Gerda Schmidt

Herr K. und das Tissue-Komplott

3.1 Trieb
Herr K. und das Tissue-Komplott

Neongelbe und schwarze Graffitizeichen zogen seinen Blick magisch an und hielten ihn, wie ein Schraubstock, fest in ihrem Griff. Gebannt starrte er das eckige und ineinander verkeilte Gebilde an. Instinktiv spürte er, dass dieses monsterhafte Werk ihm galt. Es dauerte einige Sekunden ehe er den ganzen Text entziffert hatte:

HERR K. KAKT IN DIE HOSEN

Das traf ihn unvorbereitet, wie ein Schlag in die Magengrube. Nach Sinn und Zweck brauchte er erst gar nicht zu fragen. Man wollte ihn mürbe mache. Doch wer steckte dahinter? Konnte es tatsächlich sein, dass ein gemeiner Komplott gegen ihn gebildet wurde? Jetzt musste er erst einmal die Nerven behalten und überlegen. Was war das Ziel und was wussten die Leute über ihn?

Er atmete tief durch und versuchte seine Fassung zurückzuerlangen. Dann tupfte er sich die Schweissperlen auf seiner Stirn mit einem grossen Taschentuch ab und steckte es wieder zurück in seine rechte Hosentasche. Dabei merkte er, wie sein Oberschenkel heftig zitterte, was ihm die Misslichkeit seiner Lage noch einmal ins Bewusstsein führte.Mit wackligen Beinen versuchte er das Treppenhaus so schnell wie möglich zu verlassen, als unter ihm die Tür der 4. Etage aufschwang und eine Horde lärmender Kinder durch die Öffnung strömte. Herr K. blieb wie angewurzelt stehen. Doch so schnell wie sie gekommen waren, verschwanden sie zwei Stockwerke tiefer wieder in den Flur. Das Herz schlug ihm bis zur Kehle und er war schon fast auf eine Herzattacke gefasst. Sollte er nicht besser den Aufzug nehmen und so schnell wie möglich aus diesem engen Käfig herauskommen? Langsam öffnete er die Tür einen Spalt und lugte vorsichtig in den schmalen Raum, der den direkten Zugang zu 4 gleichartigen Wohnungen darstellte. Da erkannte er das Gesicht einer Hausmitbewohnerin, die er schon mehrmals am Briefkasten angetroffen hatte. Sie war gerade in ein Gespräch mit einer ihm unbekannten Person verwickelt. Allein die Tatsache, dass beide die Köpfe eng zusammensteckten, liess erahnen, dass es sich hier um gemeinen Tratsch handelte. Doch sie hatte ihn bereits entdeckt. Ihm bleib keine andere Wahl, als die Tür vollständig zu öffnen und ohne das geringste Zögern direkt auf den Aufzug zuzusteuern.

Im Rücken hörte er die Nachbarin sagen: „Was macht der den hier auf der Etage?“Ohne ein Wort stellte er sich in die linke Ecke des angekommenen Fahrstuhls und fuhr weiter in Richtung Tiefgarage.

Die Fahrt zur Arbeit mit seinem weissen Audi 80 verlief ereignislos. Er hatte das Auto bereits vor 13 Jahren mit dem Geld gekauft, das er von seiner Mutter geerbt hatte.Ihr Verhältnis war zwar nicht das beste, aber er hatte nur noch eine Schwester, die den ehemaligen Schrebergarten erbte, nachdem er, wie die anderen 15 Grundstücke zu Bauplätzen erklärt wurde. Als Ausgleich musste sie ihm 23.000.-DM auszahlen. Zum ersten Mal in seinem Leben gönnte er sich ein etwas komfortableres Fahrzeug, mit dem er immer noch recht zufrieden war. Während er die 8.3 km routinemässig entlangfuhr, legte er sich bereits hier einen Plan in Tabellenform zurecht. Er musste ein Schema entwickeln, nachdem er die Wahrscheinlichkeit der Täterschaft feststellen konnte. Die Polizei tat das auch nicht anders.

An seinem Arbeitsplatz angekommen, schaute er sich verstohlen um, ob irgend jemand eine auffällige Reaktion ihm gegenüber zeigte. Zuerst ordnete er die Ppiere, die er heute gedachte zu bearbeiten. Er lag gut in der Zeit und hatte das meiste Pensum für diesen Monat bereist erledigt, obwohl heute erst der 19. September war Zwar sprach es gegen seine Prinzipien private Angelegenheiten während der Arbeitszeit zu erledigen, doch diese Sache duldete kienen Aufschub.

Auf einem bereits bedruckten Papier, das nur als Fehldruck in den Altpapierbehälter geworfen war, zeichnete er sich eineTabelle, die in der vorderen Spalte die Namen der Hausbewohner aufnehmen sollte. Die zweite Spalte enthielt die Kriterien und in der letzten Rubrik konnte das Urteil gefällt werden.

1. Familie Grossenwinkel, 3 Kinder

2. Frl. Roswitha Baumgartner, ledig einen Hund

3. Herr Theo Meier, geschieden, selten zu Hause

4. Fam. Biedermann, 2 Kinder, Menoniten

5. Frl. Lilly Metzger, 1 uneheliches Kind, viele Männerbesuche

Zuerst ordnete er die Namen alphabetisch und versuchte trifftige Argumente zu finden. 4 der aufgeführten Personen wohnten mit ihm Tür an Tür. Abends, wenn er nach Hause kam, fiel ihm manchmal auf, dass auch andere Etagenbewohner um diese Zeit einen regen Personenverkehr aufzuweisen hatten. So hatte er sich angewöhnt, zuerst die braun-karierten Pantoffeln anzuziehen und dann bei jeglichem Geräusch vor der Wohnungstür durch den Spion zu schauen, um das Geschehen in Augenschein zu nehmen. Das gab ihm einen Einblick über die Gewohnheiten seiner Nachbarn. Er begründete diesen eher etwas negativen Charakterzug mit Vorsichtsmassnahme gegenüber fremden Personen, die unerwünscht ins Haus kamen und jederzeit einen gezielten Einbruch durchführen konnten. Dabei entdeckte er allerdings auch das ein oder andere Geheimnis dieser Leute.

Er begann seine Beurteilung mit Familie Grossenwinkel. Die Familie war an und für sich nicht geeignet für ein Attentat dieser Grössenordnung. Der Vater der Familie arbeitete als Bodenleger in einem renommierten Geschäft und liess sich nichts zu Schulden kommen. Seine Frau bleib zu Hause und hütete die 3 Kinder im Alter von 5, 4 und einem Jahr., so dass diese Kinder ausschieden. Die Eltern waren selbst froh, dass sie keine Probleme bekamen, weil das mittlere Kind an einer Milzerkrankung litt und des öffteren weinte. In diesem Augenblick war er froh, dass er sich deshalb noch nie bei ihnen beschwert hatte.

Frl. Roswitha Baumgartner wohnte direkt neben ihm und war als angenehme Nachbarin auch nicht geeignet. Trotz des kleinen Köters, den sie vergötterte hatte er noch kein einziges Mal ein Wort mit ihr gewechselt. Sie ging morgens vor dem Frühstück mit ihrem Pekinesen für 12 Minuten aus dem Haus und liess ihn dann den halben Tag alleine in der Wohnung. Gegen Mittag holte ihn ihre Mutter ab und brachte ihn gegen 18°° Uhr meist pünktlich zurück. Nur einmal sah er, wie diese Bestie auf die Fussmatte der Grossenwinkels gepinkelt hatte. Peinlich berührt stahl sich die Besitzerin mit ihrem Tier davon und der Vater der Kinder gab seinem ältesten Sohn eine Ohrfeige, weil dieser nicht zugab, dass er das gewesen war.

Bei Frl. Lilly Metzger war das dagegen anders. Sie lebte, sozusagen, alleine mit einer unehelichen Tochter in der gegenüber liegenden Wohnung. Doch sie erhielt fast täglich wechselnden Männerbesuch und öffnete die Tür stets leichtbekleidet. Das ihre Tochter ihr nachschlug war nicht verwunderlich. Bereits mit 13 Jahren sah das Mädchen recht frühreif und gut entwickelt aus. Wenn diese Herren oft spät am Abend gingen, verliessen sie verstohlen und leise die Etage, um die Haustür laut donnern ins Schloss fallen zu lassen. Wahrscheinlich kamen beide nicht in Frage, da sie ihn sowieso nicht beachteten.




Als nächstes handelete er Familie Biedermann ab, die quasi von alleine ausschied. Alle 4 Familienmitglieder gehörten der menonitischen Gemeinde an und legten ein entsprechendes Verhalten an den Tag. Sie besuchten regelmässig die Sonntagsschule und nahmen auch sonst zuverlässig an den Gemeindeabenden teil. Die Kinder grüssten schüchtern, aber nicht minder freundlich und warteten sogar mit dem Lift, wenn noch eine andere Person mitfahren wollte und nicht so schnell zu Fuss war. Eine voll und ganz anständige Familie, die keine Markel aufzuweisen hatte.

Als erfahrener Anal-ytiker hatte Herr K. auf den ersten Blick gesehen, dass der Sprühwinkel der Farbe von oben nach unten verlief und somit nur eine Person in Frage kam, die mindestens 1.65m gross war. Es sei denn jemand hätte einen Stuhl benutzt, was aber doch sehr umständich gewesen wäre. Blieb also nur noch Herr Theo Meier übrig. Er wohnte zwar eine Etage tiefer, direkt unter Herrn K. Doch legte er sich des öfteren mit den anderen Mitbewohnern an. Kein Wunder das er geschieden war. Meistens war er zwar auf Reisen, doch wenn er mal zu Hause war, konnte man immer laute Musik hören, die an eine Zumutung grenzte. Er war der am meisten Verdächtige in diesem Kreis.

Nachdenklich legte er seine Tabelle zur Seite.

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Vorgänger: 3. Trieb Herr K. und das Tissue-Komplott von Rumpelsstilzchen

Nachfolger: 3.1.1 Herr K. und das Tissue-Komplott von Gerda Schmidt

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Gerda Schmidt, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.01.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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