Maike Schneider

Dunkle Geheimnisse

Fass mich nicht an!

Meine Augen funkeln so zornig, dass Du schnell zwei Schritte zurücktrittst. Das Bitte habe ich nicht nur verschluckt, ich habe es noch nicht einmal mehr gedacht.
So weit sind wir gekommen, wir beide. Du und ich. Meine große Liebe. Mein Mann. Und ich, armseliges Weib, das ihrem Manne noch nicht einmal mehr erlaubt, sie zu berühren.

Wir messen uns mit Blicken. Wie oft gab es schon diese Situation. Genau dieselbe. Du und ich, einander gegenüber und doch unüberbrückbar von einander getrennt.

Du stehst vor mir, nein, Du stehst nicht, Du zitterst, bebst, vor mühsam unterdrückten Gefühlen. Zorn vielleicht, Wut, Wut auf mich. Enttäuschung, Verletztsein, was auch immer.

Ich bin auch wütend. Auf Dich, ohja. Auf mich allerdings noch viel mehr.

Gott!

Mühsam fahre ich mir durch die zerzausten Haare, wende mich ab.
Muss mich abwenden, kann Dich nicht mehr ansehen. Wie soll ich es Dir sagen, wie kann ich es Dir überhaupt sagen, wenn dieses ES unser beiden Leben vergiftet und ich nicht nur schuld daran bin, sondern es noch nicht mal wage, mir selbst zuzugestehen, dass ich es bin, die mich, die uns, unser Leben, tagtäglich auf die Probe stellt und dass ich es bin, die die Prüfung nicht besteht?

Ich lasse mich auf das Sofa fallen, schleudere die Schuhe von mir und ziehe meine Füße auf die helle Stofffläche. Ganz klein möchte ich mich machen, winzig, verschwinden möchte ich. Dich zurücklassen, damit ich Dir nicht noch mehr Schmerz zufüge, wie ich es jeden Tag schon tue.
Wenn ich nicht mehr wäre, könntest Du ein anderes Leben anfangen, vielleicht ein viel glücklicheres, ich weiß es nicht, aber ich hoffe es, für Dich.

Wenn ich Dir nur begreiflich machen könnte, wie sehr ich Dich liebe. Wenn Du nur verstehen würdest, wie wahnsinnig ich Dich brauche, dass ich ohne Dich nichts bin. Ohne Dich wäre ich verloren, würde den Boden unter meinen wackeligen Füßen verlieren, davon driften, sterben.

Sterben wäre gar nicht so schlecht.

Alles würde aufhören, nichts mehr Angst machen, nichts mehr schmerzen. Nichts mehr sehen müssen, hören, spüren, fühlen.

Ach, Geliebter. Wenn Du nur wüsstest, wie sehr ich Dich brauche.

Meine Blicke verfolgen Dich, als Du mit abgehackten Bewegungen in die Küche gehst, Dir etwas zu trinken einschenkst.

Nicht mit Dir leben können, nicht ohne Dich.

Weißt Du, mein Herz, ich spüre Deine Not, Deine Verzweiflung. Spüre, wie unglücklich Du bist und Dein Schmerz addiert sich zu meinem. Ich weiß, ich bin schuld. Ich kann es nicht ändern. Ich versuche es, wirklich, ich ....

... versuche es.

Ich brauche mehr Zeit.

Mehr Zeit.

Mehr ...

... Zeit.

Es ist eine Ausrede, das weiß ich so gut wie Du. Es ist meine einzigste Ausflucht, mein Alibi, um davon zu laufen.

Es ist nicht fair, Dir vorzuwerfen, dass es an Dir liegt, nicht an mir. Dass Du etwas von mir verlangst, was ich Dir nicht geben kann.
Es ist gemein, Dich hinzustellen, als hättest Du Bedürfnisse, die nicht normal sind. Ich weiß. Und Du must mir glauben, wenn ich das tue, fühle ich mich nicht besser, ehrlich nicht. Wirklich. Aber manchmal weiß ich mir einfach nicht zu helfen. Ich kann einfach nicht. Ich kann es Dir auch nicht erklären. Kann es mir selbst nicht erklären, mir selbst gegenüber nicht in Worte fassen, was ich Dir nicht sagen kann.

Ich muss es.

Du gehst mit müden, schweren Schritten zu Deinem Sessel, der weit von mir wegsteht.

Den ich weit von mir weggestellt habe. Selbst das hast Du wortlos hingenommen, wie alles, was ich von Dir verlange. Manchmal, wie heute, bricht es aus Dir heraus, und ich flüchte, wie immer. Wenn ich mir gar nicht mehr zu helfen weiß, werfe ich mit Dingen um mich, verliere mich in meiner Angst, meiner Unfähigkeit zu reden, mit Dir zu reden, in Tränen, denen Du nichts entgegensetzen kannst. Denen Du in Deiner Liebe zu mir hilflos ausgesetzt bist, bis Du dann endlich, endlich schweigst.

Liebster, ich ...

Meine Worte brechen in meinen Gedanken ab. Wollen mir nicht nur nicht über meine Lippen kommen, sondern weigern sich, selbst in meinem Kopf Gestalt anzunehmen. Aber ich spüre, wenn ich jetzt, jetzt!, nichts sage, verliere ich Dich. Das will ich nicht, kann ich nicht.

Ohne Dich bin ich nichts.

Du greifst nach Deinem Buch. Wie immer schweigen wir uns an und ich fühle, wie traurig und einsam Du bist, wie Du resignierst, weil sich nie etwas zu ändern scheint. Doch, mein Herz, ich ... werde es versuchen. Wirklich. Nur ...

... ich kann Dich dabei nicht ansehen, könnte es nicht ertragen, in Deinem Gesicht zu lesen, wenn ich Dir erzähle, was mit mir geschehen ist, was es ist, das nicht über meine Lippen kommen will, das mich, das uns vergiftet.

Mit einem Ruck stehe ich auf, und Du blickst noch nicht mal hoch. So weit sind wir schon. Es ist höchste Zeit, miteinander zu sprechen. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät!

Langsam gehe ich von einer Lampe zur anderen, lösche sie, lösche alle. Könnte ich nur auslöschen, was unermüdlich in mir brennt.
Es ist Winter, es ist draussen so kalt wie in meinem Inneren. Aber immerhin ist es dunkel, dunkel genug, dass wir uns nur noch im leichten Flackern des Kaminfeuers erkennen können. Du sagst nichts. Wartest ab.

Ich bleibe vor Dir stehen, weit genug weg, Du wirst mich nicht berühren können, selbst wenn Du Dich vorbeugen würdest. Das ist wichtig.
Meine Stimme klingt brüchig, als ich Dich bitte, mir einfach nur zuzuhören, mich bitte, bitte nicht zu unterbrechen, weil ich nicht weiß, ob ich jemals wieder den Mut und die Kraft fände, weiterzusprechen.

Du nickst wortlos. Legst das Buch neben Dir auf den Boden.

Ich ... flüchte wieder auf das Sofa. Kringle mich wieder ein und mein Blick verliert sich im Spiel der Flammen. Fast lösen sich wieder die ungesagten Worte in meinem Kopf auf. Wenn ich nur noch einen Moment warte, dann werde ich nicht reden. So wie bisher.

Nein. So geht es nicht weiter.

Okay. Ich hole tief Atem, leise sind meine Worte, die Worte, die mich in die Vergangenheit schicken und die Dich dazu holen.
Ich weiß nicht, was wird, wenn Du alles weißt. Alles über mich. All das Schreckliche, dass mich zu dem gemacht hat, was ich bin. Aber ich liebe Dich. Du hast das Recht, alles zu wissen. Du ... musst es endlich wissen. Also gut, Geliebter. Hör mir gut zu ...


Dedicated to J.

Manchmal ist es ein dunkles Geheimnis, das sich in ein Leben frißt. Etwas, das man selbst getan hat, etwas, das einem getan wurde.

Miteinander reden hilft. Wenn man es wagt.

Ich wünsche allen, die sich in solchen Situationen befinden, den Mut zu reden.

Traut Euch.

Ihr werdet danach besser leben, versprochen.
Maike Schneider, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.01.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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