Holger Diedrich

Dream on Californication

"Anhalten" rief er, da der Bus an seiner Haltestelle vorbeigefahren war. Der Busfahrer brubbelnd: "Die Stopknöpfe sind zum Draufdrücken da, fürs nächste Mal." Mürrisch stieg Karl-Heinz aus dem Bus. Nach einem kurzen Fußmarsch war er bei seiner Firma, seinem Ein und Alles, seiner "Ich AG", wie es ja neudeutsch heißt.
Eigentlich war es fast egal, ob er zu spät kommt oder nicht, schließlich war er der Chef. Jedoch wollte er seinen Angestellten immer ein Vorbild sein. Pünktlichkeit, Fleiß, Ordnung, Teamwork. Das war es was er von seinen 7 Angestellten forderte.
Noch nie seit der Gründing vor 13 Jahren hatte er rote Zahlen geschrieben, aber dieses Jahr lief es nicht gut in der Handschuhindustrie. Der Sommer war recht kalt, aber zu warm für Handschuhe. So war der Winter wärmer als sonst und er machte nur wenig Umsatz. Daunengefütterte Fäustlinge. In einem warmen Jahr. Da war ein geringer Umsatz vorauszusehen.
Es war 8.30 Uhr am Morgen. Karl-Heinz ging grüßend in Richtung seines Büros am Ende der Halle. Dort sah er schon seinen Lieblingsangestellten Bob Germaltski. Der 53 Jahre alte einbeinige Bob war das fleißige Bienchen der Firma. Immer eine viertel Stunde früher da, ging nie vor seinem Schichtende. Andere hatten mal einen Arzttermin während der Arbeit, aber nie Bob. Trotz seiner Behinderung und einer chronischen Angina, wegen derer er dreimal wöchentlich zum Arzt musste, legte er die Termine immer außerhalb der Arbeitszeit. Er war halt einfach eine gute Seele.
"Guten Morgen Bob" rief Karl-Heinz durch die Halle.
"Morgen Chef" schallte es zurück.
Karl-Heinz erreichte die Tür seines Büros.
"Gibt's was Besonderes?" fragte Karl-Heinz, der Bob mit einem fragenden Gesichtsausdruck und einem leichten Handwink in sein Büro bat.
"Ich muss mit ihnen über etwas reden." antwortete Bob ernst.
Beide gingen in das Büro. Karl-Heinz setzte sich in seiner Sessel hinter seinem viel zu kleinen Schreibtisch. Bob setzte sich davor, fast darauf, denn auch der Raum war nicht gerade sehr groß.
"Vor einem halben Jahr habe ich wegen meinen Krankheiten Frührente beantragt."
Karl-Heinz hatte noch keinen Schimmer, was auf ihn zukommen sollte.
"Und gestern bekam ich ein Rückschreiben. Der Antrag wurde bestätigt. Ab nächsten Monat arbeite ich nicht mehr hier."
Karl-Heinz schluckte laut. Bob erledigte fast allen anfallenden Schreibkram. Er würde einen Ersatz benötigen. Aber niemand würde soviel schaffen wie Bob und zwei neue Angestellte konnte er sich nicht leisten. Gerade in dieser finanziellen Krise war Bob der einzige, der den ganzen Laden noch zusammen hielt.
"Aber Bob, wie soll der Laden denn ohne sie laufen?"
"Das wird schon jemand Anderes schaffen. Ich mache doch sowieso nur die Schreibarbeit, mehr kann ich doch nicht. Außerdem wollte ich schon immer mal nach Kalifornien. Schon die Red Hot Chili Peppers sangen: "Dream on Californication ..."."
Das Gespräch dauerte noch 43 Minuten an. Danach gingen beide aus dem Büro. Humpelnd, redend, lachend. Einer der Arbeiter in der Halle machte einen Fehler und ein 3 Tonnen Metallträger erschlug die beiden. Die Beisetzung fand 6 Tage später statt. Es gab nur wenig Anwesende. Ein paar Arbeiter, Karl-Heinz' Eltern und inmitten einiger Ärzte, deren Haupteinnahmequelle Bobs Krankheiten waren, Bobs Mutter. Ein Trauerbild an sich.
Wie sich später herausstellte, hatte der ledige, kinderlose Karl-Heinz vor die Firma zu verkaufen und mit dem ungebundenen Bob nach Kalifornien in eine 2-Männer-WG zu ziehen. Das hatte sich dann wohl erledigt.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.12.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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