilung, aber nur deshalb, weil der Flur sehr schmal war. Im Bad selbst erhielt ich nähere Informationen. Wasser hatte sich mit dem Schnee vermengt und augenscheinlich eine Verhärtung herbeigeführt. Also konnte es sich nicht um Kokain handeln, was schließlich auch die leere Moltofill Packung bezeugte, die auf dem Kachelfußboden des Badezimmers vor sich hin träumte. Wie der Blitz lief ich zurück ins Wohnzimmer. Tatsächlich, auch auf den Sitzmöbeln war jene Verhärtung zu entdecken.

Alles war still, niemand schien Notiz von der Farbänderung unseres Wohnzimmers genommen zu haben. Auch war keine menschliche Mitwirkung zu erkennen, besser gesagt, niemand außer mir befand sich in diesem Teil der Wohnung. Niemand? Aus dem Kinderzimmer drangen die ersten Geräusche. Ich schaute, vorsichtig die Tür öffnend, hinein. Neben den Augen meiner Kinder schaute mich auch eine zweite Moltofill Packung an, ebenfalls leer. Die Worte “Schnee schön“ ließen mich endgültig sicher sein. Diese Brut war nicht gerade erst erwacht, weit gefehlt. Sie ruhte sich nur nach vollbrachtem Werk aus. Augenscheinlich mit großer Freude, denn Schnee ist etwas, was Kinder mögen.

Und ich verstand nun auch den Grund für die Feuchtigkeit: Schnee ist einfach nass. Die Logik und die Reinigungsaktion, die unsere Wohnung danach wieder in den Urzustand versetzte, ermüdeten mich das erste Mal an diesem Tag, der mich so fröhlich begrüßt hatte.

Natürlich hatte auch meine Frau zwischenzeitlich das Schlafzimmer verlassen und mit ihrem saarländischen Kommentar “Oh leck“ das Bild abgerundet. Das Frühstück fand sehr spät statt. Nein, es war nicht Wochenende, aber wir aßen, als sei etwas ganz Besonderes geschehen. Die Kinder hatten den künstlichen Schnee erfunden.

Es ist etwas länger her, die Herrschaften sind nun 15 und 17, aber nichts hat sich geändert. Heute sind es andere Dinge, mit denen sie mich auf Trab halten und doch lebne ich sie noch genauso, wie damals, die Schnee-Erfinder.Manfred Gries, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.10.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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