Christian Müller

One fine day...02: Da ist ja gar kein Totes Schwein!

Eines schönen Tages saß ich bei meiner Schwester, wo ich meine Hausaufgaben unter ihrer Aufsicht gemacht habe. Irgendwann drückte sie mir einen Stapel Papier in die Hand und sagte “Korrigier mal bitte die Fehler.“. Ich sah mir das erste Blatt an. Den Namen, der oben stand konnte ich nicht lesen.
Hm. Unleserliche Schrift, haufenweise Rechtschreibfehler, kein Punkt und Komma, “Kannst du mir etwas Grammatik lehrnen?“- In den Händen hielt ich die Aufsätze der Deutschklasse meiner Schwester.
Ich weiß nicht genau ob es die Volkshochschule oder die Fachhochschule ist, auf jeden Fall unterrichtet meine Schwester irgendwo in diesem Milieu Leute, die ihren Hauptschulabschluss nachholen wollen, und zum Teil 10 Jahre älter sind als sie. Als ich so durch die Aufsätze blätterte fiel mir auf wie viel Fantasie und Kreativität Erwachsene doch aufbringen können, wenn es darum geht einen Abschluss zu machen.
Aber in Wirklichkeit schoss mir nur ein Gedanke durch den Kopf: “Ist es ein Privileg, intelligent zu sein?“. Irgendeinen Grund musste es doch haben, dass diese Leute zwischen 18 und 40 Jahren keinen Abschluss hatten, und es schien beinahe, als würde sich das Rätsel in dem klären, was sie abgeliefert haben. Ich sehe jetzt von Rechtschreibfehlern wie “Dalmatina“ oder “Schtein“ oder “Harmster“ ab. Ich rede vom Inhaltlichen. Von Dingen wie “Tierärzte sind teuer- und nicht gerade billig!“ und Ähnlichem. Klar ist kreatives schreiben nicht jedermanns Sache! Aber zumindest kann man doch so schreiben wie man redet, oder? Ich entschuldige mich natürlich, falls der oder die Schreiber/in vor einem Monat auf der Straße stand und bei 30° knallender Sonne einen Schluck warme Cola nahm und sagte “Puh, heute ist es ganz schön heiß- und nicht gerade kalt!“.
Es gab zwei Aufsatzthemen, für zwei verschiedene Klassen. Das erste war eine Erörterung, und die Hypothese war so gewählt, als wollte meine Schwester einer Katastrophe bei ihren Schützlingen vorbeugen: Sind Tiere als Geschenk sinnvoll?
Ich musste feststellen, dass die meisten einfach nicht einsehen wollten, dass es natürlich NICHT sinnvoll ist! Nur wenige Hoffnungsschimmer traten hervor, doch rissen sie sich mit Argumenten wie “Das Tier könnte in der Verpackung sterben“ wieder in die Versenkung. Mein Absoluter Favorit war der, der das Haustier schenken mit dem verschenken eines Vertrags-Handys verglich: “Wenn du das Handy hast musst du die Grundgebür zahlen auch wenn du nicht willst genauso ist es mit dem Hund der brauch Futter“. Abgesehen davon, dass der Herr es nicht für nötig hielt sich durch Satzzeichen etwas verständlicher zu machen, verfehlte er auch noch das Thema, denn die ganze Zeit war von einem gewissen Hund die rede. Anscheinend hielt er Hamster Katzen und Wellensittiche für eine Pflanzenart. Und Fische demnach für Algen. Ahaha. Spaß bei Seite.
Ansonsten hat er den Vergleich genau getroffen und damit meine Meinung widergespiegelt. Also: Sehr gut, Eins!

Marina, 34j., schrieb, dass sie sich riesig über einen Baby- Dackel zu Weihnachten freuen würde und demnach ein kleines Tierchen als Geschenk praktisch der Hit wäre- aber keiner schenkt ihr eins. Als Pro-Argument erklärte sie, dass Weihnachten das Fest der Liebe sei, und ein Tier ein weiterer Gegenstand sei, den man lieben kann.
Die Lachparade war bunt gefächert von Contra- Argumenten wie “man setzt sie im Sommer bei Karstadt aus“ (Ich hab noch nie einen Ausgesetzten Hund bei Karstadt gesehen) über “einen Fisch z.b. kann man notfalls auch in einer Vase halten“ bis hin zu unterschwelligen Pflegetipps: “...außerdem sind viele Tiere schwer zu halten. Für Frettchenfutter z.b. brauch man viel Geduld, da es folgender Mischung bedarf:... “.
So sehr ich gelacht habe, sosehr hab ich auch gelernt, z.b. von Michaela, die sich durch ihren Aufsatz eindeutig als Frettchen- Besitzerin geoutet hat. Was mich noch mehr beeindruckt hat war, dass sie sich die ganzen Futtersorten merken konnte.

Das zweite Aufsatzthema war kreatives schreiben. Das Vorlagethema war ebenfalls äußerst erwachsen: Man findet eine Leiche im Meer! Ob man sie “selbst gemacht“ hat oder nur auffindet, ist jedem lyrischen Ich freigestellt.
Ein bestimmter Aufsatz zog mich besonders in seinen Bann und erfüllte mich sogleich mit entsetzen. Murat schrieb: “Als ich am See spazieren gegangen bin, habe ich eine bekannte beim Baden gesehen. Ich hab sie aus spaß mit Steinen beworfen um sie zu ärgern doch sie reagierte nicht darauf.“ Ich riss beide Augenbrauen hoch. Für mich war der Fall erledigt: Murat hat eindeutig seine Bekannte mit einem Stein umgebracht!
Als ich erfuhr, dass meine Schwester Leute unterrichtet, die es wahnwitzig finden(die Betonung lege ich bewusst auf Wahn!) andere Leute mit Steinen zu traktieren, fing ich langsam an mir etwas Sorgen um sie zu machen.
Doch Murat schien sich zu einem wahren Kriminologen zu entwickeln, denn als er zu der vermeintlich- Bekannten ging, bemerkte er a) dass es gar nicht seine Bekannte war und b) fand er heraus warum sie nicht auf seine Attacke (wenn es nach mir ginge: mit einer Anzeige) reagierte: Die Unbekannte war nämlich tot.
Zu allem Überfluss fand Murat als er nach hause kam auch noch eine tote Sau in seiner Badewanne liegen.
“´Polizei, in meiner Badewanne liegt ein totes Schwein!´. Als der Polizist mit seinem Partner kam gingen sie ins Badezimmer, doch das tote Schwein war weg. ´Da liegt ja gar kein Schwein!´ sagte der Polizist. Ich sagte: ´Als ich nach Hause kam lag da noch ein totes Schwein!´. Doch der Polizist und sein Partner glauben mir nicht. ´Sie wollen uns wohl verarschen.´ sagten sie und gingen wieder nach Hause.“
Nun hatte Murat ganz offensichtlich Ärger mit der Mafia, weil er deren Leiche mit Steinen beworfen hat. Vermutlich war es eine sehr wertvolle Leiche, die nicht beschädigt werden sollte. Und nicht mal die Polizei wollte ihm helfen!
Das Ende der Geschichte konnte ich leider nicht mehr lesen, weil meine Schwester mit dem “ernsthaften“ korrigieren beginnen wollte. Außerdem war ich für ihren Geschmack etwas zu gehässig.
Ich war nicht gehässig. Ich habe nur über Menschen gelacht die “Da ist ja gar kein totes Schwein!“ schreiben. Das war meiner Meinung nach völlig berechtigt.
War es doch, oder?

Mein Humor muss nicht jedem Gefallen.
Sicherlich strebe ich eine Zielgruppe an, zu der ich auch gehöre, über die Intellektuelle und angeblich große Literaturkenner die Nase rümpfen und den Stempel "Oberflächlich" aufdrücken.
Doch jeder sollte wissen, dass sich Oberflächlichkeit in der Be- bzw. Verurteilung anderer Menschen manifestiert.
Ich möchte keinesfalls eine "Rotzgöre der Literatur" mimen; doch ebensowenig will ich mich als stiller, frustrierter Literat geben.
Jeder hat eine Gabe. Und wenn es denn nicht das Schreiben sein soll, so ist es die vermeintliche Arroganz, die einige aus meinen Geschichten rauslesen.
Und diese Gabe kann mir keiner nehmen.

Ach ja: Ich freu mich über jegliche Art von Feedback ;)
Christian Müller, Anmerkung zur Geschichte

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Christian Müller).
Der Beitrag wurde von Christian Müller auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.10.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Christian Müller als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

Baader-Meinhof [...] (eBook) von Huberti Jentsch



Hubertus Jentsch präsentiert sein Buch "Baader-Meinhof - Täter, Sympathisanten, Opfer und Andere aus der Personenanalyse und Karmabetrachtung mit den Hubertus-Systemen" als gratis Version zum Online-Lesen.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (4)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Satire" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Christian Müller

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

One fine day...05: Hot Dog von Christian Müller (Satire)
Körperwelten von Norbert Wittke (Satire)
Der verbotene Luftballon von Ingrid Drewing (Wahre Geschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen