Josef Parche

Hanna

Es war ein herrlicher Tag dieser 14.4.1978. Überhaupt nicht kalt, was für die Jahreszeit gewiss nicht ungewöhnlich gewesen wäre. Kein Wölkchen verlor sich am weiten blauen Himmel. Nur strahlender Sonnenschein und ein fast frühlingshaftes Lüftchen wehte um die Häuser. Ein Tag um die Seele baumeln zu lassen, einfach alles zu tun wozu man Lust hatte. Genau diesen Tag hatte sich Lucas ausgesucht um auf die Welt zu kommen. Aber was heißt schon ausgesucht, nein, ausgesucht hatte er ihn sicherlich nicht, war er doch seit drei Wochen überfällig. Aber Hanna war froh und glücklich das es jetzt endlich soweit war. Sie konnte einfach nicht mehr. Mit heftigen Wehen die schon alle fünf Minuten einsetzten, war sie vor zwei Stunden ins Krankenhaus gekommen. Seitdem lag sie im Kreissaal und die vertraute beruhigende Stimme der Hebamme, die sie während der gesamten Schwangerschaft über begleitet hatte, schallte durch ihren Kopf wie in einem fernen Traum, seltsam unecht. Es wurde unerträglich. Hanna bereute die nächsten Stunden zutiefst, schwanger geworden zu sein. Doch hatte sie es nicht schon vor langer Zeit bereut?. Zwei endlose Stunden später, Stunden voller Schmerz, Anstrengung, Hoffen und Bangen, die Hanna im Nachhinein mehr unbewusst als bewusst wahrgenommen hatte, erblickte Lucas das Licht der Welt.
*
Das letzte Jahr war das schlimmste für Hanna gewesen. Die Ehe mit Sava war nach 2 Jahren auseinander gebrochen und in endlosen Gesprächen ein letzter Versuch gestartet worden. Ein Baby sollte her, um die Beziehung zu retten. Doch schon lange vor der Geburt war nichts mehr da, das sich zu retten gelohnt hätte. Zunächst, so hatte Hanna glaubt sei alles wieder so wie früher. Aber die Idylle war trügerisch und verlor sich schnell in den ersten drei Monaten ihrer Schwangerschaft. Sava verbrachte auf einmal kaum mehr Zeit zu Hause und wenn er dann Hanna mal mit seiner Anwesenheit beehrte sprach er kaum mit ihr, saß meist im Wohnzimmer und schaute fern. „Schaltete ab“, wie er dann immer zu sagen pflegte. Was für eine erbärmliche Ausrede. Hanna verdrehte jedes Mal die Augen und machte ihm die Hölle heiß. Sie fühlte sich alleingelassen, was ihre Laune keineswegs besserte, im Gegenteil. Hanna verstand die Welt nicht mehr. Immer häufiger hatte sie sich gefragt ob nicht alles in Wahrheit nur ein großer Selbstbetrug gewesen war. Warum ließ Sava sie jetzt im Stich? Was hatte sie ihm getan? Hatten sie doch alles für und wieder in nächtelangen Diskussionen besprochen und sich letztendlich gemeinsam für das Baby entschieden. Was hätte sie tun sollen. Waren sie beide tatsächlich so naiv gewesen zu glauben, dass sie ihre Ehe mit einem Baby hätten retten können. Selbstverständlich, im nachhinein ist man immer klüger aber deshalb abtreiben? Abtreiben, was sie sich so sehnlichst gewünscht hatten? Sava hatte es nach zwei Monaten ihrer Schwangerschaft angesprochen. Erst vorsichtig durch die Blume und dann immer offener. Er fühlte sich plötzlich noch nicht reif für ein Baby. Sprach von Verantwortung der er sich noch nicht gewachsen fühlte. Von fehlender Aufmerksamkeit Hannas für seine Person und das sie sich, ja, beinah grundlegend verändert hätte. Alles drehte sich bei Ihr nur noch ums Thema Nummer eins: „Das Baby!“. Er machte ihr Vorwürfe, dass sie nur noch selten miteinander schliefen und wenn dann wie es schien, notgedrungen. Wo war ihre Leidenschaft, ihre Sinnlichkeit und vor allem ihr Gefühl. Es war überhaupt nicht mehr so schön wie früher. Er sehnte sich nach einer Nacht wie dieser, als Hanna ihm mitteilte, dass sie schwanger sei. Eine Nacht, voller Leidenschaft, berauschender, erregender Sex. Hanna war an diesem Abend unersättlich gewesen und sie konnten erst in den frühen Morgenstunden von einander ablassen. Gewiss, Hanna hatte sich verändert. Unverständliche Essgelüste überfielen sie überfallartig zu jeder Tages und Nachtzeit oder sie fing plötzlich ohne Grund heftig an zu weinen. Einige Gewohnheiten Savas, die sie bis dato als selbstverständlich hingenommen hatte, ärgerten sie auf einmal. Aber das schlimmste für Sava war, Hanna wollte nicht mehr, wenn sie dann mal zusammen schliefen, dass er sich beim Sex auf ihren Bauch legte. Das er sie ganz fest an sich pressen durfte. Aber genau das war doch immer ihre Lieblingsstellung gewesen. In der sie am intensivsten und heftigsten kamen. Sava dachte wieder, wie immer, nur an sich und weniger an Hanna und ihren Zustand. Verzweifelt fragte sie sich: »Warum stellte er sich nicht einmal die Frage ob es nicht jeder Frau so erging, deren Hormonhaushalt sich auf ein Baby einstellte«. Unstrittig jedoch war, dass noch genug Zeit für einen Schwangerschaftsabbruch bestanden hätte. Was nach dem Verlauf der Dinge wohl das Beste gewesen wäre. Aber Hanna war starköpfig geblieben und sich eindeutig für das Baby entschieden. Sie strich den damals kurz aufflackernden Gedanken sofort wieder aus ihrem Gedächtnis. Nein, Abtreibung kam für sie überhaupt nicht in Frage. Sie wollte das Baby mit ihrer ganzen Hingabe und ganzem Herzen und wenn es eben nicht anders ging, gut, dann würde sie es auch alleine schaffen.
*
Hanna erwachte aufgeschreckt aus traumlosen, tiefen Schlaf. Wo war sie hier? Sofort kehrte die Erinnerung der vergangenen Stunden in ihr Gedächtnis zurück. »Lucas, Lucas, wo war ihr Lucas? Verschlafen sah sich um und entdeckte einen riesigen Strauß roter Rosen an ihrem Bett. Mittendrin ein Kärtchen mit den Worten -Es tut mir leid! Dein Sava -. Dieses verdammte Arschloch schoss es ihr augenblicklich durch den Kopf. Es tut ihm leid? Jetzt wo Lucas auf der Welt war. Ja, da kommt er angekrochen und es tut ihm leid! Die ganze Zeit über, wo sie ihn so dringend gebraucht hätte, besonders nachdem sie im fünften Monat so schlimm gestürzt war und die Ärzte wochenlang um das Leben von beiden gekämpft hatten. Wo war er gewesen? Als sie nach ihm geschickt und nächtelang geweint hatte, wo war er da? Oh, wie wichtig wäre es gewesen, das er an ihrer Seite gestanden hätte. Um ihr Halt, Mut und Vertrauen zu geben. Doch jetzt, nachdem sie alles alleine durchlitten und durchgestanden hatte, da schickt er Rosen und ein billiges -Es tut mir leid! - Nein, es war entgültig Schluss. Sie brauchte und wollte ihn nicht mehr. Unbewusst kniff Hanna die Augen zusammen und presste wütend die Lippen aufeinander. Was wollte er denn jetzt noch, dieser Dummkopf. Die Wunden, die sich gerade langsam schlossen wieder aufreißen? Hatte er ihr nicht schon genug angetan? Hanna blickte aus dem Fenster. Tränen der Wut liefen langsam über ihre geröteten Wangen. Sie brauchte eine ganze Weile um sich wieder zu beruhigen und die ganze gemeinsame Zeit mit Sava, auch die schöne die sie zweifelsohne gemeinsam hatten, drängten sich ungewollt in ihren Kopf und lief wie ein Film vor ihren geistigen Auge ab.
*
Sie erinnerte sich noch genau. Eine Woche nach ausbleiben ihrer Regel hatte Hanna ihren Arztes aufgesucht und die Bestätigung erhalten auf die sie so sehnlich gewartet hatte. Glücklich wie noch nie in ihrem Leben schwebte sie auf Wolke sieben nach Hause und hatte sofort zum Telefon gegriffen. Sie versuchte Sava auf der Arbeit zu erreichen, doch dort sagte man ihr lediglich das er im Augenblick nicht zu erreichen sei. Enttäuscht hatte sie ihre beste Freundin angerufen. Irgendetwas in Hannas Stimme hatte Julia gesagt, dass eine Absage unmöglich war. Sie verabredeten sich um 11 Uhr in ihrem Café. Oh, was für ein wunderschöner Tag. Hanna beschloss mit ihrem Fahrrad den Fluss entlang zu fahren. Das Sonnenlicht tauchte die sonst eher tristen Straßen in wohltuende Helligkeit. Durch die Alleebäume die teilweise Ihren Fahrtweg säumten, huschte ein Stakkato aus glitzerndem Licht und Schatten wenn der Sommerwind die Äste mit spielerischer Leichtigkeit zu bewegen schien. Hanna saß bereits eine kleine Weile in Ihrem Lieblingscafé an der Schweizer Ladenstadt, Ecke Neven Du Mont Str. und sprang auf als Julia zur Tür hereinkam.
»Hier bin ich! « Hanna winkte Julia aufgeregt zu. Sie flog fast auf Julia zu und umarmte sie heftig.
»Halt... halt! « Julia antwortete lächelnd und hob abwehrend die Hände als sie sich von Hanna gelöste.
»Lass mich doch erst einmal Platz nehmen, Du bist ja ganz aufgeregt! «.
Beide bestellten sich Milchkaffee und Hanna begann sofort und ungeduldig die neusten Ereignisse mit leuchtenden Augen zu erzählen. Julia nahm die Nachricht begeistert auf wobei beide reichlich Freudentränen vergossen. Die Lautstärke war teilweise so hoch, dass das ganze Cafe kurzzeitig von ihnen unterhalten wurde. Sollten doch alle hören wie glücklich Hanna war. Gleichzeitig wurde aber beiden ihr Verhalten bewusst und sie sahen sich verschämt um. Alle Blicke hatten sie auf sich gezogen, die meisten jedoch mit einem wohlwollenden Lächeln. Die Köpfe wie zwei Verschwörer zusammengesteckt flüsterten und kicherten sie darauf weiterhin vor sich hin. Hanna bestand darauf, dass Julia Taufpatin werden sollte und Julia freute sich riesig darüber. Was wohl Sava heute Abend sagen würde. Sie malte es sich in ihrer Phantasie immer wieder aus. Hanna und Julia verbrachten den ganzen Tag zusammen, gingen essen und ausgiebig shoppen. Hanna wollte Sava in jeder Linie überraschen. Sie kaufte sich für ihn ein süßes Nichts, um ihm im entsprechenden Rahmen die wunderschöne Nachricht zu verkünden. Sie wollte, dass es eine unvergessliche Nacht werden sollte.
*
Tief in Erinnerungen versunken bemerkte Hanna nicht das sich die Türe zum Krankenzimmer einen Spalt breit geöffnet hatte. Sava schaute vorsichtig um die Ecke und betrat leise das Zimmer. Mit gesenktem Blick schritt er langsam auf Hannas Bett zu. Sie erschrak als sie ihn bemerkte, was ihrem Gesicht auch deutlich anzumerken war. Augenblicklich starrte sie an die Decke.
»Was willst Du hier? « stieß sie giftig zwischen den Zähnen hervor
»Verschwinde! «.
Sie würdige ihn keines Blickes. Sava sah, da der nicht sofort antwortete konnte und mit seiner Fassung rang kurz aus dem Fenster. um dann den Blick sofort wieder auf den Boden zu richten.
»Es tut mir so leid Hanna! «.
Vorsichtig tastet er nach ihrer Hand und versuchte sie sanft mit seinen Fingerkuppen zu streicheln.
»Ich hab soviel falsch gemacht, ich liebe Dich doch immer noch so sehr! «. Seine Stimme bebte leicht,
»Könnten wir es nicht doch noch einmal versuchen, ich...«.
Als wäre sie vom Blitz getroffen worden zog Hanna ihre Hand zurück und drehte ihm abrupt den Rücken zu.
»Hanna bitte, bitte schau mich an! «
Doch sie gab keine Antworten, gab ihm keinerlei Rechenschaft für ihr Verhalten. Wozu auch, sie fühlte sich nicht im geringsten dazu verpflichtet. Sava startete verzweifelt einen letzten Versuch. Er beugt sich zu ihr hinab, versuchte sie zu umarmen und zu küssen. Doch sie wich ihm aus, wollte einfach keine Berührung zulassen, keine Nähe fühlen, keine Wärme spüren, nichts mehr. »Geh weg, verschwinde, lass mich in Ruhe!» flehte sie ihn an. Er konnte es ja verstehen, anderseits jedoch wollte er es nicht wahrhaben. Alle Versuche sich bei Hanna Gehör zu verschaffen fielen irgendwie auf unfruchtbaren, verbrannten Boden. Natürlich hatte er unverzeihliche Fehler gemacht und sie in einer entscheidenden Phase ihres Lebens im Stich gelassen. Natürlich hätte er bei Ihr bleiben müssen wie er ihr es versprochen hatte. Er liebte sie ja auch noch. Daher wollte er jetzt und heute mit ihr und dem Baby einen Neuanfang beginnen. Alles wieder gut machen was in seiner Macht stand. Er hatte vor Hanna zu überraschen, sobald er sie und das Baby nach Hause holen durfte. Wie es wohl heißen wird... und was war es überhaupt, ein Junge oder ein Mädchen?
*
Je länger Sava auf sie einredete umso verschlossener wurde Hanna. Nein, sie wollte seine Stimme, seine Anwesenheit nicht mehr ertragen. All seine Beteuerungen seine Schwüre klangen wie Hohn in ihren Ohren.
»Was ist nur los mit uns? was ist aus uns geworden«.
Er faltete beschwörend die Hände.
»Ich weiß, dass ich unglaublich viel falsch gemacht habe. Bitte Hanna bitte, gib unserer Liebe und unserem Baby eine letzte Chance! «
Bittere Tränen liefen über seine Wangen. Doch Hanna erwidert nur ungerührt und ohne sich dabei umzudrehen,
»Den größten Fehler den Du gemacht hast, war das du mich mit dem ungeborenen Baby im Stich gelassen hast«
»Wie oft war es in unserer Beziehung schon vorgekommen, dass Du mich Tage, ja wochenlang hast sitzen lassen und dann reumütig unter Treueschwüre zu mir zurückgekehrt bist. Doch diesmal liegen die Dinge anders. Etwas entgültiges ist geschehen.«
Sava sah und spürte es deutlich. Es schien für ihn kein zurück mehr zu geben. Ein letztes Mal sah er ihr traurig in die Augen. Doch das Leuchten das ihn immer so faszinierte war gänzlich verschwunden. Ihre Augen schauten dunkel und leer. Kein wohlwollenes Lächeln kam über ihre Lippen als er sie einletztes mal anflehte und ihr seine Liebe beteuerte. Nur kalte Verachtung. Ihre ablehnende Haltung und ihre Kälte brannten tief in seiner Seele. Es war vorbei, sie konnte nicht verzeihen, obwohl ihn ja eigentlich nicht die ganze Schuld traf. Sava legte einen Schlüssel auf den Tisch und ging von ihr ohne sich noch einmal umzudrehen. Als die Tür mit einem leisen Klick ins Schloss fiel, begann Hanna hemmungslos zu weinen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.01.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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