Der Hund meiner Mutter ist das wandelnde Klischee eines Hundes. Er hechelt, bellt, springt Leute an, stinkt, wälzt sich in Kacke und ist allgemein hin als dumm zu bezeichnen.
Er gehört zu der Art Hunden, die Schuld daran sind, dass reiche High Society Anwälte in ihrem Büro sitzen, sich die Schuppen von den Schultern des Ralf Lauren Anzuges klopfen, die Nase rümpfen und sagen: “Ich bin eher der Katzen-Typ.“
Schon als meine Mutter ihn holte dachte ich “Oh-Mein-Gott!“ denn ich wusste, dass es nicht nur ihrer sein würde, sondern auch meiner, ob ich wollte oder nicht.
Es fing damals schon an:
Wir saßen in Bulgarien bei einer bekannten am Tisch und tranken friedlich Kaffee. Sie hatte uns schon vorher erzählt, wie rührend sich ihre Enkelkinder um eine Straßenhündin und ihre Welpen kümmern. Die Hündin hatte ihre Welpen im Keller einer Ruine zur Welt gebracht. Es war seit Jahren Baugebiet, aber niemand hat da jemals etwas gebaut, oder auch nur damit begonnen. Es war Winter, und in Bulgarien lag mächtig viel Schnee- Eine wahre Oliver Twist- Story könnte man sagen. Die Enkelkinder brachten den Tieren täglich Futter, und sorgten dafür, dass die Welpen so schnell wie möglich vermittelt wurden, denn in Bulgarien gibt es nur ein Tierheim, und das ist in der Hauptstadt Sofia. Das heißt, wenn irgendjemand mal seinen Arsch hochkriegt, werden die Straßenhunde getötet. Nach ein wenig Gerede wollten wir uns die niedlichen kleinen mal ansehen. Unterwegs trafen wir die Mutter. Es war eine schöne Mischlingshündin mit Bernsteinaugen.
Die Kinder holten die Welpen aus dem Keller, der irgendwie nur noch ein Loch darstellte. “Wir vermuten, dass der Vater ein Rottweiler ist.“ sagten die Kinder. Na ja, die Welpen sahen ein bisschen so aus. Aber im nachhinein haben wir festgestellt, dass der Vater auch nur irgend ein Straßenmischlingsköter ist...
Insgesamt waren es vier Stück. Die niedlichen Vierbeiner tapsten müde durch die Gegend, als ich meine Mutter murmeln hörte “Hmmmm, welchen nehm´ ich denn bloß...?“.
Ich schaute sie mit riesigen Augen an. War sie verrückt?! War sie sich bewusst, dass wir mit einem Reisebus zurückfahren?!
Und außerdem: Meine Mutter mit einem Hund hieß, dass das Chaos schon vorprogrammiert war.
Ich konnte nicht wirklich etwas sagen, weil meine Mutter immer hysterisch wurde, wenn man versuchte ihr “VORSCHRIFTEN ZU MACHEN!!!“.
Sie suchte sich den dicksten aus.
Dieses Tier war wirklich dick. Wenn man es jedoch logisch nachzuvollziehen suchte, fand man nicht wirklich eine rationale Erklärung dafür. Dieser Hund lebte auf der Straße, kriegte nicht gerade Futter in übermengen, und abgesehen davon, waren seine Geschwister viel schlanker. Warum also war ER so dick?? Ich hielt meine Klappe, weil ich keine Lust hatte, dass meine Mutter so tut, als ob ich der blöde bin.
Wie gesagt fing es schon damals an, denn meine Mutter suchte sich zwar einen Hund aus, machte aber keine Anstalten ihn zu nehmen. Es blieb also entweder die Möglichkeit, dass er uns fröhlich folgt, oder dass ich ihn nehmen musste.
Mit diesem kleinen, zitternden Bündel in meinem Pullover fuhren wir zurück zu meiner Oma. Ich musste bei dem Gedanken an ihr Gesicht und ihr Geschrei unwillkürlich lächeln. Doch das lächeln wich der Angst davor, dass der Welpe mich voll pinkelt.
Das Tierchen war ja ganz niedlich, aber mich störte die Tatsache, dass ich ihn tragen musste, und damit Ich seine erste Bezugsperson war. Ich hätte ihn meiner Mutter aber so oder so nicht gegeben.
Ich betrachtete seine enormen Pfoten... es schien fast, als ob es sich nicht um einen Rauhaardackel handelt...
Bei der Namensgebung war ich wieder der Pate. Mir fiel sofort der Name “Mecho“ ein. Das bedeutet auf Bulgarisch “Bär“. Und angesichts seiner Pranken und seiner vermeintlichen Körperfülle schien der Name zu passen.
Mecho kackte und pisste fröhlich überall in der Wohnung rum, was letztendlich dazu führte, dass meine Mutter ihn nur noch in der Küche hielt. Ich wusste gar nicht was sie hatte, denn: 1. Wenn man sich einen Welpen holt, sollte man damit rechnen, dass er noch nicht Stubenrein ist, und 2. Hat sie sowieso kein einziges mal seine Abkömmnisse weg gemacht. Da ich mich aber auch strikt weigerte blieb alles an meiner Oma hängen.
Als wir mit dem Hund ankamen, lächelte sie müde. “ICH BIN UNSCHULDIG!“ sagte ich angesichts des anklagenden Fellbündels, das auf meinem Arm war. “Du spinnst doch.“ sagte sie zu meiner Mutter. Aber weiter nichts, denn wie gesagt, meine Mutter wird hysterisch wenn....
Ich holte Mecho regelmäßig aus der Küche, legte mich ins Wohnzimmer auf das Sofa und lies ihn auf meinem Bauch schlafen. Anfangs war der kleine noch ängstlich und müde und gab keinen Ton von sich. Ab und zu musste man mit ihm raus. Draußen jaulte er und sprang an mir hoch. “Nimm mich bitte wieder auf den Arm!“ wollte er mir damit sagen. Es war eine Tortur in der Kälte zu stehen, und zu warten bis er es macht, damit man ihn dafür loben kann und wieder rein geht.
Eines Tages kam ich in die Küche. Auf dem Boden lag ein Knäuel beigefarbener Wurzeln. “Irgend ein Küchengewürz.“ dachte ich. Doch kurz bevor ich es aufheben wollte, schoss es mir in den Sinn: “Oder vielleicht...“. Ich dachte mir, wenn meine Oma eins ihrer Küchengewürze auf dem Boden sieht, wird sie es schon aufheben. Außerdem war darunter irgendwas das etwas schleimig aussah. Mir fiel auf, dass Mecho gar nicht mehr so dick war wie damals...
Ich saß am Tisch im Wohnzimmer und rauchte mit meiner Oma eine Zigarette, als sie mich fragte, was dieses Gewirr am Küchenboden ist. “Ich dachte irgendwas von deinen Sachen.“ sagte ich, doch sie schüttelte den Kopf. Dann sprach ich aus, was ich ahnte: “Sind das vielleicht Würmer...?“
“Höchstwahrscheinlich.“ antwortete meine Oma.
Meine Mutter lies den Hund von den bulgarischen Tierärzten 6 Monate älter machen als er war. Sechs Spritzen wurden unterzeichnet. Davon hat der Hund zwei wirklich bekommen, weil er noch zu jung war. Mecho war also bereit für Deutschland. Meine Mutter hatte einen ganz putzigen Korb für die Fahrt gekauft. Soweit so gut, aber wie erklären wir das dem Busfahrer? Zwei Tage vor der Fahrt fing meine Mutter an rumzumeckern, wenn ich den Hund fütterte, oder ihm etwas zu trinken gegeben habe. “Er wird noch alles voll machen im Bus!“. Ich weiß ja nicht wie sie sich das sonst vorgestellt hat. Allerdings lies ich mein Baby nicht wie eine Kackmaschine behandeln, immerhin war es ein Lebewesen und musste essen, trinken, und alles was daraus folgt tun!
DIESER HUND, hat auf MEINEM Bauch geschlafen UND DAS HEIßT, dass er NICHT in der KÜCHE gehalten wird, NICHT auf DIÄT gesetzt wird und auch sonst NICHT auf die JEWEILIGE SITUATION abgestimmt wird, verdammt noch mal!
Der Busfahrer gab meiner Mutter das Okay für den Hund, unter der Bedingung, dass die anderen Fahrgäste davon nichts mitkriegen. An und für sich war es kein Problem einen Hund zwei Tage lang in einem Korb zuhalten, VORRAUSGESETZT ES GEHT NUR UM DAS FELL!
Natürlich landete der Hund wieder bei mir, und ich musste zusehen wie ich mich die nächsten zwei Tage bequem hinsetze.
Mecho benahm sich vorbildlich und gab keinen Mucks von sich, bis zur ersten Pause als ich ihn aus dem Korb lies. Da schien er verstanden zu haben, dass er keineswegs dazu verpflichtet war, in diesem Korb zu bleiben. Er fing an zu jaulen, winseln bellen, und alles unter meinen Beinen. Irgendwann gab ich ihn meiner Mutter, damit ich kurz schlafen kann.
Nach kurzer Zeit wurde ich von einem Gejaule wie aus dem Schlachthaus aufgeweckt. Mein Blick schoss zu meiner Mutter. “WAS MACHST DU MIT MEINEM BABY?!“ fauchte ich, wach, als hätte ich nie geschlafen.
Meine Mutter schien vergessen zu haben, dass sie es nicht mit einer Steppdecke zu tun hat, und versuchte den Hund zurück in den Korb zu stopfen, gleichgültig der Tatsache, dass er ein Rückrad hatte.
Also war der Hund wieder bei mir. Er winselte wieder, und ich dachte, er will nur gestreichelt werden, denn Pause war erst gerade. Doch Mecho befand sich bereits in dem Stadium, in dem Babys alles mit dem Mund ausprobieren. Und so begann die Sache mit dem anknabbern.
Er schien an meinen Fingern auszutesten wie doll er mit seinen spitzen Welpenzähnen zubeißen kann.
Mecho wuchs, biss, wuchs, biss, und irgendwann konnte man sich nicht mal mehr auf dem Sofa vor ihm verstecken.
Einige Monate später bereiteten ihm verschlossene Türen auch kein Hindernis mehr. Er legte- und legt- eine Energie an den Tag, die einen zur Verzweiflung treibt. Selbst nach sechs Kilometern laufen ist er noch nicht geschafft.
Ich hab ihm zwar beigebracht “Sitz“ zu machen, wenn ich mit dem Zeigefinger nach oben deute, aber er scheint gegen alle anderen Kommandos Immun zu sein!!
Sein Lieblingsspiel ist es, im Garten plötzlich loszufetzen, über den Zaun zu springen und auf die Straße zu rennen. Wenn ich ihm dann völlig entnervt folge (denn meine Mutter meint “Er kommt schon wieder...“) tut er so als würde er schnüffeln, beobachtet mich aber und sobald ich mich nähere rennt er los.
Obendrein verfolgt er Radfahrer. Er hat einmal eine Radfahrerin vom Fahrrad geworfen und als Entschuldigung fiel mir nichts als “Der will nur spielen.“ ein. Die Leute nehmen es mir nicht übel, denn sie sehen ja, dass ich selbst bald den Tränen nahe bin.
Außerdem wälzt er sich gerne in Scheiße. Aber nur in solcher, die auch wirklich stinkt. Wenn er fertig ist, kommt er fröhlich auf einen zugerannt und springt einen an. Das mit dem Bein heben funktioniert auch noch nicht so wie es soll. Er pinkelt sich dabei auf die Vorderpfote. Genau die, die am öftesten an mir rumkratzt.
Er kann auch seine Größe nicht so ganz abschätzen. Er klettert auf meinen Schoß und setzt- oder legt sich auf mich drauf, als ob er noch ein kleiner Welpe ist.
Die Nachbarn hassen ihn. Er bellt permanent.
Er ist ein Spezi in Sachen Leinen Kaputtreißen. Entweder er beißt sie durch, oder er zieht bis sie reißen.
Er ist Chaos.
Ich liebe diesen Hund!
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Sicherlich strebe ich eine Zielgruppe an, zu der ich auch gehöre, über die Intellektuelle und angeblich große Literaturkenner die Nase rümpfen und den Stempel "Oberflächlich" aufdrücken.
Doch jeder sollte wissen, dass sich Oberflächlichkeit in der Be- bzw. Verurteilung anderer Menschen manifestiert.
Ich möchte keinesfalls eine "Rotzgöre der Literatur" mimen; doch ebensowenig will ich mich als stiller, frustrierter Literat geben.
Jeder hat eine Gabe. Und wenn es denn nicht das Schreiben sein soll, so ist es die vermeintliche Arroganz, die einige aus meinen Geschichten rauslesen.
Und diese Gabe kann mir keiner nehmen.
Ach ja: Ich freu mich über jegliche Art von Feedback ;)Christian Müller, Anmerkung zur Geschichte
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.10.2003.
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