Manfred Gries

Wie Pierre Blamage fast verhaftet wurde

Er schaute mich mit jenen sandkastenbraunen Augen an, in denen ich schon immer Kinderseelen entdeckt hatte. Kleine Schaufeln und Backformen ergriffen Besitz von meiner Seele - ich gebe zu, da kann ich nicht widerstehen. Aber wie war es dazu gekommen? Pierre hielt das Schreiben der Staatsanwaltschaft in seinen Händen, dicke Tränen auf seiner Wange. Vorsichtig versuchte ich die Worte auf dem Papier zu entziffern. Ihm das Schreiben aus der Hand zu nehmen, wagte ich nicht. “Hans“, versuchte ich ihn anzusprechen. Denn Hans war sein bürgerlicher Name. “Hans, da muss ein Irrtum vorliegen. Und wir werden das herausfinden.“ Pierre, der eigentlich Hans hieß, verweilte in seiner Haltung, die mir nun auch die Tränen in die Augen trieb. Zögernd las ich die Worte der Staatsanwaltschaft. ´Gegen Sie ist eine Erzwingungshaft angeordnet.´ Deutlich erkannte ich diesen Satz zwischen Pierres Finger, die das Schriftstück verkrampft umklammert hielten. ´Gegen dieses Urteil gibt es kein Rechtsmittel. Sollten Sie aber inzwischen die 83 Euro bezahlt haben, betrachten Sie dieses Schriftstück als gegenstandslos.´

Die Erzwingungshaft belief sich auf drei Tage - auch das war deutlich zu lesen. Allein einen gemeinsamen Teiler zwischen 83 und 3 konnte ich nicht entdecken. Ich war mit meiner Schulweisheit am Ende und Pierre rannen die Tränen über die Wangen. Sollten die Gerichte einen neuen Weg gefunden haben, die Verfassung außer Kraft zu setzen? “Pierre, du bist mein Freund, das weißt du.“ Vor meinem geistigen Auge erschienen die Umrisse einer Säge, die ich für diesen Freund in einen Kuchen backen würde. “Wir stehen das durch“, fügte ich hinzu. Nebenbei warf ich einen Blick in meine Geldbörse. 84 Euro ergab die Bestandsaufnahme. Na, da bleibt ja noch ein Euro übrig für die Kinder. Ich lächelte während Pierre den Flüssigkeitsverlust seiner Tränen mit einem Bier ausglich. Er begann sich zu beruhigen.

“Vielleicht kannst du ja in so ein Verschuldungsprogramm einsteigen. Da kümmert man sich professionell um das Geld, das andere von dir fordern.“ Zugegebenermaßen hatte ich keine Ahnung von diesen Dingen. Aber einmal ist immer das erstemal. Pierre nahm noch einen kräftigen Schluck aus der Flasche und mich in den Am. “Du bist ein guter Freund“, glitzerte es aus seinen braunen Augen und ich begann zu verstehen. Zumindest, was seine Tränen betraf, wurde mir einiges klar. Wie es dazu gekommen war, verstand ich nicht. Mein Gott, 83 Euro ist noch nicht die Welt. Zumindest solange nicht, wie Pierre sie ehrlich verschuldet hatte. Meine Nachforschungen konzentrierten sich nun auf die Ursache dieses Schreibens. Irgendwann musste Pierre ja etwas gekauft haben für diese 83 Euro. Und ich würde nicht ruhen, bis dieses Verbrechen aufgedeckt war.

Am nächsten Tag gründete ich eine Detektivagentur - der Amerikaner nennt das “Private Investigator“, auch bekannt als Magnum. Natürlich war meine Haarpracht nicht mehr so ausgeprägt wie die von Thomas. Aber dafür konnte sich mein Mitsubishi mit dem roten Ferrari durchaus messen. Vorsorglich bezahlte ich den Betrag von 83 Euro und kaufte einen Pudding für die Kinder. Mittags waren die immer hungrig. Und mittags war ich bei Gericht. Zeigte meinen Ausweis vor, den ich morgens erworben hatte und bekam Einsicht in die Unterlagen. Pierre hatte falsch geparkt an einem Freitag, dem 13. Das erste Schreiben hatte ihn nicht erreicht und so war die Summe von 20 Euro auf 33 Euro gestiegen. Weitere Mahnungen hatte der Briefträger zwar in Pierres Briefkasten geschmissen, aber wer lässt sich seine Post schon in den Urlaub nachschicken. Und so ergab sich dann irgendwann der Betrag von 83 Euro, aus dem sich 3 Tage Haft errechnen ließen. Bewährung war in diesem Fall nicht vorgesehen. Immerhin hatte Pierre ja niemanden ermordet.

Inzwischen hatte ich eine Glaubensgemeinschaft gegründet und mit Spendenmitteln eine Kirche erbaut, in der Pierre Zuflucht finden konnte. Das Gründungskapital von 83 Euro hatte ich mir geliehen, in der Hoffnung, dass eines Tages ein Lottogewinn ins Haus stehen würde. Und solange Pierre noch weinen konnte, war auch für das Weihwasser gesorgt, das am Eingang der Kapellen meiner neuen Glaubensgemeinschaft ausgegeben wurde. Die “Kirche der letzten Detektive“ erfreute sich zunehmender Beliebtheit. Letzten Montag brachte ein Gläubiger einen Starenkasten mit, den er irgendwann irgendwo abgesägt hatte. Wir nahmen ihn in die Arme, den Gläubigen.

Pierre geht es inzwischen einigermaßen. Meine Kinder haben den Pudding mit ihm geteilt. Seitdem ist er auf dem Weg der Besserung. Die Staatsanwaltschaft hingegen sucht verzweifelt nach einem Grund, der das Verbot meiner Glaubensgemeinschaft “erzwingen“ könnte. Aber da wird es wohl noch etwas brauchen. Inzwischen habe ich meinen eigenen Staat gegründet. Und das Europa Parlament sucht nun nach Gesetzen, die in Zukunft den Privatdetektiven verbieten, sich in private Angelegenheiten zu mischen. Mein Name ist Bond, James Bond.

Nicht alles stimmt an dieser Geschichte. Die Kirchengründung ist erfunden und ich bin auch kein Privatdetektiv. Einzig die Staatsanwaltschaft handelte wirklich dieser Geschichte gemäß. Ich liebe das Gesetz und die gerechtigkeit, bin aber uch leider kein Staatsanwalt.Manfred Gries, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.02.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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