Manfred Gries

Die Beichte

Ungeduldig saß er vor der braunen Tür, abwartend, was da auf ihn zukommen würde. Es war seine Entscheidung gewesen, diesen Geistlichen aufzusuchen, weil sein 30-jähriges Leben etwas in Unruhe geraten war. Fest entschlossen, den Formalitäten zu trotzen, verdrängte er die Gedanken seiner Kindheit aus dem Kopf. Nein, seine letzte Beichte ging den Herrn nichts an und Sünde stand ihm auch nicht im Kopf. Natürlich hatte er, wie alle anderen, sicherlich irgendetwas falsch gemacht. Aber er war sich sicher, dass dieser Pater mit dem freundlichen Wesen und den guten Predigten die Welt mit anderen Augen betrachtete.

Der Name Susanne kam ihm in den Sinn. Susanne, die 6-jährige Nachbarstochter, die an Leukämie litt. Er war damals 9 und sollte 10 Ave Maria beten für das Mädchen, dass diese Welt viel zu kurz besuchte. Erst einmal hatte seine Verfehlung nichts mit dem Mädchen zu tun und zum Zweiten war es genug, dass er mit den anderen 5 Trägern ihren Sarg zu dem Loch trug, in dem dieses Menschenkind einen anderen Platz in dieser Welt fand.

Nein, dieser Geistliche würde sicherlich die Zusammenhänge besser verstehen. Bestimmt hatte er schon mit vielen Menschen gesprochen, die seiner Ausstrahlung angemerkt hatten, dass da wirklich Liebe hinter steckt.

Je länger er dort saß, umso deutlicher wurden seine Fragen. Fragen, die er hier stellen konnte. War er eigentlich überhaupt bereit, über Schuld und Vergebung zu sprechen? War er bußfertig? Er dachte an die Sonntagsmessen in seiner Jugend. Sie hatten sich abgewechselt, die Freunde. Jeden Sonntag ging ein anderer in die Messe während der Predigt, damit alle den Eltern erzählen konnten, was das Thema war. Währendessen saßen die übrigen im Cafe Hillebrandt und tranken Kaffee, unterhielten sich. Nein, es hatte keinen Sinn, er war nicht hier, um zu beichten. Er war hier, weil der Geistliche diese Ausstrahlung hatte und weil irgend etwas in seinem Leben nach Sinn fragte.

Die Tür öffnete sich und das freundliche Lächeln, das ihn so ansprach, gab den Worten einen vertrauenserweckenden Ton. “Treten Sie doch ein“, sagte sein Gegenüber.

Etwas nervös, einen Einstieg suchend, blickte er auf das Gewand seines Beichtvaters. “Also, ich bin hier, weil ...“, begann er zögerlich. Durch das geöffnete Fenster erklang die Mundharmonika eines Stadtstreichers. Sie befanden sich im Stadtzentrum, genau gesagt, in der Fußgängerzone. “Einen Moment bitte“, antwortete der Geistliche, stand auf und schloss das Fenster. “Leider kann man es nicht verhindern, dass diese Menschen andere mit ihrer Lebensart belästigen.“ Der Geistliche hatte dieses Lächeln verloren, das Grund für das Gespräch gewesen war. Zumindest erschien es dem Beichtenden so. Es folgte eine nette Unterhaltung über Stadtstreicher, die erst endete, als die braune Tür sich wieder hinter ihm schloss.

Auf dem Heimweg dachte er an Sabine, die wenig Platz im normalen Leben fand, weil sie körperlich zuviel Platz einnahm. Sabine hätte sich über die Mundharmonika-Töne gefreut. Sabine liebte Musik.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.10.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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