Sven Heinzig

Das Leben mit dem Alter Teil 1

Er schnaubte und schniebte. Die Sonne fiel in milden Streifen durch die halbgeöffnete Jalousie ins Zimmer. Leises Kindergeschrei und das melodische Zwitschern der Vögel war zu hören. Doch der alte Mann, der vor seiner leicht rostigen Schreibmaschine saß hatte kein Ohr für solche Dinge. Mit den all den Jahren war er verbittert und senil geworden, zumindest sagten das seine Anverwandten und die Pfleger. Nun war er schon mehr als 10 Jahre in diesem Pflegeheim, abgegeben wie einen Brief oder ein altes Auto das keiner mehr haben wollte. Es klopfte.
Man brachte ihm seine Medizin und mit Ihrer zuckersüßen aber bestimmenden Stimme forderte dieses junge Ding von Krankenschwester ihn auf diese auch schon zugleich einzunehmen. Was wußte Sie schon vom Älter werden, was konnte sie erahnen von seinen Qualen, die er jedesmal erlitt wenn er wehmütig an seine Jugend zurückdachte. Da war sie auch schon wieder in ihrem leicht säuerlichen Parfümgeruch entschwunden und er war wieder allein.
Kaum etwas mit nehmen durfte er, ja die alte Schrankwand mit den Antiquitäten vergangener Jahre oder auch die Photos derer, die er kaum noch kannte. Seinen Wellensittich August, auch schon auf einem Auge blind, aber immer noch der treue Weggefährte von damals. Die olle Stehlampe aus der Nachkriegszeit, die er nie leiden konnte, aber Gott habe sie selig das Lieblingsstück seiner toten Frau. Er schrak auf.
Es war ihm als hätte er seine Frau gehört, wie sie in melodischer Stimme nach ihm rief. Er stand auf von seinem Stuhl mit knarrenden Bewegungen und langsamen Schrittes bewegte er sich zum Fenster hin. Mit seiner zitternden linken Hand hebt er die Jalousie ein wenig an. Die Sonne blendet ihn und er sieht das junge Grün der gerade blühenden Wiese, die alten Menschen schnatternd auf den Bänken sitzend und die Enkel fröhlich durch den Park herumtoben. Und sein Blick entgleitet zurück an einen früheren Ort...

Die Sirene surrt. Fliegeralarm schreit es von überall her. Und da stolpert der kleine Herbert auch schon samt seiner Familie in den Luftschutzkeller. Ängstlich aneinander gekauert sitzen die Menschen und einige singen leise. Man hört Stimmen, Flaschen klirren, weinende Kinder und wildes Geschrei junger Offiziere. Da sausen auch schon die ersten Bomben hernieder – ihr Aufschlag bringt die Erde zum erzittern und man kann den staubige verbrannten Geruch auf der Zunge schmecken. Herbert ist gerade 6 Jahre alt und es ist Krieg. Der erste Weltkrieg befindet sich im zweiten Jahr seines furchtbaren zerstörerischeren Wesen und alles ist in Angst versetzt. Herbert ist eines der 12 Kinder der Familie Roth und lebt mit seiner Familie in einem kleinen Dorf auf dem Lande. Immer noch dieses wehleidige Geschrei aus allen Ecken und erneut bebt der Keller im Zuge einer schweren Detonation...

Seine Knie zitterten und er schnaufte schon leicht von der Belastung auf seinen knorrigen Beinen stehen zu müssen. Langsames Schrittes bewegte er sich auf den zerschlissenen Sessel zu, um sich hernieder zu setzen und seine alltägliche Pfeife zu rauchen. Es war ein Ritual das er schon viele Jahre lang durchführte und es war noch ein wenig Routine, die ihm geblieben war. Mit leicht schnalzender Zunge stopfte er den leicht trocken gewordenen Tabak in die Pfeife und zündete sie an. Griff auf das Nachtschränkchen neben sich nach seiner Lesebrille, die auch nur noch eine kleine Hilfe gegen die fortschreitende Erblindung seiner Augen war. Er tastete nach dem Buch, indem er schon seit einigen Monaten las. Mit zerschlissenen Buchstaben stand darauf geschrieben, der „Mord an der reichen Witwe“. Er liebte es in Kriminalromanen zu lesen und mit jeder Seite, das Gefühl zu haben, den Mörder ein wenig mehr auf die Schliche zu kommen. War er doch lange Zeit selbst Oberinspektor bei der Polizei gewesen. Diesen Beruf hatte er geliebt und es hatte ihm wehgetan nach über 40 Jahren seinen Dienst quittieren zu müssen.

Er schlich näher heran an das unscheinbar aussehende Gebäude, ringsumher hatten sich weitere Beamte positioniert und warteten nur auf seinen Befehl. Sie waren schon seit Wochen der Schwarzschnaps -brennerei auf der Spur. Und heute Abend sollte es endlich gelingen, den Handlangern und Auftraggebern das Handwerk zulegen. Man hatte einen Tip eines Informanten bekommen, das sich heute eine größere Lieferung einfinden sollte und Oberinspektor Herbert hatte die Aufgabe bekommen, diese Mission zu leiten. Er war sich dieser wichtigen Aufgabe bewußt und auch mit dem damit verbundenen Risiko. Vor kurzem war er erst befördert wurden. Mit seinen erst 25 Jahren war es ihm früh gelungen Anerkennung und Ruhm zu erlangen. Doch gab es da nicht weniger Neider als auch Freunde. Auf einmal fiel ein Schuß, ob sich dieser nur versehentlich gelöst oder abgegeben wurde konnte im Nachhinein keiner mehr sagen. Auf einmal war ein wildes Durcheinander entstanden, wild schreiend rannten Polizisten zwischen Kugelgewitter hinter flüchtenden Banditen her....

Das Gekrächze seines Wellensittich August holt ihn zurück in die Realität. Er mußte eingeschlafen sein, die Pfeife hing in den letzten Rauchfaden auf dem Aschenbecher und das Buch halbgeschlossen auf seinen Knien.
Etwas schlaftrunken wischte er sich über die Augen, sodaß seine Lesebrille leicht klirrend auf den Boden fiel. Knurrend hob er sie auf, während sein Blick an der Wanduhr hängen blieb und er bemerkte das es Zeit war für das alltägliche Mittagessen. Noch kurz ins Badezimmer, um sich frisch zu machen, obwohl diese winzige an sein Zimmer angrenzende Kammer eher einen anderen Namen verdient hätte. Er schaute in den Spiegel, sah all die Falten, die sich in sein Gesicht während der Jahre eingegraben hatten. Sah die grauen Haarbüschel, die mal sein Haar waren und diesen zynischen Ausdruck seiner Mundwinkel. Er griff zu der Flasche mit After Shave, welches er auf seiner letzten Kaffefahrt als Geschenk erhalten hatte....

Kommst Du zum Frühstück hörte er seine Mutter rufen, schnell beendete er seine Morgentoilette, um die Stufen hinunter ins Eßzimmer zu nehmen. Seine Familie saß schon versammelt am Tisch und sein Vater las leicht abwesend in der Morgenzeitung. Die Mutter hantierte am Herd und machte ihre allzubeliebend Pfannkuchen. Obwohl Herbert mochte sie nicht, aber scheinbar fiel das keinem so wirklich auf. Sein Blick blieb auf seiner Mutter hängen, als sie eine neue Fuhre Pfannkuchen auf die Teller verteilte. Ja sie war älter geworden, die Kriegsjahre und die Angst um Ihren Mann hatte sie schmaler werden lassen. Und auch Ihr weiches Gesicht, war verbitterter und sie lachte auch nicht mehr soviel wie früher. Trotzdem war sie noch immer die gleiche Mutter, wie vor dem Kriege, vielleicht veränderten sich Menschen nach Schicksalsschlägen äußerlich, doch innen drin waren sie noch immer die, die man liebte. Sein Vater räusperte sich und er goß sich Kaffee nach. Wie froh war man doch gewesen, als man ihn unversehrt in die Arme schließen konnte. So viele waren gefallen, Leute die früher in der gleichen Straße wohnten. Und warum konnte einem kein Erwachsener sagen, aber vielleicht gab es Dinge, die Kinder nicht verstehen mußten oder sie nichts angingen.

Er hörte die Krankenschwester rufen nach ihm, ach hier sind sie, das Essen wird kalt. Er hatte die Flasche noch immer in der Hand und als er sie hinstellen will, gleitet sie ihm aus der leicht schwielig gewordenen Hand. Wie tausend kleine Regentropfen zerspringt sie in Ihren Ursprung zurück auf dem Boden. Fluchend will er sich daran machen, die Scherben wegzuräumen. Als die resolute Schwester ihn schon sanft zur Seite schiebt, während sie im süffisanten Ton, na was haben sie nun schon wieder angestellt in den Ansatz ihres Damenbartes murmelt.
Er wollte etwas erwidern, ließ es dann doch sein. Gegen diese junge Illusion, das Jugend und Schönheit ewig währt kam er nicht an. Ohne auf die Schwester zu warten, ging er mühsamen Schrittes in Richtung Speisesaal. Dort angekommen suchte er sich einen Tisch am Fenster aus, er saß gern am Fenster und starrte dann nur heraus und träumte. Die fettleibige Köchin brachte ihm sein Essen er dankte es nur mit einem wagen Nicken in ihre Richtung. Es war ruhig in diesem vor kurzem erst weiß gestrichenen Raum und doch wenn man ganz genau hinhörte, dann konnte man so etwas wie Kindergeschrei vergangener Tage hören. Vielleicht ist es auch nur Einbildung, doch steckt nicht in jeder Einbildung auch ein Funken Wahrheit. Räuspern setzte sich jemand zu ihm und es war ihm eigentlich gar nicht recht. Mürrisch begrüßte er die Frau aus seinem Nebenzimmer, sie hieß Inge glaubte er. Er kannte sie nun schon länger, um genau zu sein fast 6 Jahre, aber ihr Name hatte ihn noch nie interessiert. Sie trafen sich manchmal zum Kaffee trinken, aber eigentlich müsste man eher sagen, sie saßen dann schweigend beieinander und denken an vergangene Zeiten. Und manchmal hebt jemand die Stimme an, um eine nicht immer wahrheitsgetreue Geschichte aus seinem Leben zu erzählen. Erst letztens...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.02.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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