Gerda Schmidt

Ronny, der kleine Weihnachtsbaum

Das Du Deine Weihnachtspost noch nicht erhalten hast, liegt nur am Briefträger. Tagelang lag sie vor meiner Wohnungstür und wurde nicht mitgenommen. Wahrscheinlich wusste er, dass ich das Porto sparen wollte. Oder er hat was gegen Ausländer (wobei ich nicht weiss, ob er dabei Dich oder mich meint). Vielleicht liegt es aber auch nur daran, daß es nach 11 Monaten nicht mehr aktuell ist.

Endlich ist es soweit! Weihnachten steht vor der Tür und ich habe es nun doch noch geschafft ein Weihnachtsfest zu organisieren. Eigentlich wollte ich das Fest schon vor Jahren mit Dir feiern, aber diverse Umstände hielten mich davon ab. Zuerst war der Weihnachtsmann krank, dann hat mir der Sommer einen Strich durch die Rechnung gemacht, ausserdem würden Deine Eltern sich bedanken, wenn Du um diese Jahreszeit „Es ist ein Ros’ entsprungen“ singst, und nicht zuletzt haben wir uns damals noch nicht gekannt.

Nun reklamierte der kleine Tannenbaum, dass er auch mal ins rechte Licht gerückt werden möchte und kam gleich mit dem 50m Stromkabel angerollt. Jetzt sehe ich mich moralisch dazu verpflichtet, ihn fein herauszuputzen und Dir vorzustellen.

Ronny – er heisst in Wirklichkeit Rodebert, hasst diesen Namen aber, weil es ihn zu sehr an die Gross-Rodungen in Brasilien erinnert - wurde vor 4 Jahren im Pfälzer Wald aus einer Weisstanne geboren, indem er von seiner Mutter getrennt wurde, als sich eine rasende Wildsau beim Durchqueren des Waldes an deren Ästen verhedderte und das Unglückskind dabei den sicheren Schoss der Rinde verlassen musste. Nachdem ich ihn durch Zufall fand, als ich gerade Moos und Farn für meine damals bereits geplanten, aber noch nicht realisierten Latifundien sammelte, päppelte ich den kleinen mit Phytohormone und anderen natürlichen Hilfsstoffen , als da wären granulierte Gurkenschnitzen zum schnelleren Zellaufbau, Kalium aus alten Bananenschalen zur Regulierung des Stoffwechsels und scharfen Senf aus Avignon zur Nadelspitzenbildung, auf.

Als Zweijährigen und aus dem Säuglingsalter heraus, in dem er mindestens 3 Liter Wasser pro Tag aufsaugte, schickte ich ihn zusammen mit einer Birke und zwei Eichen in die Baumschule. Mir kam er ein wenig frühreif vor, was sich auch sehr bald durch sein hin und wieder unflätiges Benehmen zeigte. Er fiel dort ständig durch lautes Gerassel auf, da er versuchte mit seinen doch etwas üppig geratenen Tannenzapfen das weihnachtliche Geläut der tieftönenden Weihnachtsglockensterne zu imitieren. Allerdings gefiel es mir nicht, dass er die kleinen Kirschbaummädchen anmachte oder den zarten Linden in die feinen Blätter Löcher stach. Kurzum, der Baumschullehrer schickte ihn wieder nach Hause.

Zuerst suchte ich einen geeigneten Platz, der windgeschützt, hell und ohne direkte Sonneneinstrahlung eine ideale Wachstumsumgebung darstellt. Dann grub ich eine Mulde in die ich den Halbstarken einpflanzte. Zum besseren Wachstum unterlegte ich den ganzen Streifen mit Hornspäne und Rindenmulch. Als die Zeit des sauren Regens begann, wurde er im wahrsten Sinne des Wortes sauer. Doch dem konnte ich schnell Abhilfe schaffen, indem ich ihn mit dem bereits benutzten Abwaschwasser abgoss, was zur Neutralisierung voll und ganz genügte. Das Problem mit dem Geläut wuchs allerdings mit seiner Stammlänge mit und verursachte einen Geräuschpegel von über 45 dB. Er angrenzende Nachbar, der Kantor in der ortsansässigen katholischen Kirche ist, meinte jedoch, dass das Bäumchen nur seiner Musikalität nachgehe und einmal eine grosse Konkurrenz zu den hiesigen Fronleichnam-Glocken werden könnte. Das war seine Auffassung, aber nicht meine. Da eine Glocke mit Klöppel, jedoch ohne Glockenkörper etwas seltsam klingt und ich nicht die Aufmerksamkeit des nahe gelegenen Forstamtes auf mich ziehen wollte, nahm ich kurzerhand eine grosse Heckenschere und schnitt ihm diem blöden Tannenzapfen radikal ab. Da es bereits dämmerte, merkte es keiner und ich legte die meines Erachtens undefinierbaren Schichtbündelchen in den Keller zum Trocknen.

Nachdem das Kerlchen sich etwas aklimatisiert hatte, legte sich auch seine Aufmüpfigkeit und er ging über zur normalen Baumtagesordnung, als da wäre: still sein und wachsen: Doch gemäss dem Sprichwort: Es kann der Friedlichste nicht in Frieden leben, wenn der Nachbar es nicht will. So harkten sich die Ranken einer Kletterrose immer wieder um den noch weichen Stamm des Wüchslings und drohten ihn mit den vielen Dornen zu verkratzen bis das weiche Baummark freilag und in der Sonne zu vertrocknen. Und wieder wurde ich mit der Heckenschere aktiv, dieses Mal aber massiver und weniger vorsichtig. Prompt kam auch schon die erste Beschwerde vom Baum- und Bodenschutz beauftragten, dass es nicht zulässig ist Rankgewächse über einer Länge von 3 m ohne Genehmigung zu stutzen. Aber wenn ich nicht einmal mehr stutzen darf, wie soll ich dann kritisch durchs Leben gehen? Das Protokoll warf ich nicht weg, sondern behielt es für die kommende Wintersaison zum Feuer anzünden. Wie das Schicksal es nun mal will, hatte dieser kleine Zwischenfall, der sich mitten in der Arbeit zugetragen hatte, den Vorteil, dass ein Teil des Dornengestrüpps erhalten bleib und das die Rettung beim folgenden Sturm war. Die zum Teil am Zaun festgewachsenen Ranken hielten den Wichtel an seinem Platz, als das Unwetter über ihn hinwegbrauste. Doch es gib auch noch eine Gerechtigkeit, denn der grösste Teil des langen Gewächses wurde durch die Heftigkeit und die schlingernde Bewegung samt Wurzel aus dem Boden gerissen. Nur ein winziger Teil des Wurzelstocks überlebte, so dass ich dem erneut erschienenen Beamten die restlichen Belege zeigen konnte.

Meiner Meinung nach ist diese Tanne keine echte Weisstanne, denn die Nadeln erscheinen mir etwas zu grün und weich zugleich. Als ob er Gedanken lesen könnte, liess er sich dementsprechend etwas einfallen und animierte ein Schwalbenpaar dazu sich ein Nest in seinem noch spärlichen Unterholz zu bauen. Der Plan ging auf und sehr bald war das Nest gefüllt mit Eiern, die auch bald eine tüchtige Brut hervorbrachten. Sinn und Zweck des ganzen war einzig und allein, dass diese Junge, deren Darmmuskel noch nicht richtig funktionierte, die ganzen Tannenzweige vollkaken. Daran konnte man den IQ von Ronny ableiten. Innerhalb von Zwei Wochen nach Verlassen des Nestes spülte der Regen den ganzen Schmodder zum Glück wieder weg. Da wäre sogar ein Kleinkind drauf gekommen, denn wäre es anders würden alle Menschen bis zum Rest ihrer Tage mit braunem Hintern aus dem Babyalter herumlaufen.

Nachdem Ronny sich von mir einen Minenspitzer ausgeliehen hatte und sämtliche Nadelspitzen damit neu formen wollte, war mir klar, dass er etwas besonderes vor hat. Auf die Idee, mit Dir Weihnachten feiern zu wollen, wäre ich allerdings nicht im Traum gekommen. Jedenfalls soll ich Dir einen freundlichen Gruss zukommen lassen, was ich hiermit auch getan habe und wünsche Dir das selbe.

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Warum sollen nur Kinderaugen glänzen. Ein Baum kann das auch

s.http://www.autoren-im-netz.de/
Gerda Schmidt, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.11.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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