Kerstin Meinecke

Quälende Gedanken

Wieder keine Antwort. Wieder allein. Aber so ist das ja schon immer gewesen und es ist auch kein Ende absehbar. Nichts wird diese ständige Wiederholung beenden können. Das Leben ist eine einziges Dejavu. Man trifft immer die selben Leuten mit den selben Charakteren und doch denkt man, es seien andere. Hat man einen Florian getroffen, wartet der nächste schon an der nächsten Straßenecke. Immer dieselben Menschen werden dir dein Herz stehlen um es dann zu zerstören. Immer ein Stück mehr wird von dir zerbrochen. Ein Teil von dir wird die Zukunft nie erreichen und doch wird es immer das gleiche sein. Immer wieder. Gefangen in einer sich ständig wiederholenden Existenz musst du dein Leben fristen. Und schon kommt der nächste Ben um die Ecke um dich zu belästigen und darauf folgt der nächste Thomas, der dir Hoffnungen macht um sie später zu zerschlagen. So ist das Leben aufgebaut. Auch von dir selbst gibt es genügend Variationen. Eine hier eine da und immer das gleiche Schicksal. Natürlich kommen nicht immer nur schlechte Situationen immer wieder vor, sondern auch die guten und irgendwann fragst du dich dann: "Warum freu ich mich eigentlich immer über den selben Scheiß?!" Vielleicht ist unser Leben gar kein Leben, sondern eine Wiederholung im Fernsehen und unser Ende wird auf uns zukommen, wenn die Fernsehzuschauer beschließen, dass die Sendung, unsere Sendung, langweilig wird. Sie wird dann abgesetzt und wir verschwinden in den ewigen Jagdgründen. Verstauben irgendwo in den Regalen eines Fernsehsenders. Vielleicht ist unser Leben auch ein Buch und wir vergammeln in einer Bibliothek? Aber das macht ja kaum einen Unterschied, denn vergessen werden auf die oder die andere Weise ist eh egal. Tot ist tot. Vergessen ist vergessen. Ich gehe mal wieder dieselbe Straße entlang, obwohl mein Geist mir einreden will, dass ich in einer fremden Stadt bin. Die gleichen Steine, die gleichen Häuser, die gleichen Tiere und die gleichen Menschen, die mir schon den Rest meines Lebens über den Weg gelaufen sind. Da kommt der nächste Markus und geht mir auf den Senkel. Zwar tragen die Menschen andere Namen als ich ihnen zuordne aber das spielt keine Rolle. Namen gehören zu der Maskerade. Sie sollen uns glauben machen, dass unser Dasein ja so unglaublich spannend ist und Wiederholung? Nein, so was gibt es nicht! Dejavu? Nein, die Natur macht alles einzigartig. Eine Kristina läuft mir über den Weg und ich könnte ihr eine reinhauen. Da kommt auch schon der, auf den ich schon lange gewartet habe! Conny kreuzt meinen Weg und wieder fühle ich mich hingezogen um festzustellen, dass es nur Lug und Trug ist. Die Maske gleitet von seinem Gesicht und mir schaut ein beängstigendes Nichts entgegen, dass meiner inneren Leere sehr ähnlich ist. Was ist geschehen? Warum muss ich das Leben so trübsinnig sehen? Ich kann mir keinen Reim darauf machen. Vielleicht bin ich verrückt. Vielleicht bin ich schlimmer verletzt worden, als ich erahnen kann. Vielleicht bin ich auch eine der wenigen Personen, die das Leben in seiner Schrecklichkeit erkennen. Wer weiß das schon? Mein Herz hört auf zu schlagen. Es hat seinem Leben ein Ende gesetzt und mich allein in diesem Leben zurück gelassen. Unfähig Zuneigung zu empfinden. Unfähig Freude zu genießen. Unfähig auch nur eine einzige Träne zu vergießen. Meine Hülle und meine Gedanken wandeln nun einsam über die Erde. Längst das Gefühl der Liebe vergessen und doch dürstet ihnen danach. Ein Mensch kann nicht ohne sein Herz existieren. Die Leere in meiner Brust breitet sich stetig aus. Immer mehr verschlingt sie, ohne ihren Hunger je stillen zu können. Sie hat bereits meine Lungen erreicht. Das Atmen fällt mir von Tag zu Tag schwerer und auch mein Magen ist betroffen. Er hat schon lange den Kampf gegen die Vernichtung verloren. Lange schon verweigert er seinen Dienst und bereitet mir nur noch Schmerzen. Aber ich begrüße dieses. Es erinnert mich immer daran, dass ich zum Teil noch lebendig bin. Ich bin an einer Kreuzung angelangt. Ich schaue nach rechts und sehe mein Herz mir zuwinken. Meine Seele gleitet aus meinem Körper und zeigt in diese Richtung. Ich schaue nach links und dort sehe ich die altvertrauten und doch fremden Menschen, die mir fragend und doch leer entgegenblicken. Mein Verstand löst sich aus meiner Hülle und weist mir den Weg zu den Menschen. Nun liegt die Entscheidung bei meinen sterblichen Resten. Mein Oberkörper dreht sich in Richtung Herz, während meine Füße zur Wiederholung zeigen. Lange Zeit stehe ich so da. Beobachtet von meiner Seele und meinem Verstand. Schließlich siegen die Menschen. Meine beiden Teile gleiten wieder in meine Hülle. Ich schaute sehnsüchtig zu meinem Herz und rief ihm zu: "An der nächsten Kreuzung sehen wir uns wieder!"

Ich gehe mal wieder dieselbe Straße entlang, obwohl mein Geist mir einreden will, dass ich in einer fremden Stadt bin. Die gleichen Steine, die gleichen Häuser, die gleichen Tiere und die gleichen Menschen, die mir schon den Rest meines Lebens über den Weg gelaufen sind und doch bin ich ein wenig beruhigter, denn ich werde mein Herz sicher bald wiedersehen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.12.2001. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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