Sandra Lenz

Bandits - Teil II

Mansos Blick fiel auf den kleinen Wecker auf seinem Schreibtisch. Schon nach 22 Uhr. Er kreiste mit den Schultern und legte den Kopf in den Nacken, um seine steif gewordenen Muskeln aufzulockern. Mit der rechten Hand griff er nach seinem Kaffeebecher um den letzten Schluck auszutrinken. Schon merkwürdig wie die Zeit vergehen konnte, wenn man in die Akten vertieft war. Er hatte gar nicht wahrgenommen, wie die Zeit verstrichen war und er vermutlich einer der letzten im Gebäude sein würde. Manso stellte seine Tasse ab, schloss die vor ihm liegende Akte und stand auf. Er zog seine Jacke an und knipste die Schreibtischlampe aus. Sein Blick fiel kurz zum Fenster. Es war schon dunkel draußen und der Mond stand bereits hoch am Himmel. Egal, auf ihn wartete ja niemand zuhause. Also brauchte er auch kein schlechtes Gewissen haben, das er soviel und lange arbeitete. Seine dumpfen Schritte hallten auf dem Flur. Der herannahende Aufzug war da einzige Geräusch, das man vernehmen konnte. Manson fuhr die neun Stockwerke hinunter, grüßte den Nachtportier und trat hinaus in die Dunkelheit. Er fingerte nach seinem Autoschlüssel und stieg in seinen schwarzen BMW. Einen Moment verharrte er in seinem Wagen. „Tja, ich liebe dich ja wirklich mein kleines Auto. Ein prachtvoller deutscher Wagen bist du. Aber einen deutschen Kollegen? Nee, das muss ich wirklich nicht haben.“ Er drehte den Zündschlüssel um und fuhr Richtung Heimat.

~.~

Ein dumpfes entferntes Dröhnen hämmerte in seinem Kopf. Benommen und desorientiert versuchte Victor seine Augen zu öffnen, doch es fiel ihm gar nicht leicht. Mühsam drehte er sich um und schaute auf die Leuchtanzeige des elektrischen Weckers. Neun Uhr in der Früh. Das Dröhnen wurde lauter und entpuppte sich als das hektische Anklopfen an die Zimmertür. Victor schwang seine langen Beine aus dem Bett, blieb einen Moment lang auf der Bettkante sitzen und ging dann etwas schwankend Richtung Tür. Draußen stand sein Manager Siggi. „Sind wir auch mal wach, Victor? Guten Morgen.“ Siggi quetschte sich an Victor vorbei ins Zimmerinnere. „Mensch Siggi, hab‘ doch ein bisschen Erbarmen mit mir.“ Victor schloss leise die Tür, denn der Lärm tat ihm momentan überhaupt nicht gut. Das letzte Bier gestern Abend schien wohl schlecht gewesen zu sein. Nur mit einem schwarzen T-Shirt und schwarzen Boxershorts bekleidet wankte er zurück zu seinem Bett und ließ sich hineinplumpsen.
„Es ist schon neun Uhr mein Guter. Wir haben für solche Spielchen keine Zeit mehr.“ Erbarmungslos zog Siggi die Vorhänge auf und das Sonnenlicht durchflutete das Zimmer. Stöhnend zog Victor die Bettdecke über seinen Kopf und verkroch sich unter den Laken. „Du musst dich fertig machen und anziehen. Im Frühstücksraum wartet starker Kaffee auf dich und dann müssen wir uns schon auf den Weg machen. Heute Nachmittag werden wir bereits zu einer TV-Sendung erwartet. Also spurte dich. Hopp, hopp.“ Siggi klopfte auf die Bettdecke und ging zurück auf die Tür zu. Bevor er das Zimmer verließ rief er Victor noch zu, das die anderen bereits wach wären und unten auf ihn warten würden. Dann fiel die Tür dröhnend ins Schloss. Wie er solche Momente hasste. Wohl oder übel musste er jetzt doch das Bett verlassen. Mit schlurfenden Schritten wankte er ins Badezimmer, drehte die Dusche auf, ließ seine Kleidung achtlos zu Boden fallen und stellte sich unter das kühle Nass. Ein Schauer überzog Victors Körper, aber eine kalte Dusche half ihm am ehesten wieder nüchtern zu werden. Der Gig gestern Abend war mal wieder ein voller Erfolg gewesen. Sie hatten all ihre aktuellen Songs gespielt und dazu noch einige der früheren Alben. Die Fans, überwiegend kleine kreischende Mädchen, waren voll mitgegangen und der Saal hatte getobt. Anschließend waren er und die anderen Jungs noch in einer Bar gewesen, hatten auf den gelungen Gig angestoßen und hatten dabei einige Biere gekippt. Leider ging das nicht ganz so spurlos an einem vorüber, wie man es gerne gehabt hätte. Victor hielt sein Gesicht unter Wasser und blieb minutenlang regungslos stehen. Ja, jetzt fühlte er sich langsam besser. Er stieg aus der Dusche und wickelte das große Frotteehandtuch um seine Hüften. Mit der Hand strich er über den beschlagenen Spiegel und betrachtete sein eigenes Spiegelbild. Seine halblangen Haare hingen ihm bis auf die Schultern und unter seinen Augen lagen dunkle Ringe. In der Tat fehlten im einige Stunden Schlaf. Aber die könnte er bestimmt im Tourbus nachholen. Victor zog sich hastig an, warf seine Klamotten in die große schwarze Reisetasche und machte sich anschließend auf den Weg runter in den Frühstücksraum. Die anderen saßen bereits um einen großen Tisch herum, jeder eine Tasse dampfenden Kaffees vor sich. Mike biss herzhaft in ein ofenfrisches Croissant, dick bestrichen mit Erdbeermarmelade. Es konnte nur Erdbeermarmelade sein, denn diese liebte er über alles. Victor ließ sich neben Luc nieder und stütze seinen Kopf in die Hände. „Na, sind wir auch schon wach?“ Mike zwinkerte ihm vergnügt zu. „Mmmm“ war die mürrische Antwort von Victor. Zum Glück waren sie hier in einem Hotel, wo das Rauchen erlaubt war. Er griff nach seinen Zigaretten und schob sich eine davon in den Mund. Nach einigen Zügen fühlte er sich besser und ließ sich ebenfalls eine große Tasse schwarzen Kaffees bringen. Das genügte ihm zum Tagesbeginn. Er war noch nie der Fan von Frühstück gewesen. Meist bestand seines aus Kaffee und Zigaretten und damit war er mehr als zufrieden. Die anderen aßen ihre Brötchen und Croissants in der Ruhe zuende, bevor Siggi sie zum Aufbruch drängte. „Der Bus fährt gleich vor. Holt eure Taschen aus den Zimmern, ich kümmere mich derweil ums Auschecken. Ihr könnt ruhig schon in den Bus steigen. Ich komme gleich nach.“ Die Jungs erhoben sich und machten sich auf den Weg zu ihrem Zimmern, um ihr restliches Gepäck hinunter zu holen.

Victor drückte seine Reisetasche dem Busfahrer in die Hand, damit dieser sie im Laderaum des Busses deponieren konnte. Er wollte nur noch schnell in den Bus und sich auf eins der schmalen Reisebetten werfen. Genüsslich streckte er seine Beine aus, bettete seinen Kopf auf das weiche Kissen und stülpte die Stecker seines tragbaren CD-Spielers in die Ohren. Kurz darauf war er eingeschlummert. Mike stupste Burt in die Seite und deutete auf den Leadsänger. „Der arme ist ja noch völlig fertig von gestern.“ Ein Grinsen umspielte seine Lippen. „Lassen wir den Jungen mal schlafen.“ Mike und Burt nahmen an einem kleinen Tisch Platz und begannen eine Partie Schach zu spielen. Die Fahrt in die nächste Stadt würde mind. vier Stunden dauern, bis dahin wollten sie sich die Zeit mit einigen Spielchen vertreiben. Als alle im Bus waren, fuhren sie los. Auf in die nächste Stadt, zum nächsten Gig und vielleicht zum nächsten Bankraub. Wer wusste das schon?

~.~

Brian Manso verbrachte einige Tage damit, diverse Akten zu studieren und Fakten zu sammeln. Er hatte so manche Stunde am Computer verbracht, um Informationen über die Städte und die Örtlichkeiten zu beschaffen, wo jeweils die Banküberfälle stattgefunden hatten. Wenn er ehrlich war, hatte er bisher keinen Zusammenhang zwischen den einzelnen Taten feststellen können. Nach wie vor war es ihm schleierhaft, wieso diese Taten zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Ländern stattfanden. Manso verschränkte die Arme hinter dem Kopf und lehnte sich in seinem Drehstuhl zurück. Aber er würde schon noch Licht ins Dunkel bringen. Ein hämisches Grinsen lag auf seinen Lippen. Diesen Fall würde er lösen, koste es was es wolle. Er wollte die Beförderung und die Gehaltserhöhung einsacken. Gedankenverloren drehte sich Manso auf dem Stuhl hin und her, als sich plötzlich seine Tür öffnete und Martin Scarf hektisch sein Büro betrat. „Hey Mann, du wirst es kaum glauben.“ Aufgeregt schloss Martin die Tür hinter sich. Sein Blick war vor lauter Aufregung ganz verhangen. „Was ist los, Scarf. Erfolgreich am Kopierer gewesen?“ Manso zog seinen Kollegen gerne auf. Der machte eine abwertende Handbewegung. „Ach was. Ich war gerade bei unserem Boss, als dieser neue Kollege aus Deutschland hereingeführt wurde. Natürlich wurden wir gleich vorgestellt.“ Er legte eine dramatische Pause ein. Desinteressiert blickte ihn Manso mit seinen dunklen Augen an. „Und? Was ist das für ein Pappenheimer?“ Scarf grinste über beide Ohren. „Von wegen Pappenheimer. Also eigentlich – sorry, aber das muss ich jetzt mal sagen – hast du solch‘ ein Glück überhaupt nicht verdient.“ Scarf wanderte im Büro auf und ab. „Also entweder, du rückst jetzt mit der Sprache heraus Scarf, oder du verlässt augenblicklich mein Büro. Für solche Spielchen habe ich jetzt keine Zeit.“ Manso widmete sich wieder seiner Akte.
„Sei doch nicht so gemein, Manso. Der neue Kollege, oder besser gesagt dein neuer Partner ist eine Frau. Und was für eine.“ Nun war das Interesse von Manso doch geweckt. „Was sagst du, eine Frau?“ Martin Scarf nickte ganz aufgeregt. „Ja, eine Frau. Und was für ein geiler Feger, sage ich dir. Ich beneide dich, mein Freund. Mit so einer würde ich auch gerne auf Verbrecherjagd gehen.“
Eine Frau sollte sein neuer Partner werden. Und dazu noch eine Hübsche, soweit man nach Scarfs Ausführungen gehen konnte. Mmmm, vielleicht entwickelte sich das Ganze ja doch besser, als er selbst erwartet hatte. Allerdings müsste er sich von diesem „geilen Feger“ erst einmal selbst überzeugen.
„Und sie ist jetzt bei unserem Boss?“ Scarf nickte. „Ich denke, er wird ihr einiges über unseren Verein erzählen, sie herumführen und sie dir dann anschließend vorstellen. Schließlich werdet ihr eng miteinander zusammenarbeiten.“ Martin klopfte Brian auf die Schulter. „Wirklich beneidenswert.“ Mit hochroten Wangen verließ er das Büro.
Manso blieb zurück an seinem Schreibtisch und dachte einen Moment lang nach. Er sollte also mit einer Frau zusammenarbeiten, die nach den Ausführungen von Scarf mehr als attraktiv war. Vielleicht war das Zusammenarbeiten mit einem Partner doch gar nicht so schlecht. Grinsend erhob sich Manso, griff nach seiner Kaffeetasse und schlenderte Richtung Teeküche. Mary-Anne sorgte regelmäßig für Kaffeenachschub, der in einer der silbernen Thermoskannen für die Angestellten von Europol bereitstand. Manso griff nach einem der kleinen verpackten Karamellkekse und schob ihn sich in den Mund.
„Verzeihen Sie bitte“ ertönte hinter ihm eine liebliche Frauenstimme. Irritiert drehte sich Manso um und schaute in das unglaublichste blaue Augenpaar, was ihm jemals untergekommen war. Beinahe hätte er sich an den Krümeln in seinem Mund verschluckt, so verwirrt war er. Eine schlanke Schönheit von mind. 1,75 m drängelte sich an ihm vorbei und strich dabei seinen linken Arm. Ein betörender Duft stieg ihm in die Nase und raubte ihm einen kurzen Augenblick fast die Sinne. Diese wundervolle Geschöpf griff sich eine Tasse aus dem Schrank und füllte sie mit Kaffee. Während sie Zucker und Milch hinzugab, wanderte Brians Blick über ihren Körper. Sie trug ein schwarzes Kostüm und der Rock spannte sich über ihren wohlgeformten Hintern. Die endlos langen Beine steckten in schwarzen Seidenstrümpfen, die in hochhackigen Pumps verschwanden. Das schwarze Haar hatte sie zu einer eleganten Banane hochgesteckt und dann den Ohrläppchen schimmerten kleine Brillantohrringe. Sie griff nach ihrer Tasse und schenkte Manso ein umwerfendes Lächeln, bevor sie wieder den Flur entlang lief Richtung Matty Smiths Büro.
Manso schaute um die Ecke und verfolgte ihren Gang über den Flur. Was für eine Frau. Manso fühlte eine Erregung in sich aufsteigen. Scarf hatte in der Tat nicht übertrieben. Wenn diese Frau sein neuer Partner werden sollte, dann würde das lange Arbeiten vielleicht noch sehr interessant und anregend werden. Pfeifend ging er zurück in sein Büro.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.01.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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