Klaus-D. Heid

Ich

Glauben Sie mir, dass ich glücklich bin?

Natürlich können Sie diese Frage unmöglich beantworten, ohne mich zu kennen. Würden Sie mich kennen, wäre es unter Umständen auch nicht einfach, eine einigermaßen zutreffende Einschätzung meines Glücks- oder Unglückszustandes zu diagnostizieren, da ich schon immer überaus undurchsichtig war.

Wahrscheinlich interessiert Sie mein Gemütszustand kein bisschen, oder? Ist’s nicht so, dass Sie keine Lust haben, über einen wildfremden Mann nachzudenken, der Ihnen derart unwichtige Fragen stellt? Und ist es nicht so, dass sich heutzutage ohnehin niemand dafür interessiert, wie’s dem Nachbarn, dem Friseur oder dem Briefträger geht? Ist es somit nicht überaus vermessen von mir, Sie mit meinen persönlichen Gedanken zu konfrontieren?

Nein? Sie haben gerade ein paar Minuten Zeit – und sowieso nichts besseres zu tun, als mir zuzuhören? Sie warten auch auf den Bus? Ob Sie nun die vorbeifahrenden Autos zählen oder oberflächlich meinen Erklärungen lauschen, ist Ihnen grundsätzlich egal? Der Bus kommt erst in acht Minuten? Solange gewähren Sie mir ein Schwätzchen mit Ihnen?

Vielen Dank! Ich finde, dass es immer wieder erfreulich ist, Menschen zu begegnen, die sich noch Zeit für Mitmenschen nehmen. Nochmals meinen herzlichsten Dank dafür.
Ich heiße übrigens Hubert G. Pankratz, bin beinahe 40 Jahre alt, verheiratet und habe einen 13jährigen Sohn, der zur Zeit gerade seine Großmutter in Leipzig besucht. Ist ein lieber kleiner Bursche, mein Oskar; seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten, obwohl Annegret nie Probleme mit ihrem Gewicht hatte. Oskar hingegen hat durchaus ein paar Kilo zuviel auf den Rippen, wenn Sie verstehen, was ich meine.

Steht irgendetwas interessantes in der Zeitung?

Entschuldigen Sie bitte; ich wollte wirklich nicht beim Lesen stören – aber ich dachte, dass ich Ihnen etwas über mich erzählen darf? Glauben Sie, dass Sie mir zuhören können, während Sie Zeitung lesen? Ja? Sie können’s? Ist das wahr? Tatsächlich? Na, dann haben Sie mir aber eine Menge voraus, junge Frau. Ich kann mich immer nur auf eine Sache konzentrieren. Jede Ablenkung produziert mir sofort ein Gefühl von... von... von einer Störattacke, die ich sofort eindämmen muss. Für mich ist Konzentration das A und O im leben. Ohne Konzentration gibt’s keine Struktur. Ohne Struktur herrscht das Chaos.

Hatte ich schon erwähnt, dass ich Beamter bin?

Seit fast zwanzig Jahren bin ich bei der Verwaltungsstelle im Bauamt beschäftigt. Im Grunde genommen ist’s gar nicht so übel, wenn man weiß, wann der Arbeitstag beginnt und wann er endet, wobei das nicht heißen soll, dass ich kaum was zu tun habe. Ganz im Gegenteil! Mich regt es immer maßlos auf, wenn ich höre, wie faul und langweilig wir Beamten sein sollen. derartige Vorurteile werden nur von Leuten verbreitet, die von unserer Arbeit nichts verstehen.
Ohne uns Beamte ständen alle Räder dieser Republik still! Genauso ist es. Man muss sich mal vorstellen, an welchen Dreh- und Angelpunkten wir Beamte an den Hebeln der Macht sitzen. Keine Beamten mehr – und Deutschland müsste ausschließlich von Ackerbau und Viehzucht leben! Und selbst dazu braucht man uns Beamte, denn wir sind’s schließlich, die mit unserem Verwaltungsgeschick jede Branche im Land am Leben erhalten!

Genau das ist es auch, was mich so unsagbar glücklich macht.

Aus meiner Sicht ist wahres Glück nur möglich, wenn man mit seinem Leben zufrieden ist, wie’s ist. Ich sage immer, dass eine stabile Familie, ein erfülltes Arbeitsleben und ein kleines bisschen finanzielle Sicherheit locker ausreichen, um uns Menschen glücklich und zufrieden zu machen! Wenn dann auch noch so überaus nette Menschen neben einem sitzen, die ein Ohr für die Probleme anderer Leute haben, kann sich niemand mehr beschweren, oder?

Wenn ich allerdings ganz ehrlich bin, gibt’s da schon ein paar Dinge, die mich stören. Sie sind doch auch eine Frau. Finden Sie nicht, dass Frauen es ab und zu mit ihrem Egoismus übertreiben? Meine Frau beispielsweise kann stundenlang nur von sich erzählen, ohne sich nur einmal nach mir zu erkundigen. Sie plappert und plappert in einem fort und hört erst damit auf, wenn ich aufs Klo gehen muss...

Schade, dass Sie mit diesem Bus fahren müssen. Wirklich sehr schade. Es hat mir viel Spaß gemacht, Ihnen zuzuhören. Ich bin ein begeisterter Zuhö...

Tschüss. Machen Sie’s gut, junge Frau.

Guten Tag. Sie warten wohl auch auf die 16, oder?

Sie wissen, dass die 16 erst in zwölf Minuten kommt? Ja? ist alles in Ordnung mit Ihnen, junger Mann? Haben Sie Ärger gehabt?

Lassen Sie sich von einem erfahrenen Mann sagen, dass Ärger ebenso vergänglich ist wie der miese Geruch, der ab und zu aus dem Gulli steigt. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, könnten wir uns ja die Wartezeit mit einem kleinen Schwätzchen vertreiben? Ja?

Ich heiße übrigens Hubert G. Pankratz, bin beinahe 40 Jahre alt, verheiratet und habe einen 13jährigen Sohn, der zur Zeit gerade seine Großmutter in Leipzig besucht. Ist ein lieber kleiner Bursche, mein Oskar; seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten, obwohl Annegret nie Probleme mit ihrem Gewicht hatte. Oskar hingegen hat durchaus ein paar Kilo zuviel auf den Rippen, wenn Sie verstehen, was ich meine.

Darf ich Ihnen mal erzählen, was ich am meisten hasse, junger Mann?

Ich finde es furchtbar, wenn die Menschen immer aneinander vorbeireden. Irgendwie habe ich das Gefühl, als würde die Welt immer oberflächlicher und abweisender. Interessiert es heutzutage noch jemanden, was mit den Mitmenschen passiert? Und im Beruf?

Was machen Sie denn beruflich? Ich jedenfalls bin Beamter. Und ich liebe meinen Beruf. Ich muss Ihnen unbedingt erzählen, wieso ich schon als kleiner Junge in den Staatsdienst gehen wollte...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.10.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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