Karin Ernst

Das Leben ist schön

Es gibt Tage, an denen ich einfach nicht begreifen kann, wie schön das Leben ist. Vorbei Zeiten der Grauzone, in die natürlich auch ich ab und zu falle. Auch meine Schmerzen sind heute Nebensache, quälen mich nicht zu arg.

Wir schreiben Mitte Oktober.

Es war ein wunderbarer Sommer, häufig hatten wir Tage mit Temperaturen nahe der Vierziggradmarke. Für mich zu heiß. Auch der bisherige Herbst ist wunderschön. Oktober, gekleidet in Gold - eine treffende Bezeichnung in diesem Jahr. Meine Gedichte strotzen vor Farbenvielfalt, denn das Schreiben macht mir weiterhin viel Freude.

Heute Morgen ist es zum ersten Mal richtig kalt. Das Thermometer zeigt fünf Grad. Der Mond steht noch dreiviertel voll am klaren Himmel, daneben funkelnde Sternenflut. Ich ahne, es wird wieder ein schöner Sonnentag werden.

Ich habe verhältnismäßig gut geschlafen. Nach dem Frühstück, als mein Mann auf dem Weg zur Arbeit ist, lese ich zuerst, wie jeden Morgen, meine Morgenweisheit. In einem Buch, das für jeden Tag des Jahres einenText für ein erfülltes Leben vorsieht. Der Spruch für heute passt haargenau zu mir und meiner momentanen Situation, lässt mich lächeln.

Danach setze ich mich eine Zeitlang an den Computer. Schaue, ob ich Mails bekommen habe, was meistens der Fall ist. Liebe Worte vom vorherigen Abend. Ein lebhafter Mailaustausch beginnt.

Mit meiner Schwester gibt es häufig nette Spielereien. Sie fotografiert fantastisch und sucht passende Fotos zu meinen Gedichten aus. Wir haben viel Spaß miteinander am PC. Läuft die Zeit uns auch manchmal davon, und manche Hausarbeit bleibt unerledigt, so sind wir beide am Abend doch zufrieden mit dem Ergebnis.

Erfreut über diese Gemeinschaftsarbeit ist abends auch meine Webmasterin, die ein Gedicht oder eine Geschichte, versehen mit einem hübschen Foto, auf meine Homepage stellt, die von ihr betreut wird. Geteilte Freude ist doppelte Freude.

Irgendwann am Spätvormittag mache ich mich auf den Weg zu einem Termin. Ich genieße das herrliche Wetter: den blauen Himmel, die um die Häuser ziehende Sonne, buntbelaubte Bäume, letzte Blüten. Kleine Freuden, die das Herz erwärmen.

Im Bus zücke ich Block und Stift. Die Wörter zu einem neuen Gedicht fließen. Später stellt sich heraus, es ist ein gelungenes Gedicht, das andere gerne lesen.

Auf dem Rückweg komme ich auf dem Weg zum Bus an einem Reisebüro vorbei. Im Fenster liegt ein Prospekt für Reisen über Weihnachten und den Jahreswechsel. Ein Bild auf der Titelseite lässt mich das Geschäft betreten. Ich bitte freundlich um den Katalog und muss lächeln. Nein, verreisen möchte ich nicht. Das Titelbild zeigt ein Feuerwerk und bringt mich auf die Idee, es einzuscannen, damit ich meine eigene e-Mail-Grußkarte zum Jahreswechsel erstellen kann. Schließlich sorge ich vor.

Als ich den Laden verlasse, bin ich glücklich. Es ist nur eine Kleinigkeit, aber mir gefällt sie.

An der Haltestelle schaue ich eine Frau an, die einen wunderschönen Schal trägt. Immer wieder muss ich diesen Schal betrachten, bis die Frau mich anspricht. Sie kennt mich vom Sehen aus der Nachbarschaft und meint, ich sei ihr aufgefallen, weil ich immer sehr geschmackvoll gekleidet sei. Dieses Kompliment lässt mich fast erröten, weil ich es kaum glauben kann. Denn ich denke eigentlich, ich bin nur sportlich-praktisch gekleidet. Meine Klamotten müssen bequem sein. Sie mag die Farbzusammenstellung meiner Garderobe, was mir gefällt.

Wir haben die gleiche Zielhaltestelle, also unterhalten wir uns während der Busfahrt. Ihr Leben verlief bisher negativ, es geht ihr häufig schlecht. Ich versuche, sie durch kleine Anekdoten meiner Enkel aufzuheitern. Dann berichte ich vom Schreiben, das mein Leben sehr bereichert. Interessiert hört sie zu. Ich kann sie überreden, sich ein einfaches Ringbuch zu kaufen, damit auch sie versucht, ihre Gedanken zu Papier zu bringen. Vielleicht hilft es auch ihr. Ich wünsche es ihr von ganzem Herzen.

Als wir beide aussteigen, staune ich, ihr vorher verkniffenes Gesicht lächeln zu sehen. Froh mache ich mich auf den restlichen Heimweg.

Vor dem Hauseingang schließe ich den Briefkasten auf und stutze. Was ist das? Etwas Flauschig-Grünes liegt im Kasten. Es ist eine mit Marabufedern verzierte knallgrün-glitzernde Postkarte. So eine hübsche habe ich noch nie gesehen und wundere mich, dass sich die Verzierung auf dem Postweg nicht gelöst hat.

Gespannt wende ich die Karte und staune! Neugierig lese ich die ersten selbstgeschriebenen Worte meines Enkels, der erst vor 1 ½ Monaten eingeschult wurde. Oma, ich hab dich lieb, steht dort unter anderem. Meiner Kehle entflieht ein Gluckser.

Beschwingt, so gut es geht, schließe ich die Haustür auf und lifte in den zweiten Stock. Ich merke, dass ich immer noch lächle. In der Wohnung angekommen, rufe ich sofort meinen Mann im Büro an, um die Freude über die Postkarte mit ihm zu teilen. Auch er freut sich.

Ich weiß, dass ich diese Karte sorgsam aufbewahren werde!

Langsam kommt die Sonne ums Haus und auf unseren Balkon. Es ist aushaltbar warm, so dass ich mich dort hinsetzen kann. Ich hole mir ein Glas Wasser, genieße einige Minuten die wärmenden Strahlen, und lasse den bisherigen Tag Revue passieren.

Plötzlich bekomme ich wieder einmal Besuch. Eine kleine Meise setzt sich auf das Metallgitter, das die Balkonwand umgibt. Ich sehe sie nicht zum ersten Mal und verhalte mich ganz still. Es scheint, als wenn sie meinem Blick folgt. Sie dreht ihr Köpfchen hin und her, so dass ich innerlich lachen muss. Zu putzig sieht es aus. Kaum wage ich zu atmen, damit sie nicht davon fliegt. Plötzlich klappt irgendwo eine Tür und husch, ist sie fort. Tschüß, kleine Meise, denke ich. Sie wird wiederkommen. Irgendwann …

Für kurze Momente schließe ich die Augen, döse ein wenig vor mich hin. Ruckartig öffne ich sie dann, denn ich habe ihn gehört! Meinen Lachvogel! Wieder einmal treibt er sich in unserem Garten herum, ich kann ihn aber leider nicht erkennen. Es handelt sich, wie ich inzwischen weiß, um einen Grünspecht, der sehr scheu ist. Lange Zeit hörte ich ihn nur, konnte ihn aber niemals sehen. Bis er eines Tages über den Rasen marschierte und …lachte. Seine Stimme hört sich an wie krächzendes Lachen, darum nenne ich ihn „Lachvogel“. Ich muss automatisch mitlachen, so freue ich mich, ihn mal wieder zu hören. Inzwischen habe ich ihn nicht nur in einem Gedicht verewigt, sondern er kommt auch in einer meiner Erzählungen vor.

Wer diesen Vogel hört, freut sich. Wer ihn sieht, ebenfalls. Denn sein Gefieder erstrahlt in herrlichen Farben. Viele Menschen aber nehmen Vogelstimmen kaum noch wahr.

Einige Minuten sitze ich weiter in Ruhe auf dem Balkonstuhl und denke: diesem Tag ist wirklich nichts vorzuwerfen.

Der Rest des heutigen Tages fliegt davon. Ich erledige, was zu tun ist und freue mich auf den Feierabend meines Mannes.

Als er kommt, sieht er mir an, dass ich zufrieden bin. Es gefällt ihm, wenn ich sage, es geht mir gut.

Nachdem es auf dem Balkon bereits zu kühl geworden ist, schaue ich aus dem Küchenfenster zum gegenüberliegenden Wald. Buntbelaubte Bäume im Schein der untergehenden Sonne sehen aus, als hätten sie Licht angeknipst. Ein bezauberndes Bild.

Abends erhalte ich noch die Mail einer Mailfreundin mit so lieben Worten darin, dass es mir vorkommt, als ginge es ihr heute ähnlich gut wie mir.

Ach ja! Nach Ablauf des heutigen wunderbaren Tages kann ich wirklich fragen:

Ist das Leben nicht schön?




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© Karin Ernst


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.10.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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