Klaus-D. Heid

Mein Leben?

Der Tag der Träume endete mit dem Erwachen. Noch bevor die Augen das Licht der Sonne wahrnahmen, brachen alle Empfindungen in sich zusammen, die ein ganzes Leben zusammen gehalten hatten. Heiterkeit verdorrte. Zuversicht erstickte. Hoffnung versank in öligem Sud einer spontanen Zäsur. Das Lächeln im Gesicht wurde zu einer versteinerten Fratze ungläubiger Ratlosigkeit. Die Brust riss auseinander, legte alle Organe frei und vermoderte wie verdorrtes Laub im Herbst. Eingeweide verteilten sich auf der Straße der Eitelkeiten, vermischten sich mit aussichtslosen Gedanken, bis sich nur noch ein Brei aus gequälten Erinnerungen auf dem Asphalt ausbreitete. Übler Gestank. Kochende Seele. Verbrannte Liebe. Nichts konnte heilen. Gar nichts. Ein zerstörtes Bild in einem zerstückelten Rahmen, dessen kunstvoll geschnitztes Holz wie der lodernde Teil eines Scheiterhaufens wirkte. Knochenspiele. Leerer Schädel ohne Wert. Leere Worte ohne Wert. Leere Augen ohne Sicht. Alles wie ein Berg stinkender Fäulnis und gelogener Wahrheiten. Nichts zu Erwärmen. Kälte ringsherum. Anklagen und Versagen. Ein sich immer wiederholendes WARUM ohne Warten auf Antwort. Fingerkuppen, denen es an Sehnen fehlte. Blutige Reste pulsierenden Seins. Da und dort Ratten, die mit blutigen Schnauzen im Matsch menschlicher Vergangenheit nach Kraft suchen. Da ist keine Kraft mehr. Da ist nichts, an dem Ihr Euch laben könnt. Da ist nur einfach Nichts. Nichts wirklich Gewesenes. Nur Vergangenes. Vielleicht noch nicht einmal das. Selbst der Wind verzweifelt bei der verzweifelten Suche nach Gewicht. Nur ein bisschen Gewicht, um es durch die Luft zu tragen. Etwas bewegen können, das weniger ist, als Viel – aber mehr sein sollte, als Nichts. Die Tränen des Windes beim Erkennen der Wahrheit. Strafe mich Gott, denn ich bin schlecht. Kein Raum für Gebete. Welcher Gott mag zuhören, wenn nichts gesagt wird? Wie sollen sich Worte bilden, wenn die Lippen längst zu Staub geworden sind? Welches Hirn soll denken, wenn die Würste des Gehirns nichts waren, als Spielzeuge der Phantasie? Und Du, Tod? Was wirst du Dir holen? Mich? Welches Mich? Mich, wie ich war? Mich, wie ich bin? Mich, wie ich vielleicht sein könnte, wenn es mich jemals gegeben hätte? Der Tag endete, bevor er begann. Es war ein Lauf ins Leere, der niemals gestartet wurde. Stillstand. Nur ein seit Anbeginn der Welt verdampfter Traum eines unglücklichen Menschen, den es niemals gegeben hatte, weil es ihn niemals geben durfte? Was bleibt, ist das unendlich tiefe Loch, in das ich falle. Kein Aufprall. Keine Schmerzen. Keine Angst. Niemand wird mir verzeihen, wie ich selbst mir nie verzeihen werde. Nur nicht mehr da sein. Bitte.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Klaus-D. Heid).
Der Beitrag wurde von Klaus-D. Heid auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.12.2001. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Klaus-D. Heid als Lieblingsautor markieren

Buch von Klaus-D. Heid:

cover

Lieber Papa von Klaus-D. Heid



Klaus-D. Heid beschreibt auf witzige Weise, wie die Nachkommen die Marotten ihrer Erzeuger überstehen, und zeichnet viele Situationen nach, in denen sich Väter gerne wiedererkennen werden. Mit Cartoons von Laurie Sartin.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Trauriges / Verzweiflung" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Klaus-D. Heid

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Auf der Couch, Teil I. von Klaus-D. Heid (Satire)
Wenn die Hoffnung stirbt von Uwe Walter (Trauriges / Verzweiflung)
Die Unterschrift von Ingrid Drewing (Wahre Geschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen