Robert Herbig

Ist diese Welt nicht wundervoll?

“I see trees of green, red roses too
I see them bloom for me and you
And I think to myself, ...what a wonderful world.“

Satchmos eigenwillige, melodische Stimme füllte den Raum. Carsten saß in seinem alten, englischen Ohrensessel, hatte ein halbvolles Glas mit einem guten, alten Cognac neben sich auf der Armlehne stehen und lauschte dem Klang des Liedes.

Geburtstage waren einfach etwas Furchtbares.
In zwei Stunden würden sich alle Honoratioren der Stadt, ja sogar des Landkreises, bei ihm die Ehre geben. Man würde Reden halten, ihn in den höchsten Tönen loben. Ihn, den Mann des Jahres, besser, den Unternehmer des Jahrzehnts! Der es geschafft hatte, trotz seiner Jugend, die Firma Tonstätter mit mehr als viertausend Mitarbeitern zu retten.
Noch wusste niemand, dass der Dr. Scheib, der Konkursverwalter, am Montag das Scheitern der Rettungsaktion verkünden würde. Carsten nahm einen großen Schluck aus seinem Glas.
Die Firma würde aufgesplittert werden, die einzelnen Betriebszweige verkauft, Mitarbeiter, die jetzt noch voller Hoffnung waren, die ihn letzte Woche sogar auf Händen durch die Betriebshallen getragen hatten, würden arbeitslos werden.

Satchmo sang:
“I see skies of blue and clouds of white
The bright blessed day, the dark sacred night
And I think to myself what a wonderful world.“

Seine Gäste würden höflich, aber genüsslich nach seiner Frau fragen.
“Wo ist denn Ihre reizende Frau Gemahlin, Dr. Tonstätter?“, würden sie hinterfotzig säuseln, wohlwissend dass Simone sich derzeit mit einem sechs Jahre jüngeren Tennislehrer auf Mallorca vergnügte. Schließlich hatten ja sämtliche Tageszeitungen Deutschlands darüber berichtet.
“Firma gerettet, Ehe verloren?“
“Hat sich Dr. Tonstätter zu sehr um seine Mitarbeiter gekümmert und dabei seine hübsche, junge Ehefrau vernachlässigt?“, prangte da neben einem Bild, auf dem sie sich mit diesem athletischen Hünen barbusig am Pool räkelte.
Carsten hatte alle Schlagzeilen noch im Kopf. Alle.
Und egal was er tat, wie viel er auch trank, er bekam sie nicht aus seinem Kopf.

“The colors of the rainbow so pretty in the sky
Are also on the faces of people going by
I see friends shaking hands saying how do you do
They´re really saying I love you.“

Die letzten neun Monate hatten nicht nur an seiner Ehe gezerrt, sondern auch an seinen sozialen Kontakten. Seine Freunde hatten sich, da er nur noch für die Firma unterwegs war, langsam von ihm abgewandt. Seine Gesundheit litt unter der Situation. Keine regelmäßige Ernährung mehr, nur noch schnelle Essen zwischen den Sitzungen und übermäßiger Alkoholgenuss brachten ihm ein Magengeschwür ein. Aufputschmittel und Wachmacher taten ein Übriges.
Sobald alles vorbei ist, nahm er sich vor, werde ich kürzer treten. Man kann mit einer solchen Lüge leben. Wochenlang. Monatelang.
Bis der Arzt nach einem kleinen, unbedeutenden Zusammenbruch ein betroffenes Gesicht macht und einem die Wahrheit sagt. Die ungeschminkte Wahrheit.
Bis er von diesem merkwürdigen Fleck auf dem Röntgenbild erzählt. Und von einer unbedingt notwendigen Operation.
Einem völligen Verzicht auf Alkohol, Tabletten und Zigaretten.
Von nur noch einem verbleibendem Jahr. Fünfzehn Monaten vielleicht.
Carsten zündete sich eine neue Zigarette an und ließ die CD ein weiteres Mal laufen.

“I hear babies cry, I watch them grow
They´ll learn much more than I´ll ever know
And I think to myself what a wonderful world
Yes I think to myself what a wonderful world.“

Vielleicht hätte er damals auf Simone hören sollen. Die angeschlagene Firma vom Vater nicht übernehmen, sondern mit ihr zusammen ein Kind bekommen und als Ingenieur irgendwo mit ihr glücklich werden sollen.
Vielleicht. Hinterher ist man immer schlauer.
Er trank den letzten Rest des Cognacs und stellte das Glas neben sich auf den kleinen Beistelltisch.
Nebenan stand die Geburtstagstorte mit den 40 Kerzen.
Geburtstage waren einfach etwas Furchtbares.

Langsam hob er die Hand mit der Pistole an seine Schläfe, sah noch einmal in die untergehende Frühlingssonne und drückte lächelnd ab.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Robert Herbig).
Der Beitrag wurde von Robert Herbig auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.02.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Robert Herbig als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Liebe in Stücke von Paul Riedel



Pragmatische Rezepte können nur zusammengestellt werden, wenn man täglich kocht. Einer mag ein Gemüse nicht, andere wollen nur die Rosinen aus dem Kuchen, und so gestaltet sich der Alltag in der Küche.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Lebensgeschichten & Schicksale" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Robert Herbig

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Der Erpel von Robert Herbig (Weisheiten)
für ein paar Pfund im Monat... von Rüdiger Nazar (Lebensgeschichten & Schicksale)
Was denn nun? von Rita Bremm-Heffels (Wahre Geschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen