Christine Wolny

Das Schneeflockenkind

Viele Schneeflocken fielen vom Himmel auf die Erde, dicht an dicht. Die kleine Schneeflocke hatte Angst vor dem Fliegen und schielte zur Seite. Dort flog ganz dicht neben ihr eine dicke Flocke. Sie war wirklich dreimal so kräftig und sah dadurch gemütlich aus. "Dauert es noch lange, bis wir auf der Erde sind?" fragte da das Schneeflockenkind die Flocke. "Du musst nämlich wissen, ich war noch nie auf der Erde, deswegen ist es mir so unheimlich." "Bleibe ganz nah bei mir, dann kann Dir nichts passieren. Ich kenne mich schon gut aus, ich bin jedes Jahr unten gewesen, und ich weiß, wo es schön ist, " antwortete die freundliche dicke Flocke. Nun war die Kleine beruhigt. Sie hatte eine Begleitung gefunden.


"Wir werden dieses Jahr auf einem Dach landen und möglichst in einem Haus, wo Kinder wohnen. Da geht es lustig zu und wir erleben viel. Ich war auch schon mal in der Stadt, aber da ist es mir zu laut und zu schmutzig. Da ist im Nu mein Kleid schwarz, und das liebe ich gar nicht. Manche Schneeflocken fallen auf die Straße. Dort werden sie zertreten oder zerfahren. Wenn man auf dem Bürgersteig liegt, wird man mit einem groben Besen weggekehrt.


Im Garten finde ich es angenehm. Da liegt man mit vielen Flocken zusammen, und wir bilden eine wunderschöne Schneedecke. Doch manchmal kommen die Kinder auf die Idee und bauen aus uns einen Schneemann. Da werden wir zu Kugeln geformt und aufeinander gesetzt. Ich war auch schon einmal ein Teil eines Schneemanns. Das hat mir Spaß gemacht. Ich war damals in einem Gebirgsdorf herunter gekommen. Dort war es grimmig kalt, und wir lebten in diesem Winter besonders lange, denn es dauerte Wochen, bis die Sonne uns zum Schmelzen brachte und wir wieder zum Himmel aufstiegen."
Das alles erzählte die dicke Schneeflocke auf dem weiten Weg vom Himmel zur Erde.


Das Flöckchen hörte gespannt zu. Sie fand ihre Begleitung sehr freundlich.
"O, ja , ich komme mit Dir," erwiderte das Flöckchen. Nun habe ich gar keine Angst mehr. Ich bin sogar neugierig, was mich erwartet."
Die Flocke äugte ganz angestrengt, je näher sie zur Erde kamen. Wenn ein Windstoß kam, steuerte sie kräftig in Richtung Wohnhäuser. Bald hatte sie sich ein Dach ausgesucht, und auf diesem wollten sie landen. "Halt dich fest bei mir," damit Du mir auf dem Dach nicht abrutschst," sagte die große Flocke, und das


Flöckchen gehorchte. Die Landung klappte gut. Es waren schon viele andere Flocken auf dem Dach, so dass es schon ganz weiß war. Ein paar Kinder rannten im Garten herum. Zwei fuhren mit dem Rad und die anderen spielten Versteck. Es war etwas Neues für das Flöckchen, denn es hatte noch nie Kinder gesehen.


Als es dunkelte, verschwanden die Kinder im Hause, und die Flocken hörten sie sprechen und treppauf, treppab laufen. Die Kinder bastelten und wurden auch manchmal sehr laut. Doch irgendwann war es dann ganz still im Haus geworden.

Am nächsten Morgen rannten die Kinder dick eingemummt in den Garten. Sie freuten sich über den Schnee, formten Schneebälle, warfen sich damit und lärmten dabei. Plötzlich weinte das kleine Mädchen. Es hatte einen Schneeball ins Gesicht bekommen, und das tat weh. Die Mutter stürzte aus dem Haus, putzte mit einem Taschentuch das Gesicht trocken, redete ihm gut zu und streichelte es. Dann war alles wieder gut. Der Garten sah nach der Schneeballschlacht nicht mehr so gut aus, wie vorher. Ab und zuschaute die dunkle Erde hervor, und mit der weißen, herrlichen Schneedecke war es vorbei. Nur auf den Dächern, wo die Menschen nicht hinkamen, blieb die schöne, weiße Schneedecke erhalten, und das Schneeflöckchen freute sich darüber, dass es da oben lag und noch viele, viele Tage zusehen konnte, was auf der Erde geschieht.


by Christine Wolny

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.11.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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