Alles ist anders, in diesem Jahr. Nichts ist so wie es sein sollte.
Kein duftender Bratapfel brutschelt im Ofen. Keine geschmückten Fenster, kein Lichterglanz im ganzen Haus.
Nichts, wozu auch?
Ziellos läuft sie durch die Strassen. Sieht die geschmückten Häuser, die dekorierten Schaufenster. Hört das Singen und Lachen aus den Häusern. Es berührt sie nicht. Prallt an ihr ab, Erinnerungen, an längst vergessene Zeiten. Sie sieht in leuchtende Augen, ein wehmütiges Lächeln huscht über ihr Gesicht.
Sie geht weiter in den Park. Dort ist es kalt, still und dunkel. Sie genießt die Ruhe. Auf einer Parkbank sitzt ein Mann. Neben sich ein paar Plastiktüten, in der Hand eine billige Flasche Wein. Alles was er besitzt. Ein Gedanke, und ich? Was habe ich? Einsamkeit packt sie und hastig läuft sie weiter.
Bis hinunter an den großen See. Sie geht am Ufer entlang und sieht in das schmutzige Wasser. Kein Mensch ist zu sehen, sie ist ganz alleine. Ihr Blick fällt auf die Brücke, dahinten, über der Autobahn. Automatisch steuert sie in die Richtung. Ihr Blick ist star, die Bewegungen hölzern.Ihre Schritte werden immer schneller, es ist wie ein Sog. Atemlos bleibt sie in der Mitte der Brücke stehen. Sie sieht hinunter. Sieht den regennassen Asphalt. Hört das heulen der Autos. Ihre Hände krampfen sich um das Geländer. Es wäre so einfach, nur ein Sprung. Nur ein Moment und dann...aus. Ihr wird schwindelig und sie schließt die Augen.
Minuten später öffnet sie die Augen. Sie sieht die tanzenden Schneeflocken und strafft die Schultern. Aufgeben ist feige. Sie atmet tief durch und macht sich auf den Heimweg.
Sie fühlt sich leer, nutzlos, wie ein kaltes Feuer. Aber dann geht ein Ruck durch ihren Körper. ein Feuer kann man wieder entzünden, zögernd, zaghaft, aber dann züngeln die wärmenden Flammen. Entschlossen öffnet sie die Haustür und betritt das Haus. Sie holt alle Kerzen aus dem Schrank und entzündet sie, dazu legt sie ihre Lieblingsmusik auf.
Sie geht hinunter in den Keller und sucht alle Weihnachtssachen. Sie dekoriert alles festlich und schaut in den Spiegel. Sie sieht in ihre strahlenden Augen. Vor dem Fenster tanzen die Schneeflocken. Dieser Weg heute, war das die Brücke, raus aus dem kalten Feuer, weg von der Einsamkeit? Mit einem Lächeln auf den Lippen schiebt sie einen duftenden Bratapfel in den Ofen...
(c) Martina Bartels
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.12.2001.
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