Dirk Schuh

Eine Hommage an Iwan Gontscharow

Oblomow ist lange tot,aber ich war ihm ein würdiger Nachfolger. Ich brachte die Trägheit ins neue Jahrtausend und sah teilnahmslos dabei zu.


“Verschwende deine Jugend!“ heisst nicht nur ein guter deutscher Film, mein ganzes Weltbild bestand darin. Leider bin ich nicht reich und so musste ich mir manchmal Gründe für mein Nichtstun einfallen lassen wie auch Ausreden zum ausgedehnten Liegen im warmen Bett. Das dachte ich zumindest erst,aber schnell bemerkte ich,dass das niemanden interessierte.
Draußen wurd ich kaum vermisst, drinnen störte ich kaum. Der Fernseher wurd zum besten Freund, das Essen kam täglich pünktlich auf meinen Schoß.


Meine Eltern übernahmen die Rolle des Hausdieners Sachar und ihnen schien es auch noch zu gefallen. Immerhin nahm ich keine Drogen, war ich nicht kriminell oder schwängerte meine Freundin. Sie waren zufrieden, ich hatte meine Ruhe. Nur manchmal stieg in ihnen die Frage nach meiner Zukunft auf. Ich eignete mir zu diesem Zweck ein paar Wünsche und Ideale an, die ich mit einem gespielten Glänzen in den Augen unterstützte. Sie fraßen die Worte und Phrasen, die ich ihnen vorwarf und ich konnt mich wieder umdrehn und weiter sinnieren.


Aber ich war nicht nur aufgrund der Umstände ein verbesserter Bettdenker. In den 150 Jahren seit Oblomows Erscheinen gab es viele nützliche Erfindungen der Bequemlichkeit und ich konnte von zu Haus aus in Schlafanzug und Pantoffeln die ganze Welt ereichen. Die Welt der neuen Kommunikationsmedien, allen voran das Internet, stellte sich als guter Partner heraus. Ich konnte in Ruhe und Gelassenheit Unmengen von Menschen erreichen und musste nur 2 Schritte aus meinem geliebten Bett tun, meine Decke nahm ich zwecks Komfort gleich zu meinem extra gepolsterten PC-Sessel mit. So war das Leben erträglich.


Leider blieb es nicht dabei. Ich gewöhnte mich an einige virtuelle Menschen so sehr, dass aus Schreiben Hören wurde. Beim ersten Mal wurde ich noch gefragt. Ich sagte JA, wusste es nicht besser, sah es sogar als Verbesserung an. Schliesslich kann man problemlos vom Bett aus telefonieren. Es war wirklich perfekt, ich musste keinen äußerlichen Schein wahren, weil man mich nicht sah, und die Ruhe in meiner Stimme klang für den anderen sehr angenehm.


Bald schon fragte ich selbst einige nach ihrer Telefonnummer und scharte eine ansehnliche Gruppe um mich. Meine Eltern waren ob der erhöhten Rechnungen nicht einmal wütend, sondern freuten sich über die Normalität ihres Erstgeborenen,die sie sich gern einiges kosten ließen.


Eines Tages merkte ich jedoch, wie meine kleine Welt der Unverbindlichkeit langsam aus den Fugen geriet. Eine akkustische Frau bat mich um ein Treffen, ich war geschockt. Was sollte ich darauf antworten? Sagte ich NEIN, würde ich diese wertgeschätzte Person vielleicht verlieren, sagte ich JA, käme alles zurück,das ich einst zu gern zurükließ: die Äußerlichkeit, der Schein von Anstand, die kalte Welt außerhalb meiner vier Wände. Ich erbat mir Bedenkzeit und hielt eine lange Sitzung im Schoß meines Bettes ab. Schließlich sagte ich zu.


Ich bin jetzt dauernd unterwegs. Ich treff mich mit meinen neuen Freunden, engagier mich in einem Verein und studiere Literatur. Mein Bett sieht mich höchstens nachts. Jene Frau,die mich damals aus dem Zimmer brachte, ist jetzt meine Freundin.
Wir sehen uns jeden Tag.


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.02.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Jahre wie Nebel: Ein grünes Jahrzehnt in dunkler Zeit von Horst Lux



Es wurde sehr viel geschrieben über jene Jahre der unseligen Diktatur eines wahnwitzigen Politikers, der glaubte, den Menschen das Heil zu bringen. Das meiste davon beschreibt diese Zeit aus zweiter Hand! Ich war dabei, ungeschminkt und nicht vorher »gecasted«. Es ist ein Lebensabschnitt eines grünen Jahzehnts aus zeitlicher Entfernung gesehen, ein kritischer Rückblick, naturgemäß nicht immer objektiv. Dabei gab es Begegnungen mit Menschen, die mein Leben beeinflussten, positiv wie auch negativ. All das zusammen ist ein Konglomerat von Gefühlen, die mein frühes Jugendleben ausmachten. Ich will versuchen, diese Erlebnisse in verschiedenen Episoden wiederzugeben.

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