Jürgen Grunert

Die Checkliste

(Über eine effektive Methode, den passenden Partner zu finden)

Etwas merkwürdig war mir zumute, als die Frau meines Herzens an dem Morgen, nach unserer ersten liebevollen Nacht, plötzlich nach meinem Kinn griff, mir den Mund aufmachte und damit begann eingehend meine Zähne zu betrachten. Mich beschlich so ein Gefühl, als wäre ich auf dem Pferde- oder Sklavenmarkt. Auf meine Frage hin, was sie da täte, meinte sie nur, sie müsse gründlich untersuchen, ob sie mich so annehmen könne, wie ich bin.

Nun gut, mit meinen Zähnen habe ich kein Problem. Mein Zahnarzt meint sowieso, mit mir könne er kein Geld verdienen. Ein bisschen bedauerte ich es, dass ich mir da nicht mal so ganz blitzschnell einen Steinbruch hineinzaubern konnte, nur für die Zeit ihrer Betrachtung natürlich. Es wäre für mich gar zu interessant gewesen, ob ich dann sofort des Bettes verwiesen worden wäre oder ob sie erst nach einem Frühstück, ganz diskret, auf das nächste Date verzichtet hätte.

Unsere Beziehung ging später aus anderen Gründen auseinander. Geblieben ist bei mir der Gedanke, dass sie vielleicht eine effektive Methode der Partnersuche gefunden hat. Sie arbeitet eine Checkliste Punkt für Punkt ab: Erst die Zähne, soll ja Hinweise für die Gesamtgesundheit liefern, damit verbunden vielleicht auch gleich der Mundgeruch. Als nächstes werden möglicherweise die Muskeln geprüft. Die kann man in einer Liebesnacht auch vorher völlig unauffällig kontrollieren. Dann vielleicht...? Ach, was weiß ich, was sie noch alles auf ihrer Liste hatte. Unsere Beziehung war einfach zu chaotisch, dass ich mir darüber den Kopf zerbrechen sollte. Jedenfalls wird sie schon irgendwann an einem Punkt gekommen sein und ich war raus. Ich dagegen, der so eine Liste nicht hatte, der sich mehr von seinen Gefühlen leiten ließ, trauerte noch ein wenig der zu Ende gegangenen Beziehung nach. Aber letztendlich musste ich doch einsehen, dass sie wohl von Vorteil ist, so eine unbestechliche Liste. Man kann sie abarbeiten, am besten bevor man sich emotional so tief auf eine Frau einlässt, dass man nur schwer von ihr loskommt. Meistens finde ich an einer Frau immer so viel Liebenswertes, dass ich sie dann doch nicht mehr missen möchte. Mit so einer Liste dagegen könnte ich meine Suche nach meiner Traumfrau wesentlich beschleunigen.

Also setzte ich mich hin und schrieb erst einmal auf, was ich so kontrollieren müsste: Sie soll erst einmal superschlank sein, damit meine Leidenschaften entflammen. Dann sollte sie intelligent sein, damit ich mich in Gesprächen mit ihr immer neu in sie verlieben kann. Kleine Lachfünkchen in ihren Augen haben sollte sie. Sie sollte sich an vielen Dingen im Leben erfreuen können. Wer mag schon jemanden, der ständig Trauer schiebt. Dann sollte sie die Gabe haben, immer das Gute im Menschen zu finden. Das findet man leider auch nicht so oft. Dabei kann doch gerade dadurch das Leben so unendlich viel schöner werden, weil man viel weniger Stress mit seinen Mitmenschen hat. Folgerichtig gehört zu dieser Gabe, dass sie ein großes Herz hat, das bereit ist zu verzeihen. Wie oft kommt es vor, dass man mal Dinge tut, die man später bitter bereut. Dann ist es gut, eine treue Seele an seiner Seite zu haben, bei der man Ruhe und Vergebung findet. Klassische Musik sollte sie lieben. Musik ist Ausdruck von Gefühl. Ich brauche eine Frau, mit der ich meine Empfindungen teilen kann. Manchmal ist es einfach schön, ohne Worte gemeinsam genießen zu können. Und so ergänzte ich meine Checkliste um all die Punkte, die mir wichtig erschienen und die meine Traumfrau unbedingt erfüllen muss.

Jetzt ging es daran, die Liste in der Praxis zu erproben.

Bei der ersten Frau war es ein glatter Reinfall. Sie gefiel mir wirklich ausnehmend gut. Aber als ich dann meine Liste hervorholte und anfing meine Haken zu machen, ließ sie mich kurzerhand stehen. Dabei hätte sie gute Chancen gehabt, alle Haken zu bekommen.

Ich musste es demnach etwas gewitzter anstellen. Also lernte ich die Liste auswendig und machte meine Haken immer in einem unbeobachteten Augenblick.

Aber wie es der Teufel will. Irgendwie fand ich keine Frau mehr, bei der ich alle Haken machen konnte. Immer stimmte irgendetwas nicht. Mal waren es die Augen, dann war sie zu dick, konnte nicht lachen oder sie war misstrauisch gegenüber jedermann. Ich checkte und checkte unermüdlich, lernte Frauen über Frauen kennen, oder besser gesagt, ich traf sie. Zum kennen lernen kam es ja gar nicht erst. Es war zum Verzweifeln. Andererseits tröstete ich mich, dass ich mit meiner Liste trotz alledem viel schneller ermitteln könne, ob eine Frau zu mir passt oder nicht. Wünschte ich mir doch so sehr eine Frau mit der ich in Harmonie leben könnte und in die ich mich immer wieder neu verlieben würde. Aber dann merkte ich, dass ich immer mehr ermüdete. Die ewigen Treffen und der ständige Misserfolg machte mich langsam mürbe. Stück für Stück setzte sich bei mir die Erkenntnis durch, dass ich meine Traumfrau wohl nie finden werde. Die Treffen wurden immer weniger und schließlich stellte ich sie ganz ein.

Und nun, obwohl ich nun gar nicht mehr damit rechnete, im Urlaub, begegnete ich meiner Traumfrau. Wir verlebten zwei wundervolle Wochen. Ich bedauerte, meine Checkliste nicht mitgehabt zu haben. Wie sollte ich nur herausfinden, ob das wirklich meine Frau war? Ich versuchte, das Beste aus der Situation zu machen und genoss einfach die Urlaubstage mit ihr. Am Tag des Abschieds bekannte sie mir dann, dass es für uns keine Zukunft geben würde. Sie sei verheiratet und möchte es bleiben.

Ich fiel aus allen Wolken.

Zu Hause ging ich noch mal meine Checkliste durch. Sie wäre sowieso nicht meine Traumfrau gewesen. Sie trug Ohrringe. Das war laut Checkliste nicht erlaubt. Warum genau, weiß ich jetzt auch nicht mehr. Dann fiel mir auf, einen wirklich wichtigen Punkt hatte ich in meiner Liste gar nicht aufgeführt: Sie sollte ungebunden sein.

Seitdem zweifle ich an der Effektivität von Checklisten.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.12.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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