Michael Speier

Der Nächtliche Besuch

Gerbot wünschte sich er hätte die Türe nicht geöffnet. Es war schon spät in der Nacht, es regnete und stürmte, es war einfach nur kalt und ungemütlich. Gerbot war müde. Er hatte den ganzen Tag geschuftet und geschuftet. Er hatte die Dielen geschruppt und die Betten bezogen, gekehrt – obwohl das Wirklich nicht nötig gewesen wäre. Es war Herbst, und kaum hatte Gerbot die Blätter weggekehrt, schon lagen wieder neue da. Er hatte sich in sein Zimmer zurückgezogen und es sich gemütlich gemacht. Und dann auf einmal klingelte die Türglocke. Gerbot sah auf, entschied sich aber dafür nicht zu öffnen. Sicher, dies hier war eine Pension, und zwar nicht die beste. Sie war auf Gäste angewiesen, so wie Gerbot auf Brot angewiesen war. Aber es war schon spät, und um diese Zeit ließen die Torwächter auch niemanden mehr in die Stadt. Dies würde wiederum bedeuten das diese nächtlichen Ruhestörer bereits länger in der Stadt gewesen waren und es bisher nicht für Nötig gehalten hatten hier ein Quartier für die Nacht zu beziehen. Jetzt hielt Gerbot es seinerseits nicht für Nötig die Türe zu öffnen. Ganz sicher haben diese umherziehenden Lumpen vor der Tür bis gerade eben noch in Herberts Keller gesessen und gezecht. Jetzt war der Schankraum zu und sie suchten eine warme Unterkunft. Da konnten sie noch weitersuchen. Gerbot lehnte sich zurück als die Glocke wieder geläutet wurde, diesmal drängender als vorhin. Verdammte Ruhestörer, dachte sich Gerbot. Es dauerte nicht lange, da wurde die Glocke zum dritten Mal geläutet, dicht gefolgt von Fäusten die gegen die Türe klopften. Jetzt reichts, dachte Gerbot. Er erhob sich von seinem Platz und schlappte zur Türe. Durch das milchige Fenster konnte Gerbot die schattigen Umrisse zweier Personen erkennen. Sie hatten offenbar Mäntel an deren Kapuzen sie ins Gesicht gezogen hatten. Gerbot wurde neugierig. Er ging näher an die Türe und entzündete eine Petroleumlampe.
„Wer ist da?“ fragte Gerbot.
„Gäste. Lasst uns herein, wir wünschen die Nacht bei euch zu verbringen.“ Die Stimme klang dunkel und erhaben, sehr deutlich, fast schon königlich. Bedeutsam, sozusagen, aber eines war sie nicht – alkoholdurchtränkt. Der Besucher schien nüchtern zu sein.
„Wir haben schon geschlossen. Kommt morgen früh wieder.“
„Sollen wir etwa auf der Straße schlafen, guter Mann? Es regnet in Strömen und ist bitterkalt.“
Gerbot dachte nach. Sicher war es kalt draußen, und es hatte schon den ganzen Tag geregnet. Sicher war auch das die Pension bereits geschlossen hatte. Aber genauso sicher war auch das Gerbot auf Gäste angewiesen war, wenn er den nächsten Monat nicht verhungern wollte. Zu ihm kamen nur selten Gäste, und jene die doch kamen waren in aller Regel Lumpen und Streuner, Diebe und ähnliches Gesindel. Gerbot war in all der Zeit vorsichtiger geworden. Er selbst war auch nicht ganz blütenrein, aber er hatte sich doch einen gewissen Anstand bewahrt.
„Habt ihr überhaupt Geld? Die Zimmer sind nicht umsonst, wisst ihr?“
Der Fremde vor der Tür kramte irgendwo unterhalb des Gürtels. Gerbot konnte nichts genaues erkennen, die Scheibe war milchig und schmutzig, aber er dachte sich schon das man draußen eine Geldkatze durchsuchte. Dies schuf nicht gerade Vertrauen in Gerbot, denn wenn jemand eine Geldkatze durchsuchen musste um festzustellen ob und mit was sie gefüllt war, dann gehörte sie in aller Regel vor kurzem noch jemand anderem.
„Was kosten denn die Zimmer in eurer Herberge, guter Mann?“
Gerbot überlegte. Er hatte keine festen Preise, die Preise legte er von Person zu Person unterschiedlich fest. Die Einen waren nicht in der Lage die Preise zu zahlen die für andere lächerlich waren. In diesem Fall legte er die Preise unverschämt hoch an. Es sollte schon etwas kosten wenn er zu so später Stunde noch aufschließen und arbeiten sollte. Außerdem waren die Besucher nicht in der Position Forderungen zu stellen.
„Na ja, die Zimmer kosten Zwei, nein – Drei Kreuzer pro Nacht.“
„Doppelzimmer?“ fragte der Mann vor der Türe.
„Oh, ihr wollt ein Doppelzimmer? Nun ja, die kosten, ähh, Fünf Kreuzer.“ Nach einer Kurzen Pause in der er sich überlegt hatte das dieser ungewöhnlich hohe Preis die möglichen Gäste vertreiben könnte fügte er schnell noch hinzu „Mit Frühstück.“
Zu seinem Erstaunen war der Besucher nicht abgeschreckt, sondern fragte statt dessen „Was würde das Zimmer kosten wenn wir es eine ganze Woche nehmen?“
Das war zuviel für Gerbot. Eine ganze Woche? Solange hatte es noch keiner seiner Gäste ausgehalten. Er witterte ein Geschäft das sich zu lohnen schien. Hastig drehte er den großen Schlüssel um und öffnete die Türe. Er lächelte mit seinen gelben Zähnen die unter seinem roten Bart verdeckt lagen in die Stockdunkle Nacht.
„Ihr kommt besser erst einmal herein, Herrschaften. Hier drinnen lässt es sich doch besser reden als durch die geschlossene Türe.“
Die beiden Besucher traten ein. Sie waren beide ungewöhnlich groß, waren ganz in schwarz gekleidet und hatten die Kapuzen ihrer Mäntel wirklich weit ins Gesicht gezogen. Die eine Seite des Mantels war bei den beiden über die Schulter geworfen worden, so das der Mantel sie völlig umschlang. Als sie in den Raum hineintraten bemerkte Gerbot das die Neuankömmlinge unter den Mänteln Schwerter trugen. Die Spitzen schauten hinten unter dem Mantel hervor. Gerbot war etwas mulmig zumute, dann aber überlegte er das nicht jeder dahergelaufene Dieb sich ein Schwert leisten konnte, und diese Schwerter waren viel mehr als plumpe Haudegen. Es waren offenbar lange Schwerter die ein kleines Vermögen kosteten. Dies würde bedeuten das die beiden Geld hatten, Geld das bald den Besitzer wechseln würde und das freute Gerbot sehr, denn er wähnte sich als den neuen Besitzer des Geldes. Nachdem Gerbot die Türe wieder verriegelt hatte eilte er an den beiden vorbei und ging vor zu den Zimmern. Das einzige Doppelzimmer lag gleich unter dem Dach. Er klappte die Leiter aus und ging voran, gefolgt von den beiden vermummten. Er entzündete eine weitere Lampe und stellte sie auf den Tisch.
„So, das ist das gute Stück. Ein wunderschönes Zimmer, warm und gemütlich, findet ihr nicht?“
Der größere der beiden blickte sich skeptisch nach allen Seiten um während der andere wie starr dastand und Gerbot musterte. Der Blick des Fremden erfüllte ihn mit Unbehagen. Er lächelte unsicher und begann zu schwatzen was ihm gerade in den Sinn kam.
„Nun, was treibt ihr hier, mitten in der Nacht?“
Der Große drehte sich um, so schnell das ihm dabei der Mantel von der Schulter rutschte und sich vorne öffnete. Er hatte gleich die Hand hervorgeschoben, packte das Ende und hielt es schützend vor sein Gesicht. Gerbot konnte allerdings einen kurzen Blick auf die Gestallt werfen. Es war ein Mann, das hatte er schon an der Tür gehört. Er hatte dunkle Haare, oder kam es ihm nur so vor, denn der Raum an sich war nicht gerade hell erleuchtet. Irgendwoher kannte Gerbot das Gesicht, er wusste nur nicht so recht woher.
„Wie wir bereits erwähnten suchen wir eine Unterkunft.“
„Ja, hmm. Und nicht nur für eine Nacht, wie? Für eine Woche, sagtet ihr.“
„Ja, fürs erste. Allerdings wären wir euch dankbar wenn ihr das Zimmer nicht schon vorher nach Ablauf der Woche weitervermieten würdet.“
Gerbot grinste. Er hatte diesen Bretterhaufen nun seit Fünf Jahren, noch nie hatte irgendjemand bei ihm reserviert. Aber das wussten die beiden Fremden ja nicht.
„Das könnte schwer werden. Wenn jemand fragt ob er dieses Zimmer ab der nächsten Woche haben kann, und ich nicht weiß ob ihr dann noch da seid, dann muss ich es wohl oder übel doch vermieten, sonst geht mir ja der Kunde und das Geld durch die Lappen.“
„Nicht wenn ich bereits für die nächste Woche im Voraus zahle, gleich ob wir dann noch hier sind oder nicht, richtig?“
Gerbots Augen glänzten vor lauter Geldgier. Wäre dies ein Comic, dann könnte man sehen wie seine Pupillen Dollarzeichen formten.
„Jaaa, das stimmt natürlich, werter Herr. Aber, ich will ja nicht neugierig sein, wie kommt es das ihr mitten in der Nacht dieses Quartier bezieht? Ich will nicht unverschämt sein, aber dies ist mehr als ungewöhnlich.“
„Sagen wir, wir sind gerade erst angekommen und haben noch keine Gelegenheit gehabt nach einer Unterkunft Ausschau zu halten.“
Mitten in der Nacht angekommen? Seltsame Zeiten, fürwahr. Die Wächter nahmen es nicht mehr so genau seit der Graf alles ein wenig schleifen lies, aber das Tor sollte bei Einbruch der Dunkelheit geschlossen werden.
„So ist das also. Und was treibt euch in unsere schöne kleine Stadt, wenn ich fragen darf? Geschäfte? Auf der Durchreise scheint ihr ja nicht zu sein, sonst würdet ihr nicht so lange bleiben, nicht wahr?“
„Du darfst nicht fragen“ herrschte ihn der Zweite an, der bisher nur starr dagestanden hatte. Es war eine Frau.
„Doch, natürlich darf er fragen, Liebste. Warum auch nicht. Wir sind auf der Suche nach jemandem.“
Gerbot wurde hellhörig.
„So, auf der Suche seid ihr also? Ich nehme an ihr sucht einen alten Freund dem ihr noch Geld schuldet, ihr wirkt auf mich jedenfalls wie ein ehrenvoller Mann. Nun, ich hoffe ihr findet ihn. Geht mich ja auch nichts an. Mich interessiert nur ob ihr dieses Zimmer nehmt oder nicht.“
Der Mann griff unter seinen Mantel, kramte ein wenig herum wobei das Geklimper von Münzen – vielen Münzen – zu hören war.
„Sicher nehmen wir es. Dies dürfte für zwei Wochen reichen, guter Mann.“
Der Fremde schnippte Gerbot eine Münze entgegen, und bereits im Flug konnte Gerbot erkennen was es war. Die Art wie die Münze im Schein der Lampe aufblitzte, der Klang beim Wegschnippen, und das glatte Gefühl in Gerbots Hand als er sie auffing. Gold. Er liebte Gold. Nun, er liebte alles was irgendwie wertvoll war und ihm den Magen füllte, und wenn auch noch der ein oder andere Becher Met dabei mit rum kam war ihm das nur Recht. Er verbeugte sich tief und schlappte rückwärts wieder zu der Öffnung im Boden um die beiden alleine zu lassen.
„Ihr werdet es hier ruhig und gemütlich haben, ehrenwerte Herrschaften. Ich werde euch ein wundervolles Frühstück servieren, gleich morgen früh, und übermorgen früh. Wenn ihr irgendetwas braucht, dann ruft nach mir.“
Der Mann kam polternden Schrittes auf Gerbot zu. Gerbot erschrak und blieb wie angewurzelt stehen.
„Ihr könnt in der Tat vielleicht etwas für mich tun.“
„Ich werde niemandem von euch erzählen, ganz gewiss nicht.“
„Oh, das ist es nicht. Ich will ja das du erzählst was du weißt.“
Er griff wieder unter seinen Mantel und kramte ein zusammengerolltes Stück Pergament hervor, entrollte es und zeigte den Steckbrief Gerbot.
„Ich suche diesen Mann.“
Gerbot sah auf das Bild, wurde leichenblass und erschrak bis ins Gebein...


Dies ist der Auftakt der Fortsetzungsgeschichte DIE ASSASSINEN, deren weitere Kapitel exklusiv auf meiner Homepage www.die-grube.beep.de unter der Rubrik ROMANE nachzulesen sind.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.01.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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