Andrea Renk

Ein Leben 1

 

 

 

 

Sie lebte in einer Schattenwelt. Im Dunklen da fühlte sie sich wohl. Es ist als wenn sie untertaucht. Die Leute sollen sie nicht sehen. Jedenfalls nicht die, die nicht wirklich sehen können.

Umhüllt mit ihrem „Tarnmantel“ geht sie umher, wandelt fast lautlos durch die Nacht. Hier und da bleibt sie stehen, beobachtet die Leute. Meist wird sie nicht wahrgenommen. Aber das stört sie nicht, würde sie nur am beobachten hindern.

Manchmal wenn sie einsam ist, dann legt sie ihren Mantel ab. Dann lässt sie zu, daß die Menschen sie sehen. In den Nächten ist sie angespannt, hat Angst. Aber sie überwindet sie.

Denn sie hat ja gelernt damit umzugehen. Sie kennt das Gefühl der Angst, es ist ihr vertraut. Glücksgefühle wären schlimmer. Sie hat von ihnen gehört. Sie sollen schön sein und eigentlich wüsste sie ja schon gerne wie sich Glück anfühlt. Aber dafür müsste sie den Tag zulassen.

DER TAG!

Nichts ist mehr verborgen. Am Tag verliert ihr Tarnmantel seine Wirkung. Sie würde dastehen; blank und bloß. Und was ist mit der Sonne? Sie soll warm sein. Was ist wenn sie zu heiß ist? Wenn sie verbrennt? Wie kann sie sich dann schützen? Kann sie das alleine?

Ist sie so stark?

Die Dunkelheit ist ihr Schutz, da kennt sie sich aus. Sie zeigt sich nur wenn sie will. Wenn Gefahr kommt, dann ist sie schnell verschwunden. Keiner kennt ihre Verstecke. Und keiner kennt ihr Allerheiligstes. Ihre Seele.

Wenn sie doch schon ihre Erscheinung nicht annehmen, dann sollen sie auch ihre Seele nicht sehen. Nein sie muss sich schützen. Ihr Allerheiligstes darf keiner anrühren, keiner verletzen.

Bisher wenn sie ihren Mut zusammennahm, den Mantel ablegte und sichtbar wurde, dann war es fast immer gleich.

Die erstaunten Blicke kannte sie, daran hatte sie sich gewöhnt. Die abfälligen Bemerkungen, darüber konnte sie noch hinweghören. Sie tat dann so als hätte sie gar nichts gehört. Meist hörte es auf, nach ein oder zwei Bemerkungen.

Wenn dann jemand dabei war, der sie einlud sich zu setzen und wenn sie meinte so etwas wie Güte in den Augen des Menschen zu sehen, dann setzte sie sich dazu. Sie kam dann eigentlich ganz leicht ins Gespräch, sah in die Augen der anderen, hörte zu. Und manchmal fing es an, ihr Spaß zu machen. Sie spielte ihr Spiel und fing dabei an Türen aufzumachen, meinte vertrauen zu können. Das was sie unter Vertrauen verstand. Und immer wieder war das Spiel anders. Zu viele Spielarten die sie nicht kannte. Sie spielte ihr vermeintliches Spiel und merkte vor lauter Sehnsucht nicht, das sie diejenige war, mit der gespielt wurde. Die andren hatten nicht wie sie den Mantel abgenommen.

Sie amüsierte sich, hatte Spaß und fühlte sich wohl.

Bis zum Morgengrauen.

Als langsam die ersten Nebel aufzogen, am Horizont das erste zaghafte Licht des Morgengrauens zu sehen war, fingen die lächelnden, lachenden Gesichter der anderen an zu Fratzen zu werden. Das freundliche Lachen wurde zu hämischen Gelächter.“ Guckt euch die an, wie sie dasteht die fette Sau. Was will die?? Freundschaft? Liebe? Wer will denn so eine zur Freundin? „

Schlagartig war alles wieder da. Alles erstarb was da war in dieser Nacht. War da Hoffnung?

War da ein Gefühl wie Vertrauen, Liebe, angenommen sein?

 

Schnell nach Hause jetzt. Noch ist es nicht ganz hell. Die Sonne zu sehen heißt sich schämen zu müssen. Nein sie will sich nicht dem Hohn und dem Spott der anderen aussetzen. Sie hat die Kraft nicht dazu. Was soll den Tag so glücklich machen? Sie verstand die anderen nicht. Kann nicht verstehen, was in ihren Köpfen vorgeht wenn sie verspotten und verachten.

Wenn sie die Nacht ist, sollen diese Menschen dann der Tag sein?

Sie kannte ja die anderen nicht. Wusste überhaupt nicht, das sie existieren.

 

Sie war zuhause, kurz bevor die Sonne ihre ersten Strahlen zur Erde schickte. Sie zog die Gardinen zu, wollte sich ihre Dunkelheit, Geborgenheit erhalten.

Sie hörte das Leben draußen vor ihrer Tür; Nachbarn die sich grüßten und miteinander erzählten, Kinderlachen. Nein sie waren doch nicht wirklich freundlich. Hinter dem Lächeln verbargen die ihre Fratzen. Sie gaben sich die Hände und insgeheim zeigten sie mit dem Finger auf ihr Gegenüber. Lachen wie Glas so zerbrechlich. Gespielte Freundlichkeit, selbst das Kinderlachen kam ihr künstlich vor.

Ist das der Tag?? 

 

Es gab nur ein Art Lebewesen die ihr Ehrlichkeit entgegen brachten. Die Tiere. Alle Tiere waren ihr lieber als die Menschen. Sie versteckten keinen Abneigungen, spielten kein falsches Spiel. Sie lachten nicht, verhöhnten nicht. Als Kind schon fühlte sie sich bei ihnen wohler als bei den Menschen. Zu ihnen flüchtete sie. Damals lebte sie noch auf dem Land. Hatte die Tiere wenn sie wollte ständig um sich. Sie taten ihr so gut. Nun lebte sie in der Großstadt. Die wenigen Begegnungen die sie mit Tieren hatte waren nur flüchtig, viel zu kurz und viel zu schnelllebig. Zu gerne würde sie mal wieder ganz früh morgens mit einem Hund über die Wiesen laufen oder inmitten einer Kuhherde stehen. Kühe haben so wahnsinnig schöne Augen. Hat jemand schon mal eine hektische Kuh gesehen? Oder umringt von vielen Pferden, deren weiche, schnuppernden, spielenden Nüstern spürend, das Dasein genießen. Ja das war und ist Leben für sie. Dort ist sie frei, kann sie lachen. Dort und nur dort bei den Tieren, da macht sie die letzte Tür auf. Die Tiere haben Eintritt in ihre Seele.

 

Nun sitzt sie da in ihrem Appartement die Gardienen sind geschlossen.

Sie hört ihre Musik, die sie schon lange begleitet, die Emotionen in ihr weckt. Sie sitzt da und wartet bis der Schmerz sich verzieht. Nein, sie wollte sich nicht von den Fratzen beeindrucken lassen. Sie kannte das ja schon. Lang zog sie das nicht nach unten. Morgen war alles wieder vergessen! War es das wirklich?

Wird sie es je lernen wirklich damit umzugehen??

 

 

5 Jahre später....

 

Sie hat geheiratet, hat gerade eben erst ihr Kind bekommen. Es war ihr Wunschkind. Sie ist glücklich mit ihrem Kind, aber nicht mit ihrem Mann. Sie liebt ihn nicht wirklich. Sie dachte das kommt noch mit der Zeit. Sie hatte einen Traum. Einen Traum von Familie. Den hat er ihr erfüllt. Aber er war zu schwach, nicht lebensfähig. Ihre Kraft reichte nicht aus für beide. Die Ehe zerbrach und sie war wieder alleine. Mit sich und ihrem Kind. Und sie war gezwungen am Tag zu leben. Ihr Kind konnte sie nicht mitnehmen in die Nacht. Nein, nicht ihr Kind. Sie wollte es diesem Leben nicht aussetzen, wusste sie doch wie es war in der Nacht.

Nein sie wollte kämpfen, wollte es allen zeigen die nie an sie geglaubt haben, die sie immer nur belächelten. Sie alle sollten sehen was wirklich in ihr steckt.

 

Und so kämpft sie seit 5 Jahren. Sie geht ihren Weg, so gut sie kann. Die Steine sind sehr groß, Felsen fast, aber sie schafft sie weg. Irgendwann wird sie ihr Ziel erreichen. Irgendwann wird die Sonne sie nicht mehr verbrennen.

Sie begegnete Menschen ohne Fratzen.

Auch wenn sie die letzte Tür zu ihrer Seele noch nicht geöffnet hat. Sie weiß das die Zeit kommen wird. Und jetzt weiß sie, das jeder Schmerz zu einer neuen Erkenntnis führt, wenn man ihn annehmen kann, keine Angst vor ihm hat.

 

 

Irgendwann werde ich mit offenem Herzen in die Sonne schauen können.

 

 

a.r. (c) 2003

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.11.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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