Norbert Wallner

Novemberabend

Der Tag heute war schön, er war sehr schön sogar. Der Wald im Herbst, die Burg, wie ein Denkmal stand sie mitten in der kalten, engen Schlucht. Ein Denkmal für die Natur, und trotzdem war es so anstrengend und nicht vollkommen. Der Druck seiner Hand hat gefehlt, um die Schönheit voll erfassen zu können. Bills Nähe, um die Spannung, unter der sie stand, zu lösen. Es gab so viele Probleme rundherum, Mädchen, die sie fast erdolcht hätten mit ihren Blicken, das Bedürfnis zu reden. Und trotzdem, es ist viel zu wenig gesagt worden.
Sie fragte sich, was sie da tun sollte in einer Klasse, in der 13 Leute fehlten. Wieso war sie eigentlich nicht auch zu Haus geblieben? Aber nein, sie fühlte sich dazu herausgefordert, in die Schule zu gehen, dann, sie wusste nicht, langsam wurde es ihr immer blöder, immer wieder tauchte diese debile Erziehungsanstalt in ihr auf, ihre Gedanken kreisen immer wieder darum, dabei war es für sie eigentlich gar nicht wichtig.

Sie dachte an den gestrigen Abend, als Bill da war. Sie wollte ihn nicht allein fahren lassen. Ja, und dann war er doch plötzlich weg – ein Gedanke.
Jetzt war es draußen dunkelblau, zwischen den Bäumen schwebten Illusionen,
aber noch nicht die verlorenen, sondern hoffnungsvolle.
Finsternis, ganz langsam – und doch, jetzt ist sie da. Gabi wollte versuchen, jetzt in diese Finsternis hinein, die draußen herrschte, mit dem Licht zu leuchten, das Bill ihr gab. Sie lag im Bett, hörte Ambros und dachte sich: A Mensch möchte i bleiben. Er hatte unheimlich Recht – wie Bill, obwohl der, im Gegensatz zum Ambros, natürlich immer Recht hatte.
Es wurde zur Notwendigkeit, ja, sie fühlte sich dazu gezwungen, ihn zu sehen. Wenn er nicht da war, musste sie ganz fest ihre Augen zumachen, um ihn herzuholen. Und wenn er nun da war, vor ihren Augen stand, dann war es so, dass sie ihn bis in die Fingerspitzen spürte, alles was von ihm ausging, war zu viel, um es erfassen zu können.
Es war nicht gut, Bill so wenig zu sehen. Trotzdem, ihre Schule machte sie so müde, dass sie manchmal unfähig war, irgendetwas Schönes, Liebes noch zu sehen. Das war traurig, sie wusste es. Jetzt hoffte sie, dass das besser werden würde, nächste Woche hatte sie wenigstens Zeit zum Schlafen. Und sie freute sich auf die Adventzeit, auf’s Zuhaussein – auf Wärme, Kerzen, Tee, auf alles mögliche. Auf die Weihnachtskekse.
Es fiel ihr so schwer, bis morgen zu warten, um ihn zu sehen.
Draußen war es jetzt schwarz, dunkel, sie konnte nicht einmal mehr die Bäume sehen – ihre Bäume, aber es machte sie Gott sei Dank nimmer betroffen, betrübt wie irgendwann einmal.
Jetzt würde sie eine Woche zu Hause sein – eine Woche lang, vielleicht die einzige im heurigen Schuljahr. Sie hörte Cohen und dachte daran, dass Bill schon wieder nichts zu tun hatte und sie noch was für morgen zeichnen musste.
Aber Schuld war der Mond, der schien nämlich nicht.


© NoWall 2002

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.12.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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