Birgit Enser

Das Tal der Puppen

Stellen Sie sich einen Sonnenaufgang vor. So einen von der romantischen Sorte, man riecht den Frühling, alle Lebensgeister erwachen ... niemand ist an einem solchen Morgen unzufrieden. Nun ja, vielleicht nicht jeder, aber da, sehen Sie? In dem Haus mit der Nummer 7? Nein? Schauen Sie ruhig genauer hin. Ja? Sie begreifen, worauf ich hinaus will?

In diesem Haus, in der furchtbar chaotischen Küche schenkt Annemarie, bekleidet mit ihrem schlabbrigen Lieblingsjogginganzug, ihrem Mann Friedhelm an diesem Morgen eine zweite Tasse Kaffee ein. Ungefragt, was ihn nervt, denn er ist spät dran. Sie redet und redet ohne Unterlass über Dinge, die ihn nicht im Geringsten interessieren. Er will einfach nur seiner Arbeit nachgehen, abends ein bisschen fernsehen und am Wochenende mit den Nachbarn Constanze und Sigmar grillen.
Aber halt, von den beiden spricht sie ja grade. Hat er schon was verpasst?

´ ..... übers Wochenende ins Haus am See. Dabei will sie ihn doch verlassen. Verstehst du das?´

Er versteht im Grunde nur ´Bahnhof´, aber das hat Annemarie noch nie gestört. Jetzt fällt ihm auch wieder ein, dass sie ihm schon seit Wochen damit in den Ohren liegt, dass Constanze ihren Mann verlassen wird. Ja, Sigmar hatte in der Firma so etwas anklingen lassen, er hatte dann auch ein längeres Gespräch mit Meier-Döbenhoff aus der 3. Etage, und nun fuhren die beiden wohl über´s Wochenende weg. Sollten sie, er gönnte es ihnen von Herzen.

Aber was in Gottes Namen will Annemarie schon wieder? Will sie auch in diese Hütte?

Im Grunde ist er den ganzen Morgen schon mit seinen Gedanken bei der Statistik, die er bis zum Mittag fertig haben muss. Wenn er in diesem Jahr noch befördert werden will, dann muss er sich ranhalten. Beim letzten Projekt hatte ihn der aalglatte Schellenbrink von Nummer 13 überrundet, und zwar nur weil er mit Annemarie zu ihren Eltern nach München fahren musste. Dabei ist das für ihn immer eine schlimme Tortur, die er mit Mühe und Not an Weihnachten über sich ergehen lässt. Doch ihre Mutter hatte sich das Bein gebrochen, und ihr Vater kam allein nicht klar, da hatte er gute Miene zum bösen Spiel machen müssen. Gut, dass nach 2 Tagen Meier-Döbenhoff angerufen hatte und einen Notfall in der Firma meldete. So konnte er sich ohne schlechtes Gewissen entfernen.
Natürlich waren die 2 Wochen ohne Annemarie dann die reinste Quälerei gewesen. Nichts hatte wirklich funktioniert, und Constanze war auch keine große Hilfe gewesen, obwohl er ja gemeint hatte, gerade sie als Annemarie´s Freundin und gemeinsame Nachbarin hätte ihn in dieser Zeit ruhig mal unterstützen können. Aber sie faselte nur irgend so ein Zeug, dass Männer einen Genfehler hätten und die Butter im Kühlschrank nicht fänden.

´Sag mal, hörst du mir überhaupt zu, Friedhelm?´

Er reißt sich zusammen, gibt ihr einen leichten Kuss auf die Wange und sagt: ´Wir reden heute abend, ich bin wirklich spät.´

Und peng! Ist er durch die Tür, und Annemarie schaut ihm verdutzt nach.

An diesem Tag passiert im Hause Nummer 7 nichts wirklich Aufregendes mehr. Wir müssen hier also nicht länger verweilen, machen wir lieber einen Sprung in die nächste Woche. Ja, vertrauen Sie mir, kommen Sie ruhig mit.

Im Laufe des Montags erwartet Annemarie ihre Freundin Constanze zurück. Sie fühlt sich fast von ihr im Stich gelassen, denn sollte Constanze ihren Sigmar tatsächlich verlassen, stünde sie völlig allein da in diesem gottlosen Tal. Niemand hat hier wirklich mit irgend jemandem näheren Kontakt, das gemeinsame Grillen am Wochenende ist schon der Gipfel an nachbarschaftlichen Aktivitäten, und in die nächste Stadt ist es einfach zu weit, um mal eben einen Abstecher zu machen.

Annemarie bemerkt sofort, dass Constanze blühend aussieht. Sie scheint beinahe 5 kg abgenommen zu haben und sieht um einige Jahre jünger aus. Annemarie wird neidisch.

´Wie war das Wochenende? Habt ihr euch ausgesprochen? Bleibst du? Ziehst du aus?´

´Ach Annemarie, es war ein wundervolles Wochenende. Diese Gegend, das Haus, der See, einfach wundervoll. Warum haben wir das nicht schon früher gemacht? Ich bin so glücklich, Annemarie, einfach so unbeschreiblich glücklich.´

Nun, dann ist doch alles in bester Ordnung, denkt sich Annemarie, und doch kommt ihr das Ganze etwas spanisch vor. Ein Wochenende in einer einsamen Hütte und Constanze platzt vor Glückseligkeit? Sie war doch schon beim Anwalt gewesen, hatte den Hausrat aufgeteilt!

´Weißt du, Annemarie, dir würde das auch gut tun. Sprecht doch mal mit Meier-Döbenhoff, der stellt die Hütte gern zur Verfügung. Soviel ich weiß, waren schon fast alle aus Auenthal dort. Na? Stell dich nicht so an. Tu´s einfach. Du möchtest doch immer irgendwas erleben.´ Constanze lächelt strahlend und Annemarie fragt sich langsam verzweifelt, ob mit dem Wasser hier im Ort vielleicht etwas nicht stimmt.

´Aber nun muss ich dich rausschmeißen, Annemarie. Sei nicht böse, aber ich habe Sigmar versprochen, ihm einen Kuchen zu backen. Das habe ich seit Jahren nicht mehr gemacht.´ Sie zwinkert Annemarie zu. ´Ich geb dir einen Tipp. Mach´ doch Friedhelm auch mal einen.´ Sie kicherte. ´Einen Petersilienkuchen, das wirkt wie ein Aphrodisiakum, hab ich gelesen. Weißt du, eine Frau muss etwas tun, wenn sie möchte, dass ihre Ehe glücklich ist.´

Annemarie findet sich verdutzt vor der Haustüre wieder. Sie kann es nicht fassen. Was ist nur mit Constanze los?

Sie nimmt sich vor, ein ernstes Wort mit Friedhelm zu reden. Er muss diesmal zuhören, so geht das nicht weiter.

Nun, liebe Leser, Sie können sich denken, Friedhelm hört. Er hört zwar nicht unbedingt zu, aber er hört.

Was ihn dazu bringt, ein längeres und sehr ergiebiges Gespräch mit Meier-Döbenhoff zu führen, der ihm dann selbstverständlich auch sein Wochenendhaus am See anbietet. Er verspricht, dass Friedhelm nach diesem Wochenende keine Probleme mehr mit Annemarie haben wird, diese Wochenenden am See wirkten stets Wunder, meint er.

Friedhelm muss Annemarie ein wenig überreden. Sie fühlt sich nicht ganz ernst genommen von ihm, doch Friedhelm verspricht ihr mit sanfter Stimme, sich an diesem Wochenende nur ihr zu widmen, ihr jeden, aber auch jeden ... er zwinkert ... Wunsch von den Augen abzulesen, sie glücklich zu machen ....

Und Annemarie wär so gerne glücklich.


Birgit Enser

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Birgit Enser).
Der Beitrag wurde von Birgit Enser auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.02.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

Bild von Birgit Enser

  Birgit Enser als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Erlebtes Leben: Mein Meerestraum von Fritz Rubin



Versunken in des Meeres Brandung / sitz’ ich am weiten Strand, / das Salz der Gischt auf meinen Lippen, / durch meine Finger rinnt der Sand.
Ich schließ’ die Augen, / geh’ ein in die Unendlichkeit, / es ist ein irres Sehnen / bis hin zur Ewigkeit.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Einfach so zum Lesen und Nachdenken" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Birgit Enser

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Abschied von dir (für H.) von Birgit Enser (Trauriges / Verzweiflung)
Sie nannte ihn Schnucki von Christiane Mielck-Retzdorff (Einfach so zum Lesen und Nachdenken)
die Geschichte vom Maffeiplatz ! von Egbert Schmitt (Autobiografisches)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen