Christine Wolny

Watti und Wattinella

Der Rasen war herrlich. Goldfarbene Birkenblätter bedeckten ihn und bot den beiden Ameisen mit Namen Watti und Wattinella Schutz. Selbst wenn es regnete, konnten sie unter den Blättern ohne groß nass zu werden, weiter arbeiten.

Doch dann kam eines Tages, es war schon Anfang Dezember, Frauchen auf die Idee, noch einmal den Rasen zu schneiden. Eigentlich ging es ihr darum, die Blätterdecke zu entfernen, und das sollte mit dem Rasenmäher und dessen Grasauffangkorb geschehen. Watti und Wattinella waren fest der Meinung, dass Frauchen zu so später Jahreszeit nicht mehr mähen würde. Und das war ihr Verhängnis.
Wattinella hatte sich etwas von Watti entfernt, als sie ein fürchterlicher Sog in einen dunklen Grasbehälter beförderte. Sie wusste erst gar nicht, was passiert war. Sie lag mitten im geschnittenen Gras, es tat ihr nichts weh, nur die Dunkelheit störte sie. Was wird jetzt mit mir geschehen?

Watti rief nach Wattinella, doch sie konnte nicht antworten. Frauchen leerte den Korb im Garten in die Abfallgrube aus. Nun lag Wattinella ganz unter dem Gras. Sie konnte kaum atmen. Außerdem war sie so schwach. Die Angst, ersticken zu müssen, lähmte sie. So fiel sie in einen tiefen Schlaf. Als sie nach Tagen wach wurde, merkte sie, dass das Gras darüber gefroren war. Sie konnte sich nur sehr schwer bewegen und Wattinella fror jämmerlich.

Watti suchte sie in allen Winkeln. Er lief vor das Haus zur Mülltonne. Dort vermutete er seine geliebte Wattinella. Er kletterte die Tonne hinauf, zwengte sich durch eine Ritze ins Innere und suchte den ganzen Tag darin nach ihr. Ganz müde und traurig krabbelte er in das gemeinsame Haus zurück, um zu sehen, ob Wattinella vielleicht heim gekehrt war. Doch die Wohnung war leer.
Watti weinte bitterlich. Er wusste gar nicht, ob Wattinella noch lebte. Es war schrecklich.

In ein paar Tagen war Weihnachten. Draußen wurde es immer kälter. Watti suchte jeden Tag, seine Beine schmerzten bei jedem Laufen auf dem gefrorenen Boden. Auch die Nachbarameisen boten ihre Hilfe an. Sie suchten mit Watti nach Wattinella.

Plötzlich fiel Schnee vom Himmel. Alles war weiß, es sah wunderschön aus, doch Watti konnte sich nicht darüber freuen. Wattinella lag zusammengekauert in der Grube. Ab und zu äugte sie nach oben, sie merkte nur, dass es wärmer wurde. Sie wusste nicht, dass es die Schneedecke war, die sie schützte. Sie fand einige Abfälle, einen alten Apfel und ein paar Kartoffelschalen. So musste sie nicht verhungern. Doch die Kraft, sich aus der Grube empor zu arbeiten, hatte sie nicht.

Das Wetter schlug um, es wurde mild, der Schnee verschwand, das gefrorene Gras wurde immer weicher, und Wattinella merkte plötzlich, dass sie etwas tun konnte. Sie kletterte unter großer Anstrengung ein Stück nach dem anderen, einen Grashalm nach dem anderen nach oben. Mehrere Pausen legte sie ein, in denen sie schlief und Kraft sammelte. Schließlich wollte sie nicht erfrieren. Sie wollte wieder zurück zu Watti. Vielleicht gelang es ihr bis zum Weihnachtsfest.

Watti vergaß sogar das Essen, er gab nicht auf. Warum hatte er auch nicht auf Wattinella aufgepasst? "Es war meine Schuld," jammerte er immer wieder. Und die anderen Ameisen hatten ihre Last, ihm das auszureden.

Eines Morgens sah Wattinella ein Stück Himmel. Nun wusste sie, sie gerettet war. Noch ein Tag harte Arbeit, dann hatte sie es geschafft. Es war sehr nasskalt, doch Wattinella merkte es nicht. Sie schwitzte ordentlich bis sie es endlich geschafft hatte, wieder frei zu sein. "Ach, jetzt aber nichts wie heim," dachte sie. Sie rannte so schnell sie konnte. Nur kurz fiel ihr der Lichterbaum auf, der im Garten stand und eine brennende Kerze am Fenster des Wohnhauses. "Es muss Weihnachten sein," dachte sie. Und sie hatte recht.

Watti saß traurig und alleine im Ameisenhaus. Er konnte es erst gar nicht fassen, als Wattinella in der Türe stand. Wie ein Geist kam sie ihm vor. "Wach ich oder träume ich?", dachte er. Doch dann begriff er langsam, es war Wattinella war. Er rannte auf sie zu, und beinahe hätte er sie vor Freude umgerannt. Jetzt verspürte er Lust, das Heim weihnachtlich zu schmücken. Er holte blitzschnell einen Tannenzweig aus dem Garten und rief so laut er konnte den anderen Ameisen zu, was geschehen war. Diese kamen mit Geschenken aus Nachbars Gärten angelaufen. Sogar den Katzen und dem Nachbarshund fiel das rege Treiben auf. Alle drei äugten neugierig zu, was da los war. Doch sie störten den Frieden nicht. Es wurde ein wunderschönes Weihnachtsfest.

by Christine Wolny

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.12.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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