Sven Heinzig

Konflikt Leben Teil I

Sie stand am Fenster und schaute Ihm nach. Langsam suchten sich die Tränen Ihren Weg und liefen in langen, kajalverschmierten Bahnen über Ihr Gesicht. Die Gedanken in Ihrem Kopf überschlugen sich, zwischen: „Ich lauf ihm nach.“, „Ich hasse Ihn.“, „Warum immer ich?“ mischten sich seltsame Gefühle von Angst. Angst, davor wieder alleinzusein eingepackt in Selbstmitleid immer mit einem Fuß auf einer Brücke in einer dunklen Nacht. Nur noch Schemenhaft war sein Schatten zu sehen, dort an seinem neuen roten Flitzer, den er so abgöttisch liebte...Ja sie liebte Ihn, auch nach alledem, aber sie musste stark sein ihm endlich beweisen, das es wenn es sein muss auch ohne ihn geht. Langsam bewegte sie sich fort vom Fenster hörte nur noch das schnurrende, sich entfernende Motorengeräusch. Sie fror kein Wunder war doch im Rausch der Gefühle der kleine Farbfernseher in weitem Bogen ihm hinterher geflogen ohne natürlich darauf zu achten, das die Fenster geschlossen waren.
Behände wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht, um sich dann in der Küchenzeile ein Glas Wasser einzuschütten leicht vor sich hinmurmelnd: Dieses Schwein, dieser Schuft. Ich kann nicht mehr...Mit dem Glas Wasser zog sie sich auf die Couch zurück und eingekauert hockte sie dort, um stumpfsinnig in die Weite zu schauen. Wie Blitze tauchten die Gedanken auf und selbst längst verdrängte Dinge kamen wieder in voller Intensität zurück.
Erst einige Wochen wohnte sie nun hier in diesem alten Haus mit den großen dunklen Fenstern in einer 31/2 Zimmer Wohnung, die sehr oft nach alten abgestandenen Zigaretten-Rauch und nach den längst verblichenen Tierextrementen im wollgelben Teppich roch. Nein nicht allein, sondern mit Nele, einer jungen Frau, die immer noch glaubte das Dreadlocks trendy und die SED immer noch Staatsmacht Nummer 1 wäre. Man könnte meinen sie hätte die letzten 10 Jahre verpennt oder aber in irgendeiner Randnische eines Berliners Vorortes mit Anbindung an die alte sozialistische „Wir sind doch alle bloß Menschen“ Mentalität gelebt. Da wäre dann noch Udo, ein Rebell in seiner Zeit, doch die schien nun abgelaufen. Jetzt war nicht mehr viel von dem Idealismus und dem Tatendrang aktiv an einer besseren Einheit der Menschen oder dem Weltfrieden mitzuwirken geblieben. Nein, Udo war jetzt Bankangestellter und wie er es immer gern betonte: „Auf dem besten Wege aus seinem Leben etwas zu machen und zu höherem Range der Menschheit aufzusteigen - Punkt.“ Nun irgendwelche Blitzgeister hätten sicher gefragt, warum er dann immer noch in so einer Durchschnittsbude mit Anschluss an die geifernde, arbeitslose Nachbarschaft hauste. Und nicht zuletzt wäre da noch sie ein Mädchen gerade frisch auf der Suche nach einem Sinn im Leben. Entlassen aus der bunten Welt des Heimes, nun auf sich allein gestellt in dieser großen Welt der Unbewegbarkeiten. Die Eltern zu sehr mit sich selbstbeschäftigt und Ihren vielen anderen Kindern, denen sie die Vorzüge des Lebens auch nicht vorenthalten wollten. Sie sah sie nicht oft und doch waren die Treffen dann doch von einschneidender Intensität. Doch das Verhältnis als gut zu bezeichnen hätte es einiges mehr bedurft.
Ihren Freund hatte sie jedoch schon eine ganze Weile und der war nicht gerade begeistert gewesen als sie hier einzog. Hätte er es doch lieber gesehen, wenn sie in sein schickes Apartment in einer stillvoll angehauchten „Nobelecke“ dieser Großstadt mitgezogen wäre. Doch das kam in keinster Weise in Frage, sie wollte obwohl sie Ihn liebte oder gerade deshalb sich nicht zu stark an Ihn binden. Außerdem liebte sie Ihr neues WG Leben, das hatte so viele ungeahnte Vorteile. Von neuentdeckten Pilzkulturen in der Küche, über Haare verstreut im ganzen Sanitärbereich, ordinären kleinen Bildchen auf der WG Toilette säuberlich gesammelt und ausgeschnitten von der WG Gemeinschaft. Bis zu neuen Leibgerichten, die wohl aus dem Umstand der gähnenden Leere des Kühlschrank oder der verwahrlosten, vor sich dahin vegetierenden Lebensmittel, geboren sind.
Und heute waren sie neuerlich über Ihren Einzug in Streit geraten, doch nein nicht sie sondern er hatte damit angefangen. Schon mit einem sonderbaren Gefühl war sie an diesem Abend mit Ihm zusammen gekommen. Noch immer war er in dem Glauben gewesen, das sie sich für seine „Welt“ entschieden hatte. Das sie mit Ihm in diesem von seinen Eltern finanzierten Luxus-Wohnraum zog. Sie hatte es einfach noch vollgebracht Ihm die ungeblümte Wahrheit zu sagen. Sie hatte Angst gehabt vor seiner Reaktion und die Ereignisse gaben Ihr nun Recht. Wieder hatte er einer seiner Wutausbrüche gehabt, die Ihn so anders erscheinen ließen. Von einer Minute zu anderen, war es mitnichten mehr der Mensch, den sie liebte, sondern nur noch ein Schatten ungesagter Grausamkeit. Blitzende Lichter in seinen Augen und Worte, die wie stechende Hiebe auf sie einprasselten. Stumpfsinnige Beschimpfungen, denen sie kaum folgen konnte. Und sie ? Saß da und hatte sie am Anfang noch mit wenigen Worten den Kampf gegen Ihn erhoben, so hatte sie nun aufgegeben und hockte in sich zusammengesunken da. So war es fast immer an eine geordnete Diskussion war nicht zu denken. Es schien als hätte schon ein umsichtiger Dramaturg im Voraus, die Rollen verteilt und all ihr Aufbegehren waren sinnlose Floskeln gegen seine augenblickliche Wut. Immer noch prasselnden die Worte auf sie hinein, doch sie drangen nur schemenhaft an Ihr Ohr, obwohl er sie nicht mehr sagte, sondern schon fast schrie. Sie wollte Ihn nicht hören, denn alles was er sagte mache sie wütend. Wütend auf sich, wütend auf Ihn, einfach unsagbar hilflos nicht zu wissen, was sie tun konnte. Wie sollte man in solchen Momenten die Furcht vor einem Menschen, den man doch so abgöttisch liebte, verdrängen, wie?
Irgendwann war er dann aus der Tür gerauscht, fluchtend und ohne auf die weinende Person am Boden zu achten. Sie hatte wie gelähmt da gehockt, doch irgendein aufkeimendes Gefühl hatte sie veranlasst Ihm den Fernseher hinterher zuschicken.
Das Türschloss ging. Sie schaute auf die Uhr es war schon spät. Udo übernachtete bei einer Freundin, somit konnte es nur Nele sein, die wohl mal wieder bis in die späte Nacht in einem der tabakverrauchten und stilvollen Cafes in der Innenstadt abgehangen hatte. Um sich mit Ihren Freunden, über die maroden Zustände bürgerlicher Familien und deren Auswirkungen auf den Staat zu philosophieren. Oder irgendwelche Aktionen zu planen zur Rettung seltener Moorblumen oder einfach des Bioladens an der Ecke. Die bunten Flyer hingen an den seltsamsten Orten der Wohnung und die meisten trugen Nele`s Handschrift.
„Was hockst Du da auf dem Boden.“, hörte sie Ihre Freundin sagen. Die Ihre Stofftasche in die Ecke gepfeffert und sich die Bescherung mit dem Fenster anschaute. Vor sich nun hinsummend holte sie das grobschichtige Klebeband aus dem Schubkasten und klebte mit großen Bögen das Loch in der Scheibe ab. „Da muss morgen der Glaser her, ich bin aber total blank. Ich hoffe es sieht bei Dir besser aus.“, sagte sie und ohne eine Reaktion Ihrerseits abzuwarten ging sie nun auf Ihr Zimmer. Schon bald ertönten die lauten Klänge der neuen Toten Hosen Scheibe zu Ihr herüber.
Immer noch war Ihr zum heulen zumute, doch was sollte das noch helfen. Morgen würde er wohl wieder reumütig vor Ihrer Tür hocken und eine Orkan der Entschuldigungen vor Ihr ausbreiten. Oder aber ein tüchtiger Blumenlieferant würde den tristen Trockenblumen die bunte, blühende Verwandtschaft vorbeibringen. Dann würden wieder Dutzende Blumen vor sich hin duften und sie? Würde Ihm wahrscheinlich wieder verzeihen und alles wird seinem gewohnten Lauf nehmen. Doch sollte sie wirklich so naiv sein und darauf vertrauen, dass er nicht wieder in alte Muster zurückfiel? Liebte sie Ihn wirklich so sehr, war er das was sie brauchte? Gab er Ihr das Gefühl gebraucht zu werden und füreinander dazu sein? Sicher waren da schon Bindungen vor Ihm, die doch über ein Händchenhalten oder ersten, zaghaften Küssen nicht hinausgingen. Es hatte sich einfach nicht ergeben, da sie auch nicht die Königin unter den Mädchen war. Halt ein durchschnittliches, aber liebes Mädchen, das man wahrscheinlich erst auf den zweiten Blick so richtig bemerkte. Und doch war es mit Ihm schön gewesen, wie nie zuvor. Auch wenn sie so Grund verschieden waren und Ihre Welten sich nicht sehr glichen hatte er Ihr doch am Anfang das Gefühl gegeben, das dass Leben doch die wahre Liebe bereithielt. Wie in rosa Wolken erschienen Ihr die nächsten Wolken und wenn nicht irgendwann der Lauf der Dinge sein wahres Ich hervorgezaubert hätte, wäre sie immer weiter in diesem unglaublich, schönen Traum gefangen gewesen. Es hatte wie ein unglaublich schönes Lied in einem Moment auf den anderen aufgehört und ein schriller Schrei von Realität hatte alles zerstört. ´
Sie überlegte, ob sie Nele noch mal stören sollte mit Ihrem Beziehungsmüll, doch die emotionenale Müdigkeit trieb sie in Ihr Bett. So schlüpfte sie in das seidene, schwarze Nachthemd, das sich wie eine zweite Haut an Ihre Taille schmiegte, sie selbst fand, dass es für Models geschneidert und nicht für Ihren Allerweltskörper geschaffen war. Doch Nele hatte sie zum Kauf gedrängt und irgendwas brauchte man ja für die erste Nacht, auch wenn nicht für lange. Auf dem Nachtisch lag noch der Roman, in dem sie schon teilnahmslos einige Zeit las ohne den Gedankengang des Autoren folgen zu können und in einem sehr langsamen Lesetempo. Auch heute fanden nur wenige Zeilen und Wörter, den Weg in das Dickicht ihrer Gedanken immer noch war es Ihr nicht gelungen abzuschalten und dem Gehirn, die nötige Ruhe für das Einschlafen zu gönnen. So vieles machte sich im dunklen Schutze der Nacht Luft.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.02.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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