Rolf Föll

Machopan - Bastelstunde

Als ich noch zur Schule ging hatten wir einmal in der Woche “Bastelstunde“.
Eigentlich hieß das Fach ja “Werken“ für die Jungen und “Handarbeit“ für die Mädchen.
Das war zu der Zeit als “Sport“ noch “Leibesübungen“ hieß.

Während man heute unter “Leibesübungen“ etwas lernt, was früher -aber nur bei sehr fortschrittlichen Lehrkräften- im Fach Biologie ganz am Rande behandelt wurde, gibt es die “Bastelstunde“ auch heute noch.
Nur die Projekte zum Basteln sind etwas größer geworden, wie der folgende Bericht aus einer ganz normalen deutschen Familie zeigt:

Wenn wir etwas basteln wollen, machen wir uns zunächst mal Gedanken darüber was wir eigentlich basteln könnten.
Dann malen wir das mit Buntstiften auf ein Stück Papier und suchen nach einem passenden Namen für unser Bastelobjekt.

Dann zeigen wir unserem Papa Manfred das Bild und der Papa ist ganz begeistert. Wir schreiben ihm auf, welche Materialien und Werkzeuge wir zum Basteln brauchen und dann geben wir Papa die Liste, damit er uns das im Baumarkt und im Schreibwarengeschäft kaufen kann.

Bis das Material eintrifft fragen wir schon mal unsere Freunde, ob sie mitbasteln wollen, denn dann macht das viel mehr Spaß, dann kann man nämlich was schön zusammenbasteln.

Und wenn die anderen Kinder fragen, was wir basteln, dann sagen wir ihnen “Wir basteln eine Mautstelle für Lasterwagen“.

“Toll“ sagen dann anderen Kinder, “dürfen wir da auch mitmachen?“.
“Jaaa“, sagen wir dann ganz stolz, “aber nur wenn ihr uns ordentlich Knete mitbringt. Denn wir brauchen viel Knete. Und Goldfolie und Verkohlepapier und viel Kleber brauchen wir auch noch. Der Kleber muss wasserverdünnlich und umfältverträglich sein! Und bunte Fingerfarben zum schön Anschmieren brauchen wir auch. Und Papier, viel Papier, sooooooo viiiiiiiel Papier! Nein, Transparentpapier kann man nicht brauchen, da blickt man so durch, das ist nicht so gut. Wir nehmen lieber Karton, der ist stabil und hat eine glatte Oberfläche. Da bleibt nix hängen und wenn es notwendig ist, kann man auch noch einen guten Schnitt machen.“

Und dann kommt der Papa und bringt uns das ganze Bastlerzeug. “Toll“, sagt er dann, “das macht ihr aber toll. Habt ihr denn schon einen Namen für euer Projekt?“

“Ja, natürlich“, sagen wir dann, “das haben wir mit den anderen Kindern schon besprochen. Das Projekt heißt -Toll Kollekte-, weil es sooooo ein tolles Projekt ist und jeder was davon hat.“
Da lacht der Papa aber, und holt sein Fotorat raus und macht ein paar Fotos von uns und der “Mautstelle für Lasterwagen“-Zeichnung, damit auch seine Freunde in der Firma sehen, was er für ein guter Papa ist und wie clever und klug wir sind und dann ganz neidisch werden.
Tja, unserem Papa Manfred gefällt so was!

Und wenn die anderen Kinder wissen wollen, wie lange wir denn an der “Mautstelle für Lasterwagen“ herumbasteln und wann sie denn endlich mal fertig sein wird, dann kichern wir einfach und sagen: “Wenn keine Knete mehr da ist“.

Wenn ich heute so in die Zeitungen sehe, dann habe ich den Eindruck, dass sich seit meiner Kindergartenzeit nicht viel geändert hat. Nur die Projekte sind größer geworden !


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.01.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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